Humanismus im Gebrauch

04 Konzeptionen des Humanismus 01c_frei_72.jpgUnter die­ser eher alltags‑, aber weni­ger wis­sen­schafts­taug­li­chen Über­schrift rubri­zier­te ich mein neu­es Buch „Kon­zep­tio­nen des Huma­nis­mus“ im Ali­bri Ver­lag auf mei­nem Rech­ner. Band 4 der Rei­he „Huma­nis­mus­per­spek­ti­ven“ ist eine lite­ra­tur­so­zio­lo­gi­sche Stu­die über Huma­nis­men im Huma­nis­mus. Sie erfasst über 300 Ver­wen­dun­gen der Wor­te „Huma­nis­mus“ und „huma­nis­tisch“ vor allem in der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur. Im Fol­gen­den wer­den die Ant­wor­ten auf Fra­gen eines Inter­views im Ent­wurf des Autors wie­der­ge­ge­ben, das im „Huma­nis­ti­schen Pres­se­dienst“ erscheint.

Haben Sie eigent­lich die Huma­nis­men gezählt, die Sie in Ihrem Buch durch Zita­te oder Lite­ra­tur­ver­wei­se bringen?

Nein. Man käme wohl auf so etwa drei­tau­send. Aber das bringt nicht viel, zumal nur direk­te Wort­ver­bin­dun­gen erfasst wer­den: „Huma­nis­mus“ als Sub­stan­tiv mit einem direkt ver­bun­de­nen Adjek­tiv, etwa „abend­län­di­scher Huma­nis­mus“, bezie­hungs­wei­se ein Sach­wort mit dem Adjek­tiv „huma­nis­tisch“, etwa „huma­nis­ti­sches Abend­land“. Schon die Ver­bin­dung „Huma­nis­mus“ und „Abend­land“ ergä­be eine nicht fass­ba­re Grö­ße – und wohl vie­le Dissertationsthemen.

Aber es gibt nur einen Humanismus?

Ant­wort: Jeden­falls gibt es kei­ne rele­van­ten Vor­schlä­ge, ange­sichts der Viel­falt auf den Bezugs­be­griff „Huma­nis­mus“ gänz­lich zu ver­zich­ten oder die Auf­lö­sung des Huma­nis­mus als geschichts­träch­ti­ger Bewe­gung zu kon­sta­tie­ren. „Huma­nis­mus“ kon­stru­iert eine „Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­mein­schaft“.

In die­ser Gemein­schaft reden alle über das Gleiche?

Nein und Ja. Nein, weil vie­le unter­schied­li­che Sach­ver­hal­te unter ver­schie­de­nen Zugän­gen ver­han­delt wer­den. Ja, es gibt ein gewis­ses Grund­ver­ständ­nis, einen gemein­sa­men Nen­ner. Doch bevor wir viel­leicht dar­auf ein­ge­hen, ist eine dop­pel­te Vor­aus­set­zung zu kon­sta­tie­ren. Ers­tens: Moder­nen Huma­nis­mus gibt es nur im Plu­ral, wobei „modern“ noch ein­mal sehr viel­deu­tig ist. Zwei­tens: Huma­nis­mus als kul­tu­rel­le Bewe­gung und als Begriff sind „leben­dig“. Zwar gibt es Autoren, die Huma­nis­mus nach wie vor auf Anti­ke-Rezep­ti­on oder Neu­hu­ma­nis­mus redu­zie­ren. Doch der Blick wei­tet sich. Es kom­men immer neue Vari­an­ten hin­zu. Hier einen Über­blick zu bekom­men, das ist schwierig.

Huma­nis­mus, also das, was dar­un­ter ver­stan­den wird, dehnt sich sozu­sa­gen aus. Aber wor­in besteht dann die „Ein­heit­lich­keit“?

Die Ein­heit­lich­keit besteht, wenn man so will, in der Unter­schei­dung vom Anti­hu­ma­nis­mus. Ich zitie­re in mei­nem Buch den Phi­lo­so­phie- und Lite­ra­tur­his­to­ri­ker Micha­el Groß­heim, der eine Abgren­zung vom Anti­hu­ma­nis­mus am Bei­spiel von Mar­tin Heid­eg­ger vor­nimmt. Heid­eg­ger hat 1947 über Huma­nis­mus einen bis heu­te breit dis­ku­tier­ten – wenn man so will – öffent­lí­chen Brief geschrie­ben. Die­sen bewer­tet Groß­heim nicht als huma­nis­ti­schen Text. Er ver­all­ge­mei­nert: „Was die Geg­ner des Huma­nis­mus stört, sind … drei Gegen­stän­de: der Mensch im Men­schen, der Mensch als Gat­tungs­we­sen und der Mensch im Mit­tel­punkt.“ Dar­aus folgt – und das ist eine Schwie­rig­keit im Umgang mit dem wis­sen­schaft­li­chen Gegen­stand „Huma­nis­mus“ – dass, wer über Men­schen­wür­de, Men­schen­bil­dung, Men­schen­rech­te, also „Mensch­lich­keit“, schreibt, zum einen in sei­nem Urteil nicht von vorn­her­ein „huma­nis­tisch“ argu­men­tiert, aber dies zum ande­ren durch­aus tun kann, ohne die Wor­te „Huma­nis­mus“ und „huma­nis­tisch“ zu benutzen.

Die Letz­te­ren fal­len ja auto­ma­tisch aus Ihrer Sammlung.

Ja, denn es geht in dem Buch um rei­nen Begriffs­ge­brauch, wes­halb nicht nur Huma­nis­ten zu Wort kom­men. Das Ergeb­nis ist kein „Kate­go­rien­ge­klin­gel“, son­dern eher eine Beleg­samm­lung über „‘Huma­nis­mus’ im Gebrauch“. Für die „säku­la­re Sze­ne“ bedeut­sam hal­te ich die­ses Ver­fah­ren, weil „Huma­nis­mus“ für sie erst ab Mit­te der 1980er in den Blick kommt, ein neu­es Wort in ihren Kon­zep­tio­nen. Es gab zwar schon um 1900 „Huma­nis­ten­ge­mein­den“, die gehör­ten aber for­mal nicht zur Frei­den­ker­be­we­gung. Die­ser „ethi­sche Huma­nis­mus“ wur­de zum Bei­spiel von August Bebel vehe­ment zurückgewiesen.

Frei­den­ker haben also vor­her nicht „huma­nis­tisch“ argu­men­tiert, gar „anti­hu­ma­nis­tisch“ gehandelt?

Das Wort kam bei ihnen nicht vor. Des­halb waren sie aber nicht von vorn­her­ein „Anti­hu­ma­nis­ten“. Es gab sol­che in ihren Rei­hen, wenn wir die völ­ki­schen „Frei­den­ker“ beden­ken. Das, was als Huma­nis­mus defi­niert wird, stellt sich als eine his­to­risch gewor­de­ne Ver­ein­ba­rung dar. Am Bei­spiel der Frei­den­ker: Die Frei­den­ker­be­we­gung fühl­te sich bis in die 1970er Jah­re hin­ein der Arbei­ter­be­we­gung zuge­hö­rig, ihren jewei­li­gen Fraktionen.

Sor­ry, aber die Arbei­ter­be­we­gung war doch nicht etwa „anti­hu­ma­nis­tisch“?

Jeden­falls nicht in ihren „Glau­bens­in­hal­ten“, da war sie „sozia­lis­tisch“. Sie hat­te huma­nis­ti­sche Zie­le, das lässt sich bele­gen. Sie hät­te zu deren Beschrei­bung aber nicht „Huma­nis­mus“ benutzt. Für sie galt nahe­zu uni­so­no, dass Marx und Engels bereits 1844 den „rea­len Huma­nis­mus“, wie er im Vor­märz von 1848 gedacht wur­de – zur Erin­ne­rung, der Begriff wird 1806 „erfun­den“ –, in den „Kom­mu­nis­mus“ über­führt hat­ten. Das wie­der­um ver­band umge­kehrt in den Län­dern des Staats­so­zia­lis­mus spä­tes­tens seit den 1968er Reform­be­we­gun­gen, aber wahr­schein­lich schon frü­her, „Huma­nis­mus“ mit Oppo­si­ti­on gegen den real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus. Lenin, ich gehe in dem Buch kurz dar­auf, hat die Wor­te „Huma­nis­mus“ und „huma­nis­tisch“ nie benutzt – und er war wohl auch in sei­nem Den­ken und Tun kein Humanist.

Wer von „Huma­nis­mus“ spricht, muss dies begründen?

In mei­nen Zita­ten taucht mehr­fach Juli­an Nida-Rüme­lin auf, für ihn ist das eine Grund­be­din­gung sei­nes „phi­lo­so­phi­schen Huma­nis­mus“. Auch in dem Hand­buch „Huma­nis­mus: Grund­be­grif­fe“ hat „Argu­men­tie­ren“ einen hohen Stel­len­wert. Für die „säku­la­re Sze­ne“, für die wir die­ses Inter­view machen, bedeu­tet dies, dass Huma­nis­mus nicht zur Fah­ne taugt.

Wohl auch, weil hier der Begriff neu und unge­wohnt ist. Eini­ges davon wird bei Ihnen in den „Dis­si­den­ten“ und in „Pro Huma­nis­mus“ aus­führ­lich geschil­dert. Was ist nun neu?

Es wer­den Zita­te gebracht, aus denen Ursprung und Brei­te des „ethi­schen Huma­nis­mus“ oder ande­rer Huma­nis­men, des „radi­ka­len“, „ratio­na­lis­ti­schen“, „rea­len“, „rea­lis­ti­schen Huma­nis­mus“ genau­er her­vor­ge­hen. In den Bei­spie­len wird kla­rer, wor­auf man sich ein­lässt, wenn man die­ses oder jenes Adjek­tiv vor „Huma­nis­mus“ setzt – und was zu lesen wäre, bevor dies getan wird.

Die „säku­la­re Sze­ne“ ist heu­te ein „wei­tes Feld“, in dem immer mehr Orga­ni­sa­tio­nen mit „Huma­nis­mus“ argu­men­tie­ren. Das kommt in Ihrem Buch auch vor, steht aber nicht im Mit­tel­punkt. Warum?

Der „Huma­nis­ti­sche Ver­band“ oder die „Huma­nis­ti­sche Uni­on“, um nur die­se zwei nen­nen, haben das Mono­pol auf die Wort­ver­wen­dung nicht nur ver­lo­ren, sie sind im Tru­bel der Debat­ten um den „wah­ren“, „rich­ti­gen“ „zeit­ge­mä­ßen Huma­nis­mus“ in der Gefahr, mar­gi­na­li­siert wer­den. Um es zuge­spitzt aus­zu­drü­cken, in der „Sze­ne“ domi­niert weit­ge­hend noch immer ein – durch­aus nach­voll­zieh­bar begrün­de­ter – „Behaup­tungs­hu­ma­nis­mus“, teils ein nai­ver, teils ein prag­ma­ti­scher, manch­mal unlo­gi­scher, teils ein apo­lo­ge­ti­scher Gebrauch, der sich, den Umstän­den ent­spre­chend, zu stark auf eini­ge Arbeits­fel­der beschränkt, um sou­ve­rän im Kon­zert der Huma­nis­men mitzuspielen.

Sie haben doch aber selbst geschrie­ben, dass huma­nis­ti­sche Ver­bän­de kei­ne aka­de­mi­schen Ein­rich­tun­gen sind.

Ja, es feh­len ihnen die ent­spre­chen­den aka­de­mi­schen Ein­rich­tun­gen und Per­so­nen, so dass auch der Kon­takt zu denen, die zum Huma­nis­mus for­schen oder zu Aspek­ten davon, nicht oder nur unzu­rei­chend her­ge­stellt wer­den kann. Umge­kehrt ste­hen aka­de­mi­sche Äuße­run­gen zum Huma­nis­mus den Pro­ble­men „Sze­ne“ fern gegenüber.

Das immer wie­der gebets­müh­len­ar­tig vor­zu­tra­gen, hilft auch nicht viel weiter.

Doch, das tut es, weil die Erkennt­nis der Schwä­chen des eige­nen Huma­nis­mus offen­zu­le­gen ist. Wer sich zum Huma­nis­mus äußert, soll­te sei­nen Platz im Rei­gen der Huma­nis­men genau­er bestim­men kön­nen, eine Ahnung davon haben – schon um Fett­näp­fe, in die man tre­ten kann, zu erken­nen. Das wäre ein ers­ter Schritt, um Über­heb­lich­kei­ten zu min­dern, Träu­me von der beson­de­ren Ori­gi­na­li­tät zu rela­ti­vie­ren, Rea­lis­mus hin­sicht­lich des gesell­schaft­li­chen Ein­flus­ses zu gewin­nen. Ich hof­fe auf mehr Respekt beim Umgang mit „Huma­nis­mus“.

Für die Nütz­lich­keit die­ser Bot­schaft hät­te ich jetzt aber gern mal ein Beispiel!

Ich sehe einen sehr ober­fläch­li­chen Gebrauch eini­ger Begrif­fe in der „säku­la­ren Sze­ne“, auch wenn sie eige­ne Pro­gram­ma­tik oder Abgren­zun­gen betref­fen. Es fin­den sich im Buch eini­ge Zita­te und Hin­wei­se, so zum „prak­ti­schen Huma­nis­mus“ des HVD und des „evo­lu­tio­nä­ren Huma­nis­mus“ der gbs, die über das, was die­se Orga­ni­sa­tio­nen dazu sagen, hin­aus­rei­chen; aber es wer­den auch Mit­tei­lun­gen gemacht zu sol­chen tra­dier­ten Ker­nen wie zum „athe­is­ti­schen“, „rea­len“, „natu­ra­lis­ti­schen“, „sozia­lis­ti­schen“ oder der „wis­sen­schaft­li­chen Huma­nis­mus“. Es wer­den dazu die Gegen­sät­ze vor­ge­stellt, etwa was den „bibli­schen“, „christ­li­chen“, „reli­giö­sen“, „the­o­no­men Huma­nis­mus“ betrifft, ganz zu schwei­gen von neu­en Huma­nis­men, wie etwa den „vega­nen Huma­nis­mus“, oder sol­che, die als selbst­ver­ständ­lich gel­ten, wie „säku­la­rer“ und „orga­ni­sier­ter Humanismus“.

Blei­ben wir kurz bei der His­to­rie. Eini­ge Begrif­fe wie der „byzan­ti­ni­sche“ oder der „rhe­to­ri­sche Huma­nis­mus“ ver­wei­sen auf bis­her „unter­be­lich­te­te“ Sei­ten der Her­aus­bil­dung des – sehr umfang­reich belegt – „inter­kul­tu­rel­len Huma­nis­mus“, dar­un­ter auch den „chi­ne­si­schen“. Was erfährt die Leser­schaft über „Leh­ren aus der Geschichte“?

Leh­ren“ sind „Lek­tio­nen“, die gelernt wer­den müs­sen, und „Geschich­ten“ wer­den erzählt, wobei sich der Lern­stoff nicht von selbst offen­legt und kei­ne zweck‑, bedin­gungs- oder gar pra­xis­freie Wis­sens­an­eig­nung dar­stellt. Huma­nis­mus, so wird berech­tigt gesagt, sei eine „Mensch­heits­er­zäh­lung“. Die vor­ge­leg­te Begriffs­lis­te stärkt die­se Erkennt­nis und ver­weist auf eine nahe­zu trau­ma­ti­sche Erfah­rung: Huma­nis­mus ist kei­ne „Gesetz­mä­ßig­keit“, son­dern umkehr­bar. Es zeigt sich, dass Men­schen Huma­nis­mus auch ver­ges­sen kön­nen, den Begriff und die Bewegung.

Eröff­nen Sie jetzt eine neue Verschwörungstheorie?

Wenn Osma­nen, die Kon­stan­ti­no­pel erober­ten und die letz­ten Res­te des „ara­bi­schen Huma­nis­mus“ ver­trie­ben, oder die Refor­ma­to­ren, die die Aus­deh­nung des „ita­lie­ni­schen Huma­nis­mus“ über die Alpen ver­hin­der­ten, „Ver­schwö­rer“ waren, bit­te sehr. Zum einen kann Huma­nis­mus besiegt wer­den, zum ande­ren hat­te er immer dann Kon­junk­tur, wenn Huma­ni­tät und Men­schen­wür­de bedroht schie­nen oder tat­säch­lich ver­letzt wurden.

Das steht in ihrem Buch drin?

Ja, aber ich habe die Befun­de nur Begrif­fen zuge­ord­net. Jeden­falls legt das Lite­ra­tur­stu­di­um nahe, von Zei­ten der „Wie­der­kehr des Huma­nis­mus“ zu reden, was „Unter­gän­ge“ vor­aus­setzt, die mehr sind als eine „Kri­se“. Eine sol­che „Wie­der­kehr des Huma­nis­mus“ gab es in Ost­eu­ro­pa in den 1960er/1970er Jah­ren vor den 1989er Revo­lu­tio­nen. Hier ist es im Nach­hin­ein gelun­gen, die Vor­gän­ge als eine „Wie­der­kehr“ von Chris­ten­tum und Kir­chen zu inter­pre­tie­ren. Dabei wird außer Acht gelas­sen, wie ein­fluss­reich Huma­nis­mus auf die Kir­chen­leu­te im Osten war bezie­hungs­wei­se inner­halb der herr­schen­den Staats­par­tei­en der Huma­nis­mus sich Räu­me und Köp­fe erober­te. Ich ver­wei­se hier auf mein Buch „Der gan­ze Mensch“ [LINK: http://www.tectum-verlag.de/der-ganze-mensch.html], in dem Huma­nis­mus­dis­kur­se vor und in der DDR vor­ge­stellt wer­den. Nicht neben­bei ist zu die­ser „Wie­der­kehr des Huma­nis­mus“ anzu­mer­ken, dass, wenn Huma­nis­mus auf „säku­la­ren Huma­nis­mus“ ein­ge­engt wird, wie es in der „säku­la­ren Sze­ne“ geschieht, die­se epo­cha­le Geschich­te gar nicht erzählt wird.

In ihrem jet­zi­gen Buch wird die Leser­schaft vom „abend­län­di­schen“ bis zum „zwei­ten Huma­nis­mus“ geführt, wobei Sie die kon­zep­tio­nel­le Poin­te des jewei­li­gen Wort­ge­brauchs vor­stel­len. Die Publi­ka­ti­on ent­hält ein umfäng­li­ches Vor­wort, das auch die Arbeits­me­tho­de und die wesent­li­chen Befun­de erör­tert. Eine Biblio­gra­phie und ein Per­so­nen­ver­zeich­nis ergän­zen die Aus­ga­be. Quel­len sind wesent­lich wis­sen­schaft­li­che Ver­öf­fent­li­chun­gen, nur hin und wie­der wird aus Medi­en zitiert. War­um nicht öfters?

Das wäre ein ganz ande­res Buch gewor­den. Wenn bei Goog­le News täg­lich „Huma­nis­mus“ ein­ge­ge­ben wird, ist das Ergeb­nis ein sehr erhel­len­der öffent­li­cher Wort­ge­brauch, der auch eine Ana­ly­se nötig hät­te, weil sich die „säku­la­re Sze­ne“ zwangs­wei­se dort drin bewegt. Ich habe aus die­ser Quel­le nur ein­zel­ne Bei­spie­le her­aus­ge­pickt, so etwa den „effek­ti­ven Huma­nis­mus“ – das klingt bes­ser als „ein­ge­schränk­te Huma­ni­tät“ bei der Ver­trei­bung von Geflüch­te­ten aus Europa.

Jetzt mal zur Ver­bands­po­li­tik. Ihr Buch ist eine Art Hohe­lied auf die Plu­ra­li­tät im Huma­nis­mus. Sehen Sie hier irgend­wel­che Hin­wei­se für den HVD, den Ver­band, den Sie ein­mal poli­tisch und kon­zep­tio­nell geführt haben?

Oh, da muss ich etwas aus­ho­len. Zum einen ist der HVD orga­ni­sa­to­risch auf dem Weg zu einer wirk­lich föde­ra­lis­ti­schen Struk­tur. Das war bei der Grün­dung nicht so kon­se­quent vor­ge­se­hen. Die Fol­gen sind unklar. Zum ande­ren ist er, aus mei­ner War­te, zu unent­schie­den in sei­ner Stra­te­gie, immer wie­der hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen einem kir­chen- und reli­gi­ons­kri­ti­schen Säku­la­ris­mus und einer („kon­fes­sio­nel­len“) Par­ti­zi­pa­ti­on in der Plu­ra­li­tät der orga­ni­sier­ten Reli­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen. Ich sehe im HVD einen „huma­nis­ti­schen Län­der­wett­be­werb” wach­sen. Dann soll es eben­so sein nach dem Rat eines berühm­ten Anti-Athe­is­ten, Dan­te: Gehe dei­nen Weg und lass die Leu­te reden.

Schau­en wir mal, wer „schöp­fe­risch” ist, also kon­zep­tio­nell, welt­an­schau­lich erfolg­reich. War­um soll es nur einen ein­zi­gen huma­nis­ti­schen Ver­band geben? Das Einen­de ist doch sowie­so Defi­ni­ti­ons­sa­che. Wer sagt denn, dass Plu­ra­li­tät nicht auch im HVD gel­ten soll (oder was dar­aus in der kom­men­den Zeit wird)? Das gilt doch nur nicht, wenn man and­ren den „wah­ren Huma­nis­mus“ abspricht. Eine grund­sätz­li­che Huma­nis­mus­de­bat­te täte dem HVD gut, auch um sich nach­voll­zieh­bar welt­an­schau­lich zu posi­tio­nie­ren, gera­de hin­sicht­lich des real exis­tie­ren­den evo­lu­tio­nä­ren Huma­nis­mus – Ethik/Lebenskunde, Fra­ge, KORSO, Inter­es­sen­ver­tre­tung Kon­fes­si­ons­frei­er … alles „Ober­flä­chen­pro­ble­me“, Fol­gen, nicht Ursachen.

Abschlie­ßend die Fra­ge, wor­an arbei­ten Sie jetzt?

Ich möch­te zunächst auf eine par­al­lel erschie­ne­ne Publi­ka­ti­on ver­wei­sen, die Memoi­ren von Lot­te Rayß, einer Freun­din von Fried­rich Wolf und spä­te­rem Opfer des sowje­ti­schen Gulag- und Ver­ban­nungs­sys­tems, für das ich ein län­ge­res kul­tur­wis­sen­schaft­li­ches Nach­wort ver­fasst habe, dass nun ein wei­ter aus­ge­bau­ter Text für die „Bei­trä­ge zur Geschich­te der Arbei­ter­be­we­gung“ wird. Dann ist gera­de Band 5 der Rei­he „Huma­nis­mus­per­spek­ti­ven“ in der Her­stel­lung, eine Samm­lung von Tex­ten von Johan­nes Neu­mann über „Huma­nis­mus und Kir­chen­kri­tik“. Dar­auf folgt Band 6, ein Sam­mel­band mit Tex­ten von Ursu­la Neu­mann. Wei­te­res schau­en wir mal.

Wir dan­ken für das Interview.

Horst Gro­schopp: Kon­zep­tio­nen des Huma­nis­mus. Alpha­be­ti­sche Samm­lung zur Wort­ver­wen­dung in deutsch­spra­chi­gen Tex­ten. Mit einer Biblio­gra­phie. Aschaf­fen­burg: Ali­bri Ver­lag 2018, 313 S., ISBN 978–3‑86569–284‑9, 24 Euro (Huma­nis­mus­per­spek­ti­ven, Band 4).

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