Die DDR als kulturelles Phänomen

Die DDR zwischen Tradition und Moderne

Rezen­si­on

Pünkt­lich zum 30. Jah­res­tag des Bei­tritts der DDR zum Gel­tungs­ge­biet des Grund­ge­set­zes am 3. Okto­ber 1990 erschien der reprä­sen­ta­ti­ve Band zur DDR als kul­tu­rel­lem Phä­no­men. Er bringt an die zwan­zig Tex­te, von denen die meis­ten etwa ein Jahr zuvor auf einer wis­sen­schaft­li­chen Tagung der Leib­niz-Sozie­tät gehal­ten und dis­ku­tiert wur­den. Der Sam­mel­band geht zwar nicht in der Brei­te des Kul­tur­ver­ständ­nis­ses an das The­ma her­an, wie es Gerd Diet­rich 2018 mit sei­ner drei­bän­di­gen „Kul­tur­ge­schich­te der DDR vor­ge­legt hat­te (der Autor kann aber sein Werk kurz vor­stel­len, vgl. S. 291–298). Mit sei­ner gegen ein­sei­ti­ge Schwarz-Weiß-Male­rei­en gerich­te­ten Kern­aus­sa­ge, die DDR-Gesell­schaft sei wie ande­re auch „ambi­va­lent“ gewe­sen, hat­te er eini­ge Dik­ta­tur­for­scher zwar etwas auf­ge­regt, aber inzwi­schen – es wur­de Zeit – schwenkt die his­to­ri­sche For­schung auf die metho­di­sche Haupt­stra­ße ein, die dia­lek­ti­sche Betrach­tung geschicht­li­cher Vor­gän­ge, so auch der vor­lie­gen­de Sammelband.

Wohl um dies zu bekräf­ti­gen, ist am Ende des Ban­des eine kur­ze Stel­lung­nah­me von Wolf­gang Kütt­ler ein­ge­rückt wor­den, der – in einem Podi­ums­bei­trag – den kul­tur­ge­schicht­li­chen Ansatz her­vor­hebt, um eine „ver­glei­chen­de Beur­tei­lung der DDR“ über­haupt erst zu ermög­li­chen: „Denn dadurch wird die­se von der Ein­he­gung in die weit­ge­hend tota­li­ta­ris­mus­theo­re­tisch ori­en­tier­ten Ansät­ze der Dik­ta­tur- und Ideo­lo­gie­kri­tik gelöst, ohne deren rea­len Hin­ter­grund zu igno­rie­ren“ (S. 290).

Kütt­ler pro­ble­ma­ti­siert die unge­naue Ver­or­tung der Tagung „zwi­schen Tra­di­ti­on und Moder­ne“, wie auch schon die bei­den Her­aus­ge­be­rin­nen in ihrem Vor­wort. Das sei eine „Begriff­lich­keit, die in einem bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Kon­text ent­stan­den“ sei, aber mit der Ori­en­tie­rung auf „kul­tu­rel­le Phä­no­me­ne“ „eine neue Ver­gleichs­per­spek­ti­ve“ eröff­ne. „Kapi­ta­lis­mus und Kom­mu­nis­mus sol­len nicht län­ger nur unter dem Aspekt ihrer Gegen­sätz­lich­keit betrach­tet, son­dern kön­nen in grö­ße­re geschicht­li­che Zusam­men­hän­ge ein­ge­bet­tet wer­den. Poli­ti­sche For­men von Demo­kra­tie und Dik­ta­tur, die kapi­ta­lis­ti­schen und sozia­lis­ti­schen Indus­trie­zi­vi­li­sa­tio­nen und auch die jewei­li­gen Kul­tur­na­tio­nen kön­nen und sol­len damit in ein neu­es Ver­hält­nis gesetzt wer­den.“ (S. 12)

Das wird zum einen etwas inkon­se­quent prak­ti­ziert, denn als ein wesent­li­ches Kri­te­ri­um von Moder­ni­tät gel­ten Fort­schrit­te in der Säku­la­ri­sie­rung. Dass hier Ost­deutsch­land inzwi­schen als Avant­gar­de ange­se­hen wird, die den Rück­gang von Reli­gio­si­tät in DDR zurück­geht, wird im Sam­mel­band nicht the­ma­ti­siert. Der span­nen­de Bei­trag von Syl­vie Le Grand über die Geschich­te der Bibel­edi­tio­nen in der DDR akzen­tu­iert, wohl­tu­end sach­lich for­mu­liert, durch den fran­zö­si­schen Blick gefärbt, was Theo­lo­gen moti­vier­te, ihrer­seits nicht so scharf gegen „Gott­lo­se“ zu spre­chen (S. 185–199).

Da hät­te sich der Rezen­sent bei der Betrach­tung der DDR-Pflicht­schu­le (Gert Geiß­ler, S. 73–92) doch wenigs­tens die Erwäh­nung der gro­ßen Streit­the­men der Wei­ma­rer Repu­blik und die Posi­ti­ons­bil­dung dazu in der SBZ/DDR gewünscht: „Ein­heits­schu­le“ und „Welt­lich­keit des Schul­we­sens“, was ja auch ein­schlie­ßen könn­te, die Wie­der­ein­füh­rung des Reli­gi­ons­un­ter­richts nach 1990 zu erwähnen.

Nur sehr beschränkt in das The­men­ras­ter der Reli­gi­ons­ver­hält­nis­se passt der erhel­len­de Text von Frank Tho­mas Koch über „Anti­se­mi­tis­mus und Exis­tenz­for­men des Jüdi­schen in der DDR“ (S. 55–72), der sich sowohl auf Indi­vi­du­en und Grup­pen wie auf mate­ri­el­le Zeug­nis­se (Fried­hö­fe, Syn­ago­gen u.a.) bezieht. Der Autor arbei­tet DDR-spe­zi­fi­sche Kon­flikt­fel­der her­aus. So sei Anti­se­mi­tis­mus durch einen offi­zi­el­len Anti­fa­schis­mus und die Ein­bin­dung jüdi­scher und halb­jü­di­scher Funk­ti­ons­trä­ger blo­ckiert wor­den. Doch sei zugleich Anti­se­mi­tis­mus geför­dert wor­den, schon durch das unre­flek­tier­te Nach­wir­ken der nazis­ti­schen Gesell­schaft. Doch fehl­ten nach wie vor empi­ri­sche For­schun­gen. Ein Spe­zi­al­pro­blem stel­len die anti­zio­nis­ti­schen Vor­be­hal­te der SED gegen­über Isra­el dar.

Zum ande­ren lie­gen gera­de in den Hemm­nis­sen, kul­tu­rel­le Kri­te­ri­en von Moder­ne zu ent­fal­ten, Grün­de für den letzt­li­chen Unter­gang des gesam­ten Gesell­schafts­sys­tems: die Offen­heit der gesell­schaft­li­chen Regel­krei­se, Funk­tio­na­li­tät der sozia­len Wel­ten, Anony­mi­tät büro­kra­ti­sier­ter Insti­tu­tio­nen, Hete­ro­ge­ni­tät des Wer­te­ho­ri­zonts, gedul­de­te Viel­falt der Über­zeu­gun­gen, Ent­wer­tung des Tra­di­tio­nel­len, Her­kömm­li­chen und Eth­ni­schen, Distanz zu allen Bestre­bun­gen von Ver­ein­heit­li­chung der Lebens­wei­se, suk­zes­si­ver Rück­gang der Gesin­nungs­kon­trol­le, zuneh­men­de Kom­mer­zia­li­sie­rung der Bedürf­nis­be­frie­di­gung und Poli­ti­sie­rung des Aus­gleichs von Inter­es­sen­be­zie­hun­gen, um nur eini­ge zu nennen.

Beson­ders in den Bei­trä­gen von Diet­rich Mühl­berg, Ursu­la Schrö­ter und Ire­ne Döl­ling wird die­se Argu­men­ta­ti­ons­brei­te erreicht, bei den bei­den Letz­te­ren schon der The­ma­tik wegen, die wohl nicht klein­tei­li­ger zu bear­bei­ten ist.

Mühl­berg geht in sei­nem Bei­trag „Zur kul­tur­his­to­ri­schen Ver­or­tung der DDR. Wie sich in der DDR ein kul­tur­ge­schicht­li­ches Selbst­ver­ständ­nis her­aus­bil­de­te“ (S. 21–37) gleich ein­gangs von der The­se aus (Hart­mut Kaelb­le zitie­rend), dass die „Moder­ni­sie­rungs­theo­rie ‘die wich­tigs­te theo­re­ti­sche Anbin­dung des his­to­ri­schen Ver­gleichs’ … unter­schied­li­cher Gesell­schaf­ten und Sys­te­me“ dar­stellt und den „Zugang zum Ver­ständ­nis ihrer inne­ren Bewe­gun­gen“ bereit­stellt. (S. 22) Ohne die­ses Gespür für inne­re Pro­zes­se, so ist fest­zu­hal­ten, erschließt sich kei­ne Kul­tur. Der Autor belegt dies an his­to­ri­schem Mate­ri­al durch Beant­wor­tung drei­er Fra­gen: wie in der DDR selbst Kul­tur his­to­risch gese­hen wur­de, ob es eige­ne kul­tur­ge­schicht­li­che For­schung gab und wie mit die­ser Kul­tur aktu­ell umge­gan­gen wird.

Dazu sei­en erneut die bei­den Her­aus­ge­be­rin­nen zitiert: „In der DDR ent­stand 1963, also vor dem berühm­ten Bir­ming­ham Cen­ter, der welt­weit ers­te kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en­gang. Diet­rich Mühl­berg, der als Nes­tor der Kul­tur­wis­sen­schaft in der DDR gel­ten kann, gibt … Ein­bli­cke in his­to­ri­sche Vor­aus­set­zun­gen, Ziel­set­zun­gen, Pro­fil und prak­ti­sche Ergeb­nis­se die­ser For­schun­gen.“ (S. 15)

Am Bei­trag von Ursu­la Schrö­ter „Die DDR zwi­schen Patri­ar­chat und Moder­ne. Acht The­sen“ (S. 141–152) wird mit der eben­so rich­ti­gen wie heut­zu­ta­ge ver­blüf­fen­den (Stich­wort: „Unrechts­staat“) The­se argu­men­tiert: Die DDR „war aus einer Men­schen­rechts­be­we­gung her­vor­ge­gan­gen und soll­te eine Ant­wort auf die Arbei­ter­fra­ge sein“. (S. 139) Dass in der DDR das Patri­ar­chat im Prin­zip fort­exis­tier­te und die Gleich­be­rech­ti­gung der Frau prak­tisch nur in Tei­len umge­setzt wor­den ist, wird auf zwei Ursa­chen zurück­ge­führt, ers­tens, dass es sich beim Patri­ar­chat um eine lang­le­bi­ge Gesell­schafts­struk­tur han­delt; zwei­tens aber durch die Ein­flüs­se des sowje­ti­schen Sys­tems, dass die Arbei­ter­be­we­gung fak­tisch zer­brach und Men­schen­rech­te nicht achtete.

In mei­nen eige­nen Stu­di­en zur Bio­gra­phie von Lot­te Rayß (GuLAG-Sys­tem), aber auch zu Max Hoelz bin ich immer wie­der auf das Dog­ma gesto­ßen, dass die Abschaf­fung des Pri­vat­ei­gen­tums an Pro­duk­ti­ons­mit­teln als iden­tisch gese­hen wird mit der Ein­füh­rung des Sozialismus/Kommunismus, als ob das Wei­te­re sich auto­ma­tisch ergibt. Die Hin­wei­se, auch von Lenin, dass eine „Kul­tur­re­vo­lu­ti­on“ nötig sei, sind erst in den spä­te­ren 1950er Jah­ren ernst­haft in einem brei­te­ren Ver­ständ­nis von „Lebens­wei­se“ bedacht wor­den. Das hat in der DDR eine „Kul­tur­wis­sen­schaft“ beför­dert, die dann noch ganz ande­re Fra­gen stell­te. Jeden­falls ist der Wir­kung die­ses Dog­mas genau­er nachzugehen.

Wie modern waren die Geschlech­ter­ver­hält­nis­se in der DDR?“ (S. 155–163), fragt Ire­ne Döl­ling. Sie spitzt die­se Fra­ge zu, indem sie umfäng­lich auf die nach 1990 geführ­te Debat­te ein­geht, ob Ost­deutsch­land in Fol­ge der Geschlech­ter­po­li­tik der DDR einen „Moder­ni­täts­vor­sprung“ habe. Döl­ling kon­fron­tiert die Argu­men­te dafür und dage­gen mit sozia­len Rea­li­tä­ten und den Wider­sprü­chen dar­in. Sie kommt zum Ergeb­nis: „Die Moder­ni­tät der Geschlech­ter­ver­hält­nis­se, die für die sozia­lis­ti­sche Vari­an­te der ‘orga­ni­sier­ten Moder­ne’ kenn­zeich­nend waren, haben nicht nur zu einem Abfla­chen von Geschlech­ter­hier­ar­chien und einem Abbau von Geschlech­ter­un­gleich­hei­ten und einer damit ver­bun­de­nen Erwei­te­rung von Hand­lungs­mög­lich­kei­ten vor allem für Frau­en geführt. Sie haben sich auch als güns­tig für eine kapi­ta­lis­ti­sche ‘Land­nah­me’, also für ihre Nut­zung im Ver­wer­tung­pro­zeß der post­in­dus­tri­el­len Moder­ne erwie­sen“. (S. 161) – Das schei­nen nicht zuletzt die ganz aktu­el­len Berich­te – noch nicht Stu­di­en – über Ost­frau­en in Coro­na­zei­ten zu bestätigen.

Eine Rezen­si­on kann kei­ne Inhalts­an­ga­be sein und auch nicht alle Bei­trä­ge in einem Sam­mel­band umfäng­lich wür­di­gen, auch wenn sie es ver­die­nen. Es muss aber ange­führt wer­den, was eine inter­es­sier­te Leser­schaft fin­den kann. Da ist zunächst anzu­mer­ken, dass das Buch in zwei the­ma­ti­sche Kapi­tel geteilt ist, ers­tens in all­ge­mei­ne­re Bei­trä­ge, zwei­tens in spe­zi­el­le­re Unter­su­chun­gen. Doch sind die Über­gän­ge fließend.

Mario Keß­ler geht in sei­nem Bei­trag dem Ver­hält­nis zwi­schen Ost- und West­emi­gran­ten in der SED-Grün­der­ge­nera­ti­on nach. Das The­ma ist kei­nes­wegs kei­nes­wegs genü­gend erforscht. So ist die Fra­ge zu stel­len, ob mit den Aus­gren­zun­gen der aus dem Wes­ten Zurück­ge­kom­me­nen (wie der hier geblie­be­nen wie Hein­rich Dei­ters und der aus den KZ und Zucht­häu­sern Befrei­ten) bewusst bestimm­te Fra­ge­stel­lun­gen eli­mi­niert bzw. gar erst zuge­las­sen wer­den soll­ten. Klar ist aber, dass alle drei Grup­pen weni­ger ver­traut waren mit dem sowje­ti­schen Par­tei­den­ken als etwa die Absol­ven­ten der NKFD-Umer­zie­hungs­schu­len, die sys­te­ma­tisch in bestimm­ten Berei­chen auf­stie­gen, wie übri­gens auch die ver­trie­be­nen „Umsied­ler“, die nichts mehr zu ver­lie­ren hatten.

Was das meint, zeigt der Text von Hans-Chris­toph Rauh, der die phi­lo­so­phi­sche Jubi­lä­ums­kul­tur als Wan­del in den phi­lo­so­phi­schen Grund­the­sen vor­stellt. Jubi­lä­ums­kul­tur in ihren Wider­sprü­chen am Bei­spiel der Musik Beet­ho­vens behan­delt Ulrich Busch. Es feh­len in dem Rei­gen die Luther- und Münt­zer­eh­run­gen, aber auch, um noch ein­mal auf das The­ma Säku­la­ri­sie­rung hin­zu­wei­sen, die sich tra­die­ren­den Berei­che der Fei­er­kul­tur, etwa die Jugend­wei­he, aber auch die Bestat­tungs­kul­tur, bei­des Phä­no­me­ne einer ehe­mals frei­den­ke­ri­schen Gegen­kul­tur, die in der DDR in gewis­ser Hin­sicht „ver­staat­licht“ wurde.

Glei­cher­ma­ßen ein­ver­nom­men und ihrer christ­li­chen Tra­di­ti­on ent­klei­det wur­den die­je­ni­gen Akteu­re in Par­tei und Staat, die in den 1920er Jah­ren dem „Bund reli­giö­ser Sozia­lis­ten Deutsch­lands“ ange­hör­ten oder nahe­stan­den. Das ist ein The­ma für sich. Doro­thea Röse­berg führt das Wir­ken eines der bekann­tes­ten Mit­glie­der in ihrem Bei­trag zur Höf­lich­keits­kul­tur vor – Karl Klein­schmidt: „Kei­ne Angst vor guten Sit­ten“, 1957 ff. – ohne auf sei­ne Bio­gra­phie ein­zu­ge­hen. Immer­hin war er füh­ren­des Mit­glied in Thü­rin­gen („Ära Klein­schmidt“ 1931–1933) Sein Wir­ken in der SBZ, dann in der DDR und der Kir­che in der DDR bedarf eben­so der Erfor­schung wie sein Ein­fluss auf Kon­gres­se über Hut­ten, Schil­ler, Luther und Müntzer.

Dia­ne Bar­be und Rein­hold Vie­hoff bespre­chen in ihren Bei­trä­gen das The­ma „Ber­lin“ bzw. Fern­seh­sen­dun­gen „Poli­zei­ruf 110“ und „Tat­ort“ medi­en­wis­sen­schaft­lich und hin­sicht­lich der ideo­lo­gi­schen Ost-West-Auseinandersetzungen.

Adjai Olouk­po­na wirft aus der Per­spek­ti­ve eines afri­ka­ni­schen Ger­ma­nis­ten einen res­tro­spek­ti­ven Blick auf die DDR-Afri­ka­wis­sen­schaf­ten und deren Wir­kung auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Der fran­zö­si­sche His­to­ri­ker Nico­las Offen­stadt plä­diert für eine sym­me­tri­sche Anthro­po­lo­gie und Geschichts­schrei­bung und gegen Unter­schei­dun­gen von Ver­lie­rern, Besieg­ten oder Gewin­nern der Geschich­te. Die­ses Her­an­ge­hen erlaubt ihm – illus­triert durch zahl­rei­che Foto­gra­phien – eine „Dia­lek­tik von Aus­lö­schen, Wider­stand und Neu­erfin­dung der Spu­ren der DDR“ (S. 273).

In ihrem abschlie­ßen­den Bei­trag fas­sen die bei­den Her­aus­ge­be­rin­nen die Ergeb­nis­se der Tagung aus ihrer Sicht zusam­men „Anstel­le eines Nach­wor­tes. Sozio­kul­tu­rel­ler Wan­del in der DDR. Ein Bei­trag zur Moder­ne­dis­kus­si­on“ (S. 305–340). Sie kom­men zu dem Ergeb­nis, dass erst ein Ver­gleich zwi­schen kapi­ta­lis­tisch und sozia­lis­tisch orga­ni­sier­ten Moder­ne-Vari­an­ten das geschei­ter­te Sys­tem in einer welt­wei­ten Ver­gleichs­per­spek­ti­ve ver­or­ten bzw. in einen zukünf­ti­gen glo­ba­len Dis­kurs der Moder­ne ein­brin­gen kann.

Dem ist unbe­dingt abschlie­ßend hin­zu­zu­fü­gen, dass die DDR im ost­eu­ro­päi­schen und sowje­ti­schen Sozia­lis­mus stets eine Son­der­stel­lung hat­te, weil ihre Bevöl­ke­rung zu den Kriegs­ver­lie­rern gehör­te und nach wie vor Deut­sche waren. Da wäre dann ers­tens das kul­tu­rell Ande­re zu wür­di­gen, was die DDR immer von den „Öst­li­che­ren“ unter­schied und sie „west­lich“ mach­te, was ihnen im Wes­ten in der Regel abge­spro­chen wurde.

Zwei­tens ist auch das Schei­tern des Gesell­schafts­expe­ri­ments der DDR zu rela­ti­vie­ren und kla­rer zu benen­nen, was zum Unter­gang tat­säch­lich wesent­lich bei­trug und was allein dar­aus folg­te, dass sich die Sowjet­uni­on geo­po­li­tisch über­nom­men hat­te (und die DDR fal­len ließ) und die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei seit ihrer Macht­über­nah­me nie in der Lage oder gar Wil­lens war, öko­no­mi­sche, sozia­le, poli­ti­sche, kul­tu­rel­le usw. – jeden­falls moder­ne – Wert­vor­stel­lun­gen der west­li­chen Arbei­ter­be­we­gung anzu­er­ken­nen. Von Chrust­schow berich­tet sein Sohn Ser­geij, dass er sich vor dem Mau­er­bau ernst­lich wun­der­te, war­um die west­deut­schen Arbei­ter nicht in Mas­sen in die DDR über­sie­deln, son­dern umgekehrt.

Die DDR als kul­tur­his­to­ri­sches Phä­no­men zwi­schen Tra­di­ti­on und Moder­ne. Hrsg. von Doro­thee Röse­berg / Moni­ka Wal­ter. Ber­lin: tra­fo Wis­sen­schafts­ver­lag 2020, 343 S. (Abhand­lun­gen der Leib­niz-Sozie­tät der Wis­sen­schaf­ten, Band 63). ISBN 978–3‑86464–214‑2, 39,80 €

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