Eine Glosse aus gegebenem Anlass
Es gibt Augenblicke im Leben, da hat man (oder auch frau, ich bleibe hier mal ungegendert) unendliches Pech und ist daran auch noch selbst schuld. Da klettert man die Karrierestufenleiter hoch und bricht an der Stelle ein, wo man vor einigen Jahren an der Sprosse selbst gesägt hatte, um andere am Überholen zu hindern. Mit dem Alter lässt das Gedächtnis leider nach.
Dann passieren immer mal wieder technische Pannen. Dafür kann man eigentlich nichts. Man hat beim Bogenschießen auf lebende Hindernisse denselben aus Versehen überspannt. Autsch, das tat weh, denn er ging zu Bruch.
Aber es gibt auch Ereignisse, da ist man unendlich dankbar für das Glück, das einem zuteil wird, ein Altruismusgefühl ohnegleichen stellt sich ein. Man hilft einer alten Dame über die Straße, ein gutes Werk, auch wenn sie gar nicht rüber wollte.
Eine noch höhere Stufe des Glücksgefühls wird erreicht, wenn ich durch geeignete Maßnahmen verhindern kann, dass bei meinem Nachbarn eingebrochen wird, ich sozusagen einen Dieb am Diebstahl hindere. Der Nachbar muss ja gar nicht wissen, dass ich ihn schütze.
Darauf komme ich gleich zurück. Ich pirsche mich langsam an das Thema heran.
Wir hatten einen Lehrer in der Schule, der lobte uns, wenn wir einen folgerichtigen Schluss in unserer Argumentation hatten. Dann sagt er immer: „Das ist doch logo!“ Dass dies etwas mit „logisch“ zu tun hat, bekamen wir irgendwie heraus. Der Spruch gefiel uns auch ohne seine genaue Übersetzung. Er klang geheimnisvoll.
Im Studium dann hatte ich bei Hermann Ley Philosophie. Er stellte sich als bester Zahnarzt unter den Philosophen vor, er könne aber auch, wenn wir wollten, als bester Philosoph unter den Zahnärzten betrachtet werden. Dass er an einer Geschichte des Atheismus schrieb, das trug er nicht vor sich her. Es ging ihm um philosophische Probleme der Naturwissenschaften aus marxistischer Sicht. Sein beliebtester Gegner war Sir (mit Verachtung betont) Karl Popper. Ihn umfänglich zitierend widerlegte Ley den Positivismus. Es popperte bei ihm arg.
Er neigte gern zu Abschweifungen und Anekdoten. Immer dann, wenn er erkannte, wir schlafen gleich ein, griff er in sein Schatzkästlein und streute etwas zur Unterhaltung ins Publikum. So kam ich in Kontakt mit dem „Logos“, seinen Interpretationen, inklusive dem Widerspruch zwischen Vernunft im materialistischen Verständnis zu der das Weltall durchwaltenden göttlichen Vernunft bei den Griechen und dem, was das Christentum daraus machte, die Gotteserkenntnis. Da blühte Ley richtig auf, denn er kam flugs zur unlogischen trinitarischen Entfaltung des Christusgeschehens. Das war später noch hilfreich beim Blick auf die kopernikanische Wende des Christentums, die kulturgeschliche Rolle des Konzils von Nicäa 325 und die Bedeutung des antiken Humanismus für die Renaissance.
Eine ganz andere Lesart von „logo“ lernte ich Anfang 1997 kennen. Ich nähere mich nun dem Thema. Damals sagte mir mein Mentor – ich war noch arbeitslos, er wurde erst im Februar 2001 mein Chef –: „Horst, wenn Du eine Akademie gründen willst, brauchst Du ein Logo.“ Aha, aber woher nehmen? Zudem empfahl er, dieses Logo, die Kopfbögen und die ganze „corporate idendity“ bis zur Gründung weitgehend fertig zu haben, er würde das als Geschäftsführer des Berliner Humanistischen Verbandes als Anschub bezahlen, ehe gewählte Gremien unsachlich hineinreden, ihre diversen ästhetischen Spezialvorstellungen durchsetzen wollen und man nie fertig wird. Als dann die „Humanistische Akademie Berlin“ im April 1997 tatsächlich gegründet war, lag das Logo vor und konnte bei der kleinen Festveranstaltung besichtigt werden.
Wenn man so will, habe ich an dem Logo der Akademie einen Werksanteil, weil ich es mit dem Layouter im Dialog erarbeitete und dann von den drei Varianten eine auswählte. Der Layouter war der Grafiker und Fotograf Jürgen Holtfreter (heute 82 Jahre alt). Er entwickelte das Logo der guten Sache und der armen Akademie wegen nahezu kostenfrei und legte keinerlei Wert auf das Copyright: Nicht so viel Aufwand. Er layoutete damals, auch eher nebenbei, die Verbandszeitung „diesseits“.
Unsere Ausgangsfrage war eine dreifache: Was kann erstens als Erkennungszeichen für Humanismus gelten, angesiedelt zwischen Weltanschauung und Wissenschaft; zweitens, gibt es das Symbol schon bei anderen; und drittens, sollten wir es als Markenzeichen schützen lassen?
Ersteres fanden wir bei Leonardo da Vinci, seiner Skizze von 1492 „Der vitruvianische Mensch, eine Porträtstudie nach Vitruv“. Diese wurde abstrahiert, der wirkliche Mensch entfernt und so lange daran gebastelt, bis ein „H“ und ein „A“ eingeschachtelt werden konnten: „H“ für „Humanistische“ und „A“ für „Akademie“.
Zweitens: Die Frage nach dem Vorhandensein eines ähnlichen Vereinszeichens wurde beiseitegelegt. Das herauszubekommen wäre zu aufwendig gewesen. Die Haltung war, wenn das Logo jemand stört, wird sich der Betreffende schon melden und dies beweisen müssen.
Blieb drittens die Frage nach dem Markeneintrag. Das galt als Unsinn, denn wer sollte solch ein Logo klauen wollen?
Zu Letzterem hatten wir am Telefon einen lustigen Dialog: „Glauben Sie etwa, da macht jemand seinen Mercedes-Stern vom Auto und ersetzt ihn durch ein geschmiedetes Akademie-Logo?“ „Stimmt, da müssten wir den Besitzer dann womöglich bezahlen, weil er für die Akademie Reklame fährt.“ „Ganz schlimm käme es, wenn eine katholische oder evangelische Akademie das tolle Logo kapert und wir dann beweisen müssen, wer das hergestellt hat zu einem Dumpingpreis.“ „So weit wollen wir es mal nicht kommen lassen, obwohl eine solche Klage reizen täte.“
Jedenfalls wurde das Logo flugs eingesetzt und alles, was sich damit verzieren ließ, herausgeputzt: die Zeitschrift, alle Flyer, dann die Homepage. Schließlich wurde das Logo 2006 an die „Humanistische Akademie Deutschland“ weitergegeben; und in einem späteren Stadium wurden vorsichtshalber in einem Waschgang Logos für alle denkbaren Humanistischen Akademien hergestellt – auch für Sachsen und Hessen, überall die gleiche Identifikationsmarke.
Nun ja, so komisch kann man gar nicht denken, wie manche Geschichten dann so laufen. Jetzt kommen wir endlich zu der Sache mit der Oma, die nicht über die Straße will, aber trotzdem gebracht wird, und zu der ungewollten Diebstahlsicherung.
Klar, man könnte das, was jetzt kommt, eine unerlaubte Aneignung nennen – denn mich (1997 bis 2014 Akademiedirektor) fragte niemand jemals nach einer vorsorglichen Marken‑, Eigentums- und Patentsicherung des Logos, was hätte geschehen müssen, weil ich sozusagen der Logo- und Markenzuständige für beide Akademien war. Aber weder wurde ich wegen der Diebstahl- noch wegen der Mercedes-Stern-Sache angefragt. Erst vor paar Tagen habe ich von der Sicherungsverwahrung des Zeichens Wind bekommen.
Jetzt ist die Oma jedenfalls auf der falschen Straßenseite, dort, wo sie nicht hinwollte. Das gute Werk entpuppt sich als ein Bärendienst, wenn nicht gar als eine Segelpartie unter fremder Flagge, klar ausgesprochen: als Piraterie. Vielleicht kommt der Aufsteigende wegen der Einvernahme an die kaputte Sprosse.
Wie auch immer, das schöne Logo gehört jetzt nicht mehr der „Humanistischen Akademie“. Neuer Inhaber ist seit 26. April 2013 [sic] laut dem „Deutschen Patent- und Markenamt“ unter der Registernummer 302012027329: „Humanistischer Verband Deutschlands Bayern K.d.ö.R., 90482 Nürnberg, DE“ (siehe Anlage). Und damit auch – entsprechend den Nizza-Protokollen – klar ist, auf welche Aktivitäten sich das Markenrecht erstreckt, sind diese auf der zweiten Seite aufgezählt. Da fehlt eigentlich nichts.
Eine Marke anzumelden ist eine bewusste Handlung, die Umsetzung eines Machtanspruches. Geistiges Eigentum geltend zu machen, das ist in diesem konkreten Logo-Fall eine schwierige Sache, aber historisch nachweisbar. Aber was nützt das? Was bleibt, ist eine moralische Lücke. Wie würde es vielleicht Macheath frei nach Brechts „Dreigroschenoper“ ausdrücken: „Wie ihr es immer dreht, und wie ihr’s immer schiebt, erst kommt das Patent, dann kommt die Moral.“
Bleibt noch die Sache mit dem Wirt und der Rechnung, dass man die Rechnung nicht ohne den Wirt machen sollte. Das will sagen: Die Benutzung des Logos für diese Glosse könnte mir gerichtlich untersagt werden. Das wäre dann zwar logo, aber öffentlich irgendwie schlecht zu verkaufen. Warten wir das Echo ab.
Und wie geht es weiter mit dem Logo? Es wird ins innerverbandliche Räderwerk geraten, wo gerade sowieso viel zermahlen wird. Es scheint, wenn es dumm kommt, ein neues Wahrzeichen zu entstehen, eines, das irgendwie runder, jedenfalls neu ist. Geschichtsentsorgung benötigt immer neue Symbole. Wie hieß 1982 der Hit der Band „Fehlfarben“? „Es geht voran.“
Zwickau, den 25. März 2019
Zusatz am 1. April 2019
Achtung: Kein Aprilscherz.
Es hat sich nun, nach großem Wochenendgetöse, herausgestellt, dass der obigen Geschichte ein Irrtum des Vorwurfsverursachers zugrunde liegt und ein Zeugnis zu frühen Rufens nach Schuld, mangelndem Gedächtnis der Ankläger und zögerlichem Aktenstudium der Zuständigen ist. So wird der Vorgang zu einer Art beauftragten Schützens, d.h., da wurde jemand gebeten, die Oma über die Straße zu bringen, um ihm anschließend vorzuwerfen, er hätte die Oma gezwungen. Die ganze Sache beruht auf einer ordentlichen Verabredung vom Juni 2011 derer, die für diese Mobilitätshilfe zuständig sind und sie in Auftrag gegeben haben.
Der Auftraggeber – der Klage erhebende Verursacher – hat sich sogar im April 2012 für die ordentliche Erledigung bedankt, ohne mit der Oma zu reden. Der Bundeshimmel schien hell, das Leben lief glücklich dahin, das gegenseitige Vertrauen war überwältigend. Das oberste Verwaltungsorgan war sogar so euphorisch, dass es die Betreuung Dritter wie selbstverständlich übernahm, nämlich der besagten Akademien, selbständige Vereine. Das ist auch eine Folge, wenn Leute mehreren Vereinen gleichzeitig vorsitzen und multibel sprechen.
Die Protokolle beider Akademien und das Gedächtnis des Akademieverwalters zeigen keinerlei Spuren des Vorgangs. Manchmal kommt es vor, dass jemand nicht informiert wird, auch wenn er der Opa neben der Oma ist und wissen müsste, dass sie auf die falsche Seite gebracht wurde. Aber es ist gut zu wissen, wo die Oma jetzt langläuft und es wenig Sinn macht, sie lauthals zu rufen, sie möge herüberkommen. Sie ist auf der sicheren Seite.
Quelle Leonardo: Wikipedia / Foto von Luc Viatour