Vorwort HAD 2 Bestattungskultur

Huma­nis­ti­sche Bestat­tungs­kul­tur – Geschich­te und Per­spek­ti­ven welt­li­chen Abschied­neh­mens hieß eine Kon­fe­renz am 12. und 13. Juni 2009 in Han­no­ver. Ver­an­stal­ter waren die Huma­nis­ti­sche Aka­de­mie Deutsch­land (HAD) in Zusam­men­ar­beit mit dem Huma­nis­ti­schen Ver­band Nie­der­sach­sen (HVD NI) und der dor­ti­gen (kurz vor­her gegrün­de­ten) Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Nie­der­sach­sen (HANI). Es tra­fen sich Wis­sen­schaft­ler zu den gefrag­ten Fach­ge­bie­ten, im Bestat­tungs­we­sen täti­ge Inter­es­sier­te sowie Spre­cher und Spre­che­rin­nen von Trau­er­re­den. Hin­zu gesell­ten sich Ver­ant­wort­li­che und Mit­glie­der des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands (HVD) aus dem Bun­des­ge­biet und Ver­tre­ter und Ver­tre­te­rin­nen von Fachverbänden.

Die Kon­fe­renz begann mit einer Ein­füh­rung in die Begleit­aus­stel­lung Herz­li­ches Bei­leid, einer Post­kar­ten­samm­lung von Kay Blu­men­thal-Bar­by (Göt­tin­gen), die sich im Archiv des HVD Ber­lin befin­det. Blu­men­thal-Bar­by, Arzt und Ethi­ker, hat Zeit sei­nes Lebens Kon­do­lenz­schrei­ben aus der gan­zen Welt gesam­melt, den Umstän­den der deut­schen Tei­lung ent­spre­chend zwar vor­wie­gend sol­che der DDR, aber die­se Aus­stel­lung mit ihren zehn Tafeln und fünf Vitri­nen zeigt ein Jahr­hun­dert Geschich­te und prä­sen­tiert Inter­na­tio­na­li­tät, sie hat sogar einen USA-Schwer­punkt. Sie zeigt zudem, je mehr sie die Gegen­wart vor­führt, wie ähn­lich hier die Trau­er­kul­tu­ren wer­den, auch wenn sich beson­ders katho­li­sche Regio­nen noch etwas abhe­ben.[1]

Der Prä­si­dent des HVD Nie­der­sach­sen, Hero Jan­ßen, Anglis­tik­pro­fes­sor in Braun­schweig, eröff­ne­te die Tagung. Alle Bei­trä­ge der Kon­fe­renz sind im vor­lie­gen­den Sam­mel­band ent­hal­ten. Sie wer­den durch drei Bei­trä­ge ergänzt, die dem Her­aus­ge­ber freund­li­cher­wei­se zur Publi­ka­ti­on über­las­sen wur­den und die dem The­ma wesent­li­che Aspek­te hin­zu­fü­gen: Hubert Can­cik ver­weist auf Ursprün­ge huma­nis­ti­scher Bestat­tungs- und Trau­er­kul­tur-Debat­ten in der vor­christ­li­chen Anti­ke. Hart­mut Kreß beschreibt den Dis­kus­si­ons­stand zur Plu­ra­li­sie­rung des deut­schen Bestat­tungs­we­sens aus pro­tes­tan­tisch-ethi­scher Sicht. Andrea Rich­au stellt ihren Vor­trag über Trau­er­ri­tua­le in Alten­hei­men zur Ver­fü­gung. Auch der abschlie­ßen­de Bei­trag des Her­aus­ge­bers wur­de auf der Kon­fe­renz so nicht gehal­ten, son­dern lag in einer Vor­fas­sung der Kon­fe­renz­map­pe bei.[2]

Am ers­ten Kon­fe­renz­tag refe­rier­te Nor­bert Fischer zur Geschich­te der welt­li­chen Bestat­tungs­kul­tur, gefolgt von Joa­chim Kahl mit Über­le­gun­gen zur Begrün­dung einer welt­lich-huma­nis­ti­schen Bestat­tungs­kul­tur. Der nächs­te Vor­mit­tag wid­me­te sich eben­falls noch wis­sen­schaft­li­chen Erwä­gun­gen. Die Anwe­sen­den folg­ten dem Vor­trag von Rei­ner Sör­ries über die Zukunft der Fried­hö­fe zwi­schen Säku­la­ri­sie­rung, Wert­ori­en­tie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung sowie den Aus­füh­run­gen von Jane Red­lin über Welt­li­che Bestat­tun­gen aus eth­no­lo­gi­scher Sicht. Mit Ste­phan Hadra­scheks Refe­rat über Neue Bestat­tungs­for­men in unse­rer Gesell­schaft wur­de in den pra­xis­ori­en­tier­ten Teil der Tagung übergeleitet.

Dazu spra­chen dann Regi­na Mals­kies über den Huma­nis­ti­schen Bestat­tungs­hain auf dem Wald­fried­hof in Ber­lin-Zehlen­dorf, Jür­gen Spring­feld infor­mier­te über die Spre­cher-Aus­bil­der des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Nord­rhein-West­fa­len und der Lan­des­spre­cher der Huma­nis­ten Würt­tem­berg (Stutt­gart) Andre­as Hen­schel berich­te­te über die Pra­xis welt­li­cher Trau­er­kul­tur in sei­nem Ver­band. Alle drei Bei­trä­ge gin­gen auf die beson­de­ren Anfor­de­run­gen ein, vor denen welt­lich-huma­nis­ti­sche Spre­cher und Spre­che­rin­nen ste­hen, näm­lich den ver­stor­be­nen Men­schen ins Zen­trum des ritu­el­len Han­delns zu rücken, und dar­auf, wel­che nach­weis­li­chen Ver­än­de­run­gen die­se Kon­zen­tra­ti­on huma­nis­ti­scher Trau­er­fei­ern auch bei christ­li­chen Beer­di­gungs­fei­ern bewirkt hat.

Strit­tig blieb die von Jane Red­lin schon auf der Kon­fe­renz der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin zur welt­li­chen Bestat­tungs­kul­tur 2002 ver­tre­te­ne The­se, dass die „pri­va­ten säku­la­ren Bestat­tun­gen“ sich aus dem „kirch­li­chen Ver­sor­gungs­kon­text“ – v.a. dem pro­tes­tan­ti­schen – her­aus­lös­ten. Sie zeich­ne eine „ten­den­zi­el­le ritu­el­le Ver­ar­mung“ aus.[3] Eine Kri­tik die­ser Kri­tik spitzt sich seit ihrer Erst­pu­bli­ka­ti­on auf den Kern zu, die Autorin ken­ne die huma­nis­ti­sche Pra­xis (im Wes­ten) zu wenig und zöge ihre Schlüs­se aus der Ana­ly­se Ost­deutsch­lands, v.a. der DDR.[4]

Doch ein sol­ches Urteil kann sich eben­so wenig auf eine nach­prüf­ba­re Ana­ly­se stüt­zen (es gibt hier wie auf ande­ren Kul­tur­fel­dern kei­ne Ost-West-Ver­glei­che), wie es kei­ne spe­zi­el­len Stu­di­en gibt, wie die Anfän­ge welt­li­chen Bestat­tens und deren Her­aus­wach­sen aus christ­li­chen For­men denn nun von­stat­ten gin­gen – was tra­diert und was inno­viert wur­de. Nor­bert Fischer ver­weist in sei­nem Bei­trag auf gemein­sa­me Ursprün­ge und eine Stu­die von Anja Kirsch, die struk­tu­rel­le Ähn­lich­kei­ten, aber deut­li­che inhalt­li­che Unter­schie­de feststellt.

Doch hängt eine jede Bewer­tung auch davon ab, wel­cher Ritu­al­be­griff ein­ge­setzt wird, einer, der sich an reli­giö­sen Riten ori­en­tiert, oder einer, der – um es sehr ver­ein­facht aus­zu­drü­cken – auch in der Gewohn­heit des Zäh­ne­put­zens ein Ritu­al zu sehen glaubt.

Ein nach­prüf­ba­res Urteil ist hier aber auch des­halb wei­ter­hin schwie­rig, weil sich der Bestat­tungs­markt selbst in gro­ßen Ver­än­de­run­gen befin­det, wie beson­ders die Bei­trä­ge von Rei­ner Sör­ries und Ste­phan Hadra­schek bele­gen. Die Wir­bel im Bestat­tungs­we­sen rei­ßen der­zeit die dezi­diert christ­li­chen Ange­bo­te in ihre Krei­sel hin­ein, wie geän­der­te Hal­tun­gen zur Feu­er­be­stat­tung und zu anony­men Bestat­tun­gen zei­gen und der Bei­trag von Hart­mut Kreß deut­lich macht. Das lässt ideo­lo­gi­sche Abgren­zun­gen, wie sie wäh­rend des Kal­ten Ost-West-Krie­ges auch im Bestat­tungs­we­sen wirk­sam waren[5], in neu­em Licht erschei­nen – gera­de des­halb feh­len wohl ver­glei­chen­de Studien.

Für den nun fast ein Jahr­zehnt mit Hil­fe der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie andau­ern­den inner-huma­nis­ti­schen Dia­log wie­der­um war der frü­he Text von Red­lin inso­fern wich­tig gewe­sen[6], als er die noch viel schär­fe­re – damals kei­nes­wegs ein­hel­lig posi­tiv beant­wor­te­te – Fra­ge impli­zier­te, ob über­haupt von huma­nis­ti­schen Ritua­len gespro­chen wer­den kön­ne, zum einen, weil eine „aus­glei­chen­de Gemein­schafts­idee“ ana­log zu einer Gemein­schaft stif­ten­den reli­gio (im Sin­ne von „Rück-Bin­dung“, Spi­ri­tua­li­tät) feh­le; und zum and­ren, weil der frei­den­ke­ri­sche Huma­nis­mus doch sowie­so alle Ritua­le ableh­ne, weil alle Riten Reli­gi­on trans­por­tie­ren wür­den, aber doch eine Befrei­ung von Reli­gi­on das letz­te frei­den­ke­ri­sche Ziel sei.[7]

Hier zeig­te die Kon­fe­renz 2009 gegen­über der von 2002 und den noch vor einem Jahr­fünft publi­zier­ten Tex­ten in huma­nis­mus aktu­ell drei für den aktu­el­len orga­ni­sier­ten Huma­nis­mus bedeut­sa­me Fort­schrit­te, die, das muss hier ange­merkt wer­den, auch mit Tagungs­er­geb­nis­sen zusam­men­hän­gen, die Jugend­wei­hen zum Gegen­stand hat­ten.[8]

Ers­tens wird aktu­ell nicht mehr in Fra­ge gestellt, ob der Huma­nis­mus über­haupt Ritua­le haben soll­te. Ledig­lich Joa­chim Kahl trug den Gedan­ken vor, bei den huma­nis­ti­schen Fei­ern nicht von Ritua­len, son­dern von „sym­bo­li­schen Hand­lun­gen“ zu spre­chen. Nun zeich­nen sich Ritua­le aber gera­de dadurch aus, dass sie sym­bo­li­sche Hand­lun­gen sind.[9] Das Pro­blem der nöti­gen Ritu­al­ver­glei­che steht dem­zu­fol­ge wei­ter im Raum.

Zwei­tens wur­de auf der Kon­fe­renz 2009, so weit von der Bestat­tungs­kul­tur des HVD die Rede war, Huma­nis­mus als Ideen­gut einer „Welt­an­schau­ungsgemein­schaft“ vor­ge­stellt. Die­se Bekennt­nisori­en­tie­rung bedeu­tet eine Wie­der­ent­de­ckung der „kon­fes­sio­nel­len Ten­denz“, die dem orga­ni­sier­ten Huma­nis­mus auf­grund sei­ner Pra­xis von außen zuge­schrie­ben und zuneh­mend auch von innen gese­hen wird, die sei­ne frei­den­ke­ri­schen und frei­re­li­giö­sen Vor­gän­ger in den 1920ern schon ein­mal als sol­che ent­wi­ckel­ten – auch wenn sie damals wie die orga­ni­sier­ten Huma­nis­ten heu­te nach wie vor und aus guten Grün­den den kirch­lich deter­mi­nier­ten Begriff der „Kon­fes­si­on“ ableh­nen.[10]

Drit­tens zeig­te sich erneut, dass eine Ana­ly­se eige­ner Pra­xis auch zu Fort­schrit­ten in der Theo­rie­bil­dung führt, was umge­dreht bedeu­tet: Wo kei­ne ent­fal­te­te huma­nis­ti­sche Pra­xis vor­han­den ist, dort fin­det sich höchs­tens eine sehr all­ge­mei­ne Theo­rie. Die Tagung fand ja gera­de statt, um auf einem Pra­xis­feld Befun­de zusam­men zu fas­sen und dazu Kri­tik und Rat­schlä­ge von Exper­ten einzuholen

In der Abschluss­dis­kus­si­on wur­de her­aus­ge­stellt, dass die zuneh­men­de Säku­la­ri­sie­rung der Gesell­schaft ihren Nie­der­schlag noch nicht in öffent­li­chen Toten­fei­ern fin­det, z.B. für die Amok-Toten von Erfurt und Win­nin­gen. Ledig­lich öku­me­ni­sche Gedenk­fei­ern fän­den nach sol­chen Ereig­nis­sen statt und die­se meist in Kir­chen. Dies schlie­ße Nicht­gläu­bi­ge und anders als christ­lich Reli­giö­se aus und kön­ne auf Dau­er so nicht hin­ge­nom­men werden.

Fuß­no­ten

  1. Die Aus­stel­lung wur­de erst­mals 2004 in Ber­lin und im Novem­ber 2009 bei den Huma­nis­ten Würt­tem­berg in Stutt­gart gezeigt. Der Kata­log kann dort zum Selbst­kos­ten­preis von 5 Euro zuzüg­lich der Por­to­kos­ten ange­for­dert wer­den.
  2. Das Schluss­wort fin­det sich auf You­tube, vgl. http://www.youtube.com/watch?v=0eu0ZE4pM0s (Zugriff am 17.2.2010).
  3. So schon 2002 bei Jane Red­lin: Ritual­cha­rak­ter und Ent­ri­tua­li­sie­rung welt­li­cher Bestat­tun­gen. In: Welt­li­che Bestat­tungs­kul­tur. Hrsg. von der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Ber­lin 2002, S.23 (= huma­nis­mus aktu­ell, Zeit­schrift für Kul­tur und Welt­an­schau­ung, H. 11).
  4. Vgl. Jane Red­lin: Säku­la­re Toten­ri­tua­le. Toten­eh­rung, Staats­be­gräb­nis und pri­va­te Bestat­tung in der DDR. Ber­lin 2009.
  5. Staat­li­cher­seits wur­den Ereig­nis­se in den 1950ern in der DDR so bewer­tet, als sei die Bun­des­re­pu­blik ein von den Kir­chen beauf­trag­tes Inter­es­sen­or­gan. – Vgl. die Aus­füh­run­gen über DDR-Ritua­le gene­rell und beson­ders „Grab­wei­he“ in: Pseu­do­sa­kra­le Staats­ak­te in der Sowjet­zo­ne. Hrsg. vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesamt­deut­sche Fra­gen. Bonn u. Ber­lin (ca. 1958).
  6. Hier ist auf den noch frü­he­ren Text zum The­ma zu ver­wei­sen bei Ulrich Nan­ko: Reli­giö­se und welt­li­che Fes­te. In: Fes­te und Fei­ern. Hrsg. von der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Ber­lin 1998, 2. Jg., H. 2, S. 28–33 (= huma­nis­mus aktu­ell).
  7. Im ein­lei­ten­den Kom­men­tar „Kei­ne Ritua­le“ von Wer­ner Schultz in der 11. Aus­ga­be von „huma­nis­mus aktu­ell“ (S. 7) „Welt­li­che Bestat­tungs­kul­tur“ stand noch zu lesen: Ein „welt­li­ches Ritu­al ist ein Wider­spruch in sich.“
  8. Vgl. Jugend­wei­he / Jugend­fei­er. Hrsg. von der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Ber­lin 2000, 4. Jg., H. 7, S. 35–49 (= huma­nis­mus aktu­ell). – Renais­sance der Ritua­le? Die Funk­ti­on tra­di­tio­nel­ler Pas­sa­ge­ri­ten in aktu­el­len Jugend­kul­tu­ren. Dia­lo­ge über Fir­mun­gen, Kon­fir­ma­tio­nen, Jugend­wei­hen und Jugend­fei­ern. Hrsg. von der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Ber­lin 2003, 7. Jg., H. 13, (= huma­nis­mus aktu­ell).
  9. Vgl. Ulrich Steu­ten: Das Ritu­al in der Lebens­welt des All­tags. Gie­ßen 1998. Der Autor gibt, im Anklang an Edmund Leach, der Ritua­le als kul­tu­rell defi­nier­te sym­bo­li­sche Ver­hal­tens­wei­sen beschrieb, dem Ritu­al eine kon­sti­tu­ti­ve Funk­ti­on bereits für den All­tag – und dann erst recht für fei­er­täg­li­che Her­vor­he­bun­gen aus die­sem. – Vgl. Edmund Leach: Kul­tur und Kom­mu­ni­ka­ti­on. Zur Logik sym­bo­li­scher Zusam­men­hän­ge. Frank­furt a.M. 1978.
  10. Vgl. Umwor­be­ne „drit­te Kon­fes­si­on“. Befun­de über die Kon­fes­si­ons­frei­en in Deutsch­land. Hrsg. von der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Ber­lin 2006, 10. Jg., H. 18 (= huma­nis­mus aktu­ell, Hef­te für Kul­tur und Welt­an­schau­ung).

Quel­le: Horst Gro­schopp: Vor­wort. In: Ders. (Hrsg.): Huma­nis­ti­sche Bestat­tungs­kul­tur. Aschaf­fen­burg: Ali­bri Ver­lag 2010, S. 7–11 (Schrif­ten­rei­he der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie Deutsch­land, Bd. 2).