Fest, Feier, Ritual – Grundsätzliches

Beschreibung: Fest Feier Ritual

Die Wor­te Fei­er und Fest wer­den meist syn­onym ver­wen­det. Sie bezeich­nen eine aus dem All­tag sich abhe­ben­de, zeit­lich begrenz­te sozia­le Akti­vi­tät, in der Indi­vi­du­en, Gemein­schaf­ten und Gesell­schaf­ten aus diver­sen Anläs­sen her­aus und mit Absich­ten ver­se­hen, ein mehr oder min­der detail­liert insze­nier­tes Ereig­nis bege­hen im Spek­trum von Fei­er­abend bis Fest­tag [Schultz 1988].

Wenn man den Begriff Ritu­al aus sei­ner tra­dier­ten reli­giö­sen Ver­an­ke­rung (Riten) und For­schungs­tra­di­ti­on löst, wie es in den moder­nen Wis­sen­schaf­ten zur Kul­tur und Reli­gi­on der­zeit geschieht [Dücker 2007], kön­nen Fei­ern als kom­ple­xe Ritua­le ver­stan­den wer­den, die, beschlos­sen und gerahmt, regel­haft ablau­fen, wie­der­hol­bar sind und vor allem „Publi­kum“ ver­lan­gen, um ein­ge­spiel­te Rou­ti­nen für einen signi­fi­kan­ten Zeit­raum in der fei­ern­den Gemein­schaft zu unterbrechen.

Die Bedin­gung, ein Audi­to­ri­um haben zu müs­sen, das zuschaut oder selbst mit agiert – die dafür nöti­ge Per­so­nen­zahl rich­tet sich nach den Erwar­tun­gen und Funk­tio­nen des Fes­tes –, lässt den Plan, den Wunsch nach Teil­ha­ben­den zu erfül­len, zwi­schen abso­lu­ter Frei­wil­lig­keit der Teil­nah­me (Kauf einer Ein­tritts­kar­te) und zwangs­wei­ser gesell­schaft­li­cher Auf­merk­sam­keit (Anwe­sen­heits­pflicht) variieren.

Inwie­fern und mit wel­chen Mit­teln die Sphä­re der Arbeit, des Zufalls, des Man­gels, der Ruhe, der Gewohn­heit ersetzt wird durch die der Muße, der Insze­nie­rung, der Fül­le, des Exzes­ses, der Emo­tio­na­li­tät, hängt wesent­lich von den For­men und Räu­men (Knei­pe, Kir­che, Kul­tur­haus) ab, in denen Ritua­le durch­ge­führt, selbst „gemacht“ und erfah­ren wer­den als ein­fa­che Ritua­li­sie­run­gen durch sti­li­sier­te Gebär­den und Kör­per­hal­tun­gen, als eine wirk­li­che oder sym­bo­li­sche Mahl­ge­mein­schaft, als Anstands- und Ver­hal­tens­re­geln all­ge­mein und kon­kret wäh­rend der Fei­er, als vor­ge­schrie­be­ne Zere­mo­nien (oder gar Lit­ur­gien), als mög­li­cher­wei­se dar­in ein­ge­wo­be­ne Magien oder als den übli­chen Ver­lauf einer Par­ty oder Fete. Immer spie­len Klei­dung (Pries­ter­ge­wand, Fan­be­klei­dung), Hand­lun­gen (Sin­gen, Klat­schen, Nie­der­knien) und dabei benutz­te Gegen­stän­de (Trink­be­cher, Fah­nen) eine wich­ti­ge Rolle.

Für den Huma­nis­mus sind Ritua­le Erschei­nun­gen in Kul­tu­ren. Er steht Fei­ern kri­tisch gegen­über, in denen Men­schen ihrer Selbst­be­stim­mung beraubt oder/und reli­gi­ös, ras­sis­tisch oder sexis­tisch ver­ein­nahmt wer­den. Er hat eige­ne Fei­ern und Fes­te. Vom eher exklu­si­ven jähr­li­chen ‚Welthu­ma­nis­ten­tag“ („World Huma­nist Day“) am 21. Juni abge­se­hen, 1986 von der Inter­na­tio­na­len Huma­nis­ti­schen und Ethi­schen Uni­on (IHEU) ins Leben geru­fen und gebun­den an das astro­no­mi­sche Ereig­nis der Som­mer­son­nen­wen­de, sind damit beson­ders all die­je­ni­gen Ver­an­stal­tun­gen gemeint, in denen Ver­samm­lun­gen an die Men­schen­rech­te appel­lie­ren und/oder deren Ent­ste­hung und Exis­tenz würdigen.

Dar­über hin­aus steht der Huma­nis­mus all den­je­ni­gen Ritua­len offen gegen­über, die zur Gemein­schafts­bil­dung bei­tra­gen, Per­sön­lich­keit för­dern und den Zwei­fel zulas­sen, die sich der Freund­schaft oder Lie­be ver­ge­wis­sern, Glück zum Aus­druck brin­gen oder in dem sie die Huma­ni­sie­rung zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen ein­fach schon dadurch vor­an­brin­gen, dass sie Kom­mu­ni­ka­ti­on organisieren.

Hin­zu kommt, dass huma­nis­ti­sche Gemein­schaf­ten und Ver­bän­de eine eige­ne Fest­kul­tur ent­wi­ckelt haben, in denen vor allem Über­gangs­ri­tua­le favo­ri­siert und ins Erha­be­ne über­höht wer­den [van Gen­nep 1999]. Sie bie­ten Namens­ge­bun­gen, Jugend­wei­hen [Ise­mey­er 2014], Hoch­zei­ten und Bestat­tungs­fei­ern an, und dies aus Zwe­cken der Lebens­hil­fe oder ein­fach um dem Bedürf­nis nach­zu­ge­ben, ande­ren Men­schen als Mensch nahe zu sein, um Gemein­sa­mes zu füh­len, unab­hän­gig von Beruf, Rang, Besitz, Pri­vi­leg: „Gemein­schaft ist, wo Gemein­schaft geschieht.“ [Buber 1992, S. 185]

Ritualforschung

Die Lite­ra­tur über Ritua­le ist nahe­zu unüber­seh­bar. Es herrscht eine „Infla­ti­on des Wort­ge­brauchs“ [Can­cik 1998, S. 443]. So gibt es eine brei­te Palet­te an publi­zier­ten Rat­schlä­gen mit zum Teil kru­den Her­lei­tun­gen kon­kre­ter Ritu­al­vor­schlä­ge, die den Ein­druck erzeu­gen, Ritua­le sei­en belie­big „mach­bar“. Dann zeigt sich ein star­ker Trend, mit Ritua­len päd­ago­gi­sche Pro­ble­me in den Schu­len lösen zu wol­len bzw. das Sozia­le, in das Kin­der ein­ge­bun­den sind und dass sie (in Gemein­schaf­ten) sozia­li­siert, als „per­for­ma­ti­ve Bil­dung“ durch Ritua­le zu begrei­fen und zu steu­ern. Schließ­lich fin­den sich ver­schie­de­ne ober­fläch­li­che Stu­di­en zur ein­sei­ti­gen Deu­tung, es gäbe auf Ritua­le bezo­gen heu­te eine weit­ge­hen­de Wahl­frei­heit, die Indi­vi­dua­li­sie­rung der Ritua­le sei erfolgt.

Auch die wis­sen­schaft­li­che Beschäf­ti­gung mit Ritua­len hat Kon­junk­tur [Caduf­f/Pfaff-Czarne­cka 1999]. So wird ver­sucht, mit­hil­fe des Ritu­al­be­griffs den struk­tu­rier­ten All­tag zu ent­schlüs­seln. Neue For­schungs­rich­tun­gen – wie Ritu­al­de­sign [Karolewski/Miczek/Zotter 2012] – wer­den dabei eta­bliert. Das bedeu­tet „kei­ne Rück­kehr zum Ritus“. Die neu­en Ana­ly­sen ste­hen kei­nes­wegs im Ver­dacht, „vom Geschmack am Irra­tio­na­len moti­viert zu sein“. Im Gegen­teil schwin­det „die Tabui­sie­rung des Ritu­als als bloß vor­mo­der­ner kul­tu­rel­ler Erschei­nungs­form der Unfrei­heit“. [Schäfer/Wimmer 1998, S. 10]

Ins Poli­ti­sche gewen­det gestat­te­te eine Kri­tik alles Ritu­al­haf­ten die Anti­zi­pa­ti­on, künst­li­che, zwang­haf­te, star­re und erdrü­cken­de For­men des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens zu über­win­den durch „freie“ Ritua­le. Inner­halb des Huma­nis­mus hat­ten beson­ders die Inter­pre­ta­ti­on der Evo­lu­ti­ons­theo­rie durch Juli­an Hux­ley [Hux­ley 1964] und die ver­glei­chen­de Ver­hal­tens­for­schung von Kon­rad Lorenz [Lorenz 1978] den Erkennt­nis­ge­winn, dass Ritua­le der Aggres­si­ons­kom­pen­sa­ti­on die­nen kön­nen, nicht vor allem inhalts­lee­re Zwangs­hand­lun­gen sind, wie Sig­mund Freud mein­te [Freud 1941].

Ritua­le waren bei Ėmi­le Durk­heim noch per Defi­ni­ti­on reli­giö­se Riten, „Ver­hal­tens­re­geln, die dem Men­schen vor­schrei­ben, wie er sich den hei­li­gen Din­gen gegen­über zu beneh­men hat“ [Durk­heim 1981, S. 67]. Die in den 1970er Jah­ren begin­nen­de „Über­set­zung“ von Reli­gi­on in Kul­tur ermög­lich­te in wei­ter füh­ren­der Inter­pre­ta­ti­on das rein Funk­tio­nel­le des Ritu­als zu beto­nen und es von den trans­por­tier­ten Inhal­ten (etwa den reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen) gedank­lich zu lösen.

Ver­gleicht man heu­ti­ge Ritu­al­theo­rien mit jenen an den Anfän­gen der Ritu­al­for­schung vor nicht mehr als hun­dert Jah­ren, fällt auf, wie wenig gegen­wär­ti­ge Theo­rien über das Ritu­al mit Reli­gi­on zu tun haben.“ [Krieger/Belliger 1998, S. 7]

So ver­such­te Ulrich Steu­ten [Steu­ten 1998], im Anklang an Edmund Leach [Leach 1978] – das Ritu­al als ein kul­tu­rell defi­nier­tes sym­bo­li­sches Ver­hal­ten beschrieb –, dem Ritu­al eine kon­sti­tu­ti­ve Funk­ti­on für den All­tag zu geben. Ritua­le wer­den bei Steu­ten zu fes­ten Bestand­tei­len eines spe­zi­fi­schen sozia­len Ver­fah­rens inner­halb der Inter­ak­ti­ons­sys­te­me einer moder­nen Gesell­schaft. Damit der All­tag den Men­schen gelin­gen kann, müs­se das Zusam­men­le­ben durch Ritua­le immer wie­der in einen „Zustand der Frag­lo­sig­keit“ zurück­ver­setzt werden.

Die größ­te Öff­nung des Ritu­al­be­griffs nahm Vic­tor Tur­ner vor [Tur­ner 1995]. Er ver­län­ger­te die Gren­zen des Ritu­el­len in den All­tag hin­ein, um dort nach krea­ti­vem Poten­zi­al für die Bewäl­ti­gung von mensch­li­chen Kri­sen („sozia­le Dra­men“) in Schwel­len­si­tua­tio­nen zu fra­gen. Ritua­le sind ihm Kul­tur­for­men der Dilem­ma-Klä­rung [Tur­ner 1989]. Er wand­te sei­ne The­sen auf die Unter­su­chung von Jugend­kul­tu­ren der 1960er Jah­re an.

Paul Ste­fa­nek wie­der­um nahm Ritua­le als „dra­ma­ti­sche Auf­füh­run­gen“, sah in ihnen den gestalt­ba­ren Umgang mit Abfol­gen und Hand­lun­gen in Raum und Zeit bei Tren­nung von Dar­stel­lern (Pries­tern) und Zuschau­ern (Gläu­bi­gen) in kom­pli­zier­ten Kul­ten und beson­ders in Ritua­len der Eksta­se [Ste­fa­nek 1992, S. 218, 221]. Ähn­li­ches fin­det sich in Schrif­ten zur „cul­tu­ral per­for­mance“ in den Medi­en­wis­sen­schaf­ten und der Ethnologie.

In Anleh­nung an die For­schungs­pra­xis der „cul­tu­ral stu­dies“ ent­stan­den die „ritu­al stu­dies“, vor­an­ge­trie­ben von Ronald L. Gri­mes. Schon bei Tie­ren gäbe es die „sti­li­sier­te, wie­der­hol­te Gebär­de und Kör­per­hal­tung“. Und dort, „wo die Bedeu­tung, die Kom­mu­ni­ka­ti­on oder die Per­for­mance wich­ti­ger wird als der funk­tio­na­le und prak­ti­sche Zweck, beginnt die Ritua­li­sie­rung.“ [Gri­mes 1998, S. 120] In die­sem Sinn wer­den bei Gri­mes ritu­el­le Aspek­te des Sports (Fuß­ball), der Poli­tik, der Mas­sen­me­di­en, der Kunst, des Thea­ters, der Recht­spre­chung, der Wer­bung und der Wis­sen­schaft unter­sucht. Im Mit­tel­punkt steht nun nicht mehr das Ritu­al, son­dern die „ritua­li­sier­te Hand­lung“ im Sinn einer „Per­for­mance“.

Die Teil­neh­mer der „Auf­füh­rung“ sind sich nach die­ser Auf­fas­sung zwar bewusst, dass sie ein Ritu­al aus­füh­ren. Sie zei­gen des­halb „ritu­el­les Enga­ge­ment“. Aber sie ver­zich­ten (zeit­wei­lig, in die­sem Vor­gang) auf eige­ne Hand­lungs­be­stim­mun­gen, damit die Kom­mu­ni­ka­ti­on und damit die Fei­er gelingt. Am wei­tes­ten ging dabei Roy A. Rap­pa­port [Rap­pa­port 1998], der die „ritu­el­le Akzep­tanz“ der Men­schen als kul­tu­rel­les Mus­ter defi­nier­te und dem gene­ti­schen Code gleich­setz­te, der den Tie­ren bestimm­tes Ver­hal­ten dik­tiert: Kon­ven­ti­on wird eta­bliert und erzeugt Ordnung.

Die Suche nach Ord­nung im zwi­schen­mensch­li­chen Han­deln wur­de nun zu einem Ritua­le kon­sti­tu­ie­ren­den Prin­zip und mein­te die Sys­te­ma­ti­sie­rung der unge­ord­ne­ten Erfah­rung [Soeff­ner 1995]. „Das Ritu­al ist ein kul­tu­rell kon­stru­ier­tes Sys­tem sym­bo­li­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on. Es besteht aus struk­tu­rier­ten und geord­ne­ten Sequen­zen von Wor­ten und Hand­lun­gen, die oft mul­ti-medi­al aus­ge­drückt wer­den und deren Inhalt und Zusam­men­stel­lung mehr oder weni­ger cha­rak­te­ri­siert sind durch: For­ma­li­tät (Kon­ven­tio­na­li­tät), Ste­reo­ty­pie (Rigi­di­tät), Ver­dich­tung (Ver­schmel­zung) und Red­un­danz (Wie­der­hol­dung).“ [Tam­biah 1998, S. 230]

Spei­se­vor­schrif­ten oder Rei­ni­gungs­ge­bo­te wur­den nun als „unre­li­gi­ös“ erklärt. „In einem Cha­os sich stän­dig ver­än­dern­der Ein­drü­cke kon­stru­iert jeder von uns eine sta­bi­le Welt, in der die Gegen­stän­de erkenn­ba­re Umris­se, einen fes­ten Ort und Bestand haben.“ [Dou­glas 1998, S. 81] Schließ­lich for­mu­lier­te Axel Micha­els auf einer Tagung der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie, dass es in der Ritu­al­for­schung weni­ger dar­auf ankom­me, wie man Ritu­al defi­nie­re, son­dern war­um jemand etwas als ein Ritu­al anse­he [Micha­els 2003, S. 34].

Feste feiern / Kalenderkampf

Das moder­ne Dasein ist auf beson­de­re Wei­se durch zeit­li­che Regle­men­tie­run­gen geprägt [Rüp­ke 2006]. Für alles – Arbeit, Bil­dung, Frei­zeit, Genüs­se, Gesel­lun­gen, Jah­res­ab­läu­fe, Ver­samm­lun­gen – gibt es Struk­tu­ren der Zeit, ent­spre­chen­de Räu­me und, falls ange­bracht, dazu pas­sen­de Ritua­le. Wohl des­halb haben alle For­men von Herr­schaft, hat auch die Frei­den­ker­be­we­gung, einen „Kampf um den Kalen­der“ geführt.

Der „Kalen­der­kampf“ um Ein­trä­ge in Alma­na­che, Adress­bü­cher und Chro­ni­ken, um Ter­mi­ne für fami­liä­re Höhe­punk­te wie die öffent­li­che Deu­tung von Fei­er­ta­gen und Auf­mär­schen bewegt alle Kul­tu­ren, auch den Huma­nis­mus. Nur wer die Kri­sen- und Wen­de­punk­te im indi­vi­du­el­len Lebens­lauf von Geburt über Hoch­zeit bis zum Tod und neu­er­dings die Eck­punk­te im Berufs­le­ben und die Kar­rie­re­stu­fen eben­so zu gestal­ten und zu erklä­ren ver­mag wie dies frü­her mit dem Kreis­lauf der Natur, dem Erwa­chen und Ster­ben im Jah­res­lauf, gemäß dem bäu­er­li­chen Arbeits­rhyth­mus und den Son­nen­wen­den der Fall war, des­sen Sinn­an­ge­bo­te könn­ten als akzep­ta­bel gel­ten, weil sie ins Leben der Men­schen eingehen.

Den Reli­gio­nen gelang es in der Geschich­te der Mensch­heit – je nach Regi­on ver­schie­den – Mono­po­lis­ten zu wer­den und die Ver­knüp­fun­gen des indi­vi­du­el­len und natür­li­chen Kalen­ders als reli­giö­se Höhe­punk­te ihrer wah­ren Reli­gi­on erschei­nen zu las­sen. Zei­chen dafür sind in unse­rer Kul­tur Tau­fe, Fir­mung, Kon­fir­ma­ti­on und Hoch­zeit bzw. Ostern, Pfings­ten, Weih­nach­ten, beson­ders aber der Sonntag.

Wäh­rend bis ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein zunächst alles nach kirch­li­chem Kalen­der ablief, also christ­li­che Inter­pre­ta­tio­nen domi­nier­ten, kam es mit der Eman­zi­pa­ti­on der Natio­nal­staa­ten und der Auf­klä­rung zu kul­tu­rel­len Zwän­gen, auch den staat­li­chen Gemein­schaf­ten Sinn zu geben. So ent­stand seit der Renais­sance ein eige­ner Kalen­der der staat­li­chen Weihe‑, Erin­ne­rungs- und Gedenk­fei­ern, zunächst noch mit kirch­li­cher Hil­fe und christ­li­cher Sinn­stif­tung. Bis in die Gegen­wart sind Res­te davon in den „Gedenk­got­tes­diens­ten“, dem ‚Helm ab zum Gebet“ beim Gro­ßen Zap­fen­streich oder beim Opfer­ge­den­ken bei Kata­stro­phen üblich [Gro­schopp 2013; Hart­mann 2007].

Heu­te kann nahe­zu jedes Ereig­nis Anlass für ein Fest sein, ein Fest im Prin­zip über­all statt­fin­den. Die Begrif­fe „Fei­er­abend“, ‚Event­kul­tur“ und ‚Erleb­nis­ge­sell­schaft“ bezeich­nen das Neue. Es gibt das Finanz‑, Wirt­schafts- oder Ver­eins­jahr mit jeweils dazu­ge­hö­ri­gen Tra­di­tio­nen. Es gibt den Volks­trau­er- und den Welt­spar­tag sowie vie­le wei­te­re Wid­mun­gen von Zeit – und ent­spre­chen­de Feiern.

Dem Huma­nis­mus kommt die­se Frei­ga­be der Erin­ne­rungs­kul­tur ent­ge­gen, die weit­ge­hend eine Säku­la­ri­sie­rung durch Kom­mer­zia­li­sie­rung ist und Aus­druck von Plu­ra­lis­mus und Indi­vi­dua­li­sie­rung. Men­schen geben Ostern oder Weih­nach­ten einen eige­nen Sinn – und man­che lässt die gan­ze Feie­rei auch kalt. Beson­ders das Inter­net bie­tet Hil­fen für den eige­nen Fest­ka­len­der, vom Kin­der­ge­burts­tag bis zum Ver­an­stal­tungs­we­sen. Sakra­le Objek­te wer­den zu käuf­li­chen Din­gen und ver­lie­ren ihre Geheim­nis­se [Kohl 2003; Pan­a­ti 1996].

In der gesam­ten Fest­kul­tur voll­zieht sich ein Über­gang vom kirch­lich-hei­li­gen Fest zum kom­mer­zi­ell-kul­tu­rel­len Event, das medi­al inzwi­schen welt­weit „erleb­bar“ wird. Das zeigt sich an Ern­te­dank- und Schüt­zen­fes­ten oder diver­sen ehe­mals rein regio­na­len Höhe­punk­ten, sei­en sie reli­gi­ös moti­viert (Fron­leich­nam), bäu­er­lich-hand­werk­li­chen Ursprungs (Brauch­tums­mes­sen als Ange­bo­te im Mas­sen­tou­ris­mus) oder Ergeb­nis­se pro­fes­sio­nel­ler Sport­ver­mark­tung (Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft als media­les Menschheitsereignis).

Beson­ders plas­tisch zeu­gen von die­sem Wan­del die vom Fern­se­hen über­tra­ge­nen „Fest­sit­zun­gen“ der Kar­ne­vals­ver­ei­ne. Hier ist der Über­gang von orga­ni­sier­ten zu kom­mer­zia­li­sier­ten For­men sicht­bar, in denen Höhe­punk­te käuf­lich sind und den Wech­sel von der Direkt­teil­nah­me zum Medi­en­erleb­nis zei­gen. Fast­nacht vor der „Röh­re“ ersetzt die wirk­li­che Teil­nah­me an der Fei­er und das abend­li­che Fern­se­hen, irgend­ein Grand Prix, wird zum Ritu­al von Gemein­schaf­ten, die sich nur noch „äthe­risch“ begeg­nen und wo die Grö­ße des Publi­kums an den Ein­schalt­quo­ten gemes­sen wird.

Humanistische Bestattungskultur

Immer weni­ger Men­schen in Deutsch­land gehö­ren den christ­li­chen Kir­chen an. Das zeigt sich augen­fäl­lig im Bereich der Bestat­tun­gen. Auch neh­men mus­li­mi­sche Riten und die Zahl isla­mi­scher Fried­hö­fe zu. Die Ent­fal­tung von Feuer‑, Wald- und See­be­stat­tun­gen deu­tet auf einen Wan­del in Rich­tung Offen­heit und Ent­schei­dungs­frei­heit hin. Man kann auf Hea­vy Metal-Art bestat­tet wer­den oder als Fan z. B. auf dem HSV-Fried­hof. Das Bestat­tungs­we­sen ist mul­ti­re­li­giö­ser und mul­ti­kul­tu­rel­ler gewor­den, ein Zei­chen von Humanisierung.

Zwar domi­nie­ren wei­ter­hin die tra­di­tio­nel­len For­men der Erd- und Feu­er­be­stat­tung, mit star­kem Nord­ost-/Süd­west­ge­fäl­le. Aber man kann davon aus­ge­hen, dass das, was mach­bar ist, auch durch­ge­führt wird bis hin zum Pres­sen von Dia­man­ten aus einem Teil der Asche. Auch die „anony­men Bestat­tun­gen“ sind zuerst kein Aus­druck von Armut, son­dern von Indi­vi­dua­li­sie­rung und Säku­la­ri­sie­rung. Auch zeigt sich, dass Grund­sät­ze „welt­li­cher“ Trau­er­re­den der 1920er Jah­re, in der Frei­den­ker­be­we­gung ent­wi­ckelt, heu­te zu den Stan­dards im Bestat­tungs­ge­schäft gehö­ren [Gro­schopp 2010]. Auf­fäl­lig ist zudem, dass der Moder­ni­sie­rungs­vor­sprung der DDR auf die­sem Gebiet [Red­lin 2009], nicht zuletzt durch Wan­de­rungs­be­we­gun­gen von Ost nach West, eine gesamt­deut­sche Wir­kung zeigt.

Huma­nis­tisch sind Bestat­tungs­kul­tu­ren, in denen der Umgang mit dem Tod und mit Toten nach den Prin­zi­pi­en der Indi­vi­dua­li­tät, Selbst­be­stim­mung, Tole­ranz, Soli­da­ri­tät und Barm­her­zig­keit (Seel­sor­ge) erfolgt und zwei Grund­an­nah­men huma­nis­ti­scher Welt­an­schau­ung beach­tet wer­den: ers­tens, dass alle Men­schen als Men­schen gleich sind im Tod und als Tote; und zwei­tens, dass die Erklä­rung des Todes und der Trau­er kei­ner Beru­fung auf reli­giö­se Axio­me bedarf.

Literatur

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Quel­le Text:
Horst Gro­schopp: Fei­er, Fest. In: Hubert Cancik/Horst Groschopp/Frieder Otto Wolf (Hrsg): Huma­nis­mus: Grund­be­grif­fe. Berlin/Boston 2016, S. 151–158.

Quel­le Bild:
Römi­scher Kar­ne­val am Hofe Lud­wig I. (König von Bay­ern 1825–1848). Stadt­mu­se­um Mün­chen. Kopiert vom Cover des Buches von Uwe Schultz (Hrsg.): Das Fest. Eine Kul­tur­ge­schich­te von der Anti­ke bis zur Gegen­wart. Mün­chen 1988.