Der ganze Mensch, der Humanismus und die DDR

mensch_groschopp_72.jpgNach drei Jah­ren Fleiß ohne Blut und Trä­nen, aber mit vie­len Über­ra­schun­gen in Archi­ven, Gesprä­chen und gro­ßem Dank an alle, die anreg­ten, ermun­ter­ten, kri­ti­sche Kom­men­ta­re gaben oder ein­fach nur „da war­ten wir mal ab“ mein­ten, ist pünkt­lich zum Som­mer­an­fang, genau­er: am „Huma­nis­ten­tag“ 2013, mei­ne doch sehr umfäng­lich gewor­de­ne Stu­die „Der gan­ze Mensch“ im Mar­bur­ger „Tec­tum Ver­lag“ erschienen.

Der Titel

Horst Gro­schopp: Der gan­ze Mensch. Die DDR und der Huma­nis­mus. Ein Bei­trag zur deut­schen Kul­tur­ge­schich­te. Mar­burg: Tec­tum Ver­lag 2013, 559 S., 24,95 €, ISBN 978–3‑8288–3163‑6

Es ist eigent­lich ein Buch über Huma­nis­mus gene­rell. Wo gibt es gegen­wär­tig sol­che Stu­di­en – noch dazu in einem nur for­mal wie­der­ver­ei­nig­ten Land, wo man der Kanz­le­rin vor­wirft, in der FDJ gewe­sen zu sein, anstatt umge­kehrt zu fra­gen, was sie da eigent­lich gelernt hat? Das kann ja so oder so aus­ge­legt wer­den. Doch wie­so muss­te die DDR-Bevöl­ke­rung nicht umer­zo­gen wer­den? War das nicht viel­leicht eine Fol­ge der dor­ti­gen Ver­an­stal­tun­gen im Namen von Huma­nis­mus – sol­che und jene?

Der Titel lei­tet sich direkt von die­sem kul­tur­po­li­ti­schen Autor und Buch her:
„Von jetzt ab wer­den wir die­sen gan­zen Kom­plex tie­fer durch­den­ken müs­sen, beson­ders im Hin­blick auf den Aus­bau kon­stan­ter und sys­te­ma­ti­scher Bemü­hun­gen um die Ver­ein­heit­li­chung aller unse­rer Maß­nah­men in bezug auf den ‘gan­zen Men­schen’, der in Gestalt des Arbei­ters vor uns steht.“
Alfred Kurel­la: Der gan­ze Mensch (1969)

Eini­ge dem Zitat his­to­risch vor­aus­ge­hen­de Kern­sät­ze über den „gan­zen Menschen“:

Der wah­re Zweck des Men­schen … ist die höchs­te und pro­por­tio­nir­lichs­te Bil­dung sei­ner Kräf­te zu einem Gan­zen. Zu die­ser Bil­dung ist Frei­heit die ers­te und uner­läss­li­che Bedin­gung. … Auch der frei­es­te und unab­hän­gigs­te Mensch, in ein­för­mi­ge Lagen ver­setzt, bil­det sich min­der aus.“
Wil­helm von Hum­boldt: Ideen zu einem Ver­such, die Grän­zen der Wirk­sam­keit des Staa­tes zu bestim­men (1792/93)

Der gan­ze Mensch ist die mit den man­nich­fal­tigs­ten Anla­gen und Kräf­ten zu Einem wun­der­ba­ren Gan­zen ver­ei­nig­te Ver­nunft: die voll­ende­te all­sei­ti­ge und har­mo­ni­sche Aus­bil­dung die­ses Einen Gan­zen ist das Ide­al der Mensch­heit, dem wir den alten oft ver­kann­ten ehr­wür­di­gen Namen der Huma­ni­tät mit Recht erhalten.“
Fried­rich Imma­nu­el Niet­ham­mer: Der Streit des Phil­an­thro­pi­nis­mus und des Huma­nis­mus in der Theo­rie des Erzie­hungs-Unter­richts uns­rer Zeit (1808)

Der Sozia­lis­mus erzeugt also einen voll­wer­ti­gen und all­sei­tig ent­wi­ckel­ten Menschen …“.
Niko­lai I. Bucha­rin: Der Sozia­lis­mus und sei­ne Kul­tur (1937)

Die Sowjet­päd­ago­gik hat seit 30 Jah­ren bewie­sen, daß die Erzie­hung sol­cher all­sei­tig gebil­de­ten Men­schen auf der Grund­la­ge des sozia­lis­ti­schen Huma­nis­mus tat­säch­lich ver­wirk­licht wer­den kann“. Hans Sie­bert: Neue Leh­rer im Kampf um die Erfül­lung des Zwei­jahr­plans (1948)

Einige Reaktionen

Der ers­te öffent­li­che, nicht vom Ver­lag selbst stam­men­de Hin­weis ist von Eve­lin Frerk auf Face­book. Sie führt mich freund­li­cher­wei­se auch auf ihrer Huma­nis­ten-Por­trät-Sei­te who-is-hu.

Die ers­te Rezen­si­on stammt von Dr. Isol­de Diet­rich und ist auf “kulturation.de” erschie­nen, eine wei­te­re (Sieg­fried R. Krebs) ver­öf­fent­lich­te der Huma­nis­ti­sche Pres­se­dienst.
Auf diesseits.de erschien ein Inter­view mit dem Autor über das Buch.

Eine redak­tio­nel­le Notiz erschien in der MIZ 3/2013. Wei­te­re Rezen­sio­nen erschie­nen von Bar­ba­ra Zehn­pfen­nig im „Jahr­buch Extre­mis­mus und Demo­kra­tie“ 26/2014, von Kurt Schnei­der in „Leip­zigs Neue“ März/2014, von Tobi­as Knob­lich in „Kul­tur­po­li­ti­sche Mit­tei­lun­gen“ 146/2014, von Sieg­fried Prokop in „Mit­tei­lun­gen des För­der­krei­ses Archi­ve und Biblio­the­ken zur Geschich­te der Arbei­ter­be­we­gung“ 14/2014, von Ralf Schöpp­ner in „Auf­klä­rung und Kri­tik“ 1/2014, von Heinz-Bern­hard Wohlf­arth in „Das Argu­ment“ 313/2015.

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