Zum dritten Mal verlieh die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt den Erich-Kleineidam-Preis. Preisträger wurde Dr. Florian Baab, inzwischen Akademischer Rat an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er bekam am 3. Juli 2015 den Preis für seine Erfurter Dissertation „Was ist Humanismus? Geschichte des Begriffes, Gegenkonzepte, säkulare Humanismen heute“.
Dazu habe ich mich in einer Rezension ausführlich geäußert. Dies war wohl der Grund, mich zu einer Podiumsdiskussion im Anschluss an die akademische Veranstaltung einzuladen (Foto: S. R. Krebs; v. links: Prof. Dr. Eberhard Tiefensee, Dr. Andreas Fincke, Dr. Florian Baab, Dr. Horst Groschopp).
Über diese Veranstaltung hat Siegfried R. Krebs einen informativen Bericht veröffentlicht und dort auch meinen Kurzvortrag wiedergegeben. Im Folgenden die Schriftfassung mit Angabe der Quellen:
„Ich möchte mit einem Bezug auf Florian Baab beginnen. Er hat etwas anderes abgeliefert, als sein Doktorvater im Vorwort ausführt und das wohl dessen Intention war, das Thema zu vergeben. Dies wurde gerade in der Laudatio noch einmal wiederholt. Der Marxismus-Leninismus ‘setzt … offensichtlich einen Teil seiner DDR-Geschichte unter dem werbewirksamen Markenzeichen ‘Humanismus’ fort.’ (Baab: Was ist Humanismus? S. 5) Davon ist im Buch nicht viel zu erkennen, weil der Autor sich in die geistigen Realien eingearbeitet hat.
Herr Baab stand vor einem Berg, denn wer kann schon, dazu als junger Doktorand, ein so umfassendes Thema ‘Was ist Humanismus?’ bewältigen. Er hat sich geschickt aus der Affäre gezogen. Er fragte nach philosophischen [!] Positionen im Schrifttum des in Deutschland besonders im Humanistischen Verband (HVD) und der Giordano- Bruno-Stiftung (gbs) organisierten Humanismus. Dabei hat er einige Protagonisten schön analysiert: Frieder Otto Wolf, Joachim Kahl und Michael Schmidt-Salomon.
Und weil Baab stringent analysiert, kommt er zu dem Schluss, ich spitze zu: Er hat Philosophie gefunden, nicht unbedingt Humanismus. Ich würde hinzufügen, er konnte auch den Begriff Humanität nicht finden, ohne den Humanismus aber nicht definierbar ist. Aber er stieß auf Gita Neumanns alte Kritik am ‘säkularen Humanismus’ von 1991, dem sie berechtigt Kälte unterstellt (vgl. Groschopp: Perspektiven des Humanismus FN 110, S. 36).
Das Konzept des ‘säkularen Humanismus’ ist aber, das wurde mir selbst erst im Frühjahr 2014 klarer (vgl. obigen Verweis auf ‘Perspektiven des Humanismus’), eine Zwischenstation gewesen auf dem Weg der Hinwendung derjenigen Freidenker zum Humanismus, die dann im Januar 1993 den HVD gründeten. Viele sind da gedanklich stehen geblieben, vor allem, weil dieser Humanismus nun ergänzt wird durch einen philosophischen Naturalismus. Im Kern hält dieses Konzept Religions- und Kirchenkritik für wichtiger als praktischen Humanismus, wie er sich etwa in den Konzeptionen in Holland und Belgien findet, dort sogar universitär als ‘Humanistik’ gelehrt wird.
Oft verengt sich gerade in philosophischen Diskursen über Humanismus der Blick und erhebt sich förmlich über Humanität. Dabei haben die Wörter Humanismus und Humanität in humanitas einen einheitlichen lateinischen Wortursprung, der die enge Bindung beider Ausprägungen von Beginn an in sich trägt, auch wenn es in der Geschichte des Humanismus zu konzeptionellen Ablösungen von der Humanität kam, etwa durch Vereinseitigungen von Bildung, durch zeitliche Beschränkung auf die Antike oder gar durch Annäherungen an den Nationalsozialismus im ‘Dritten Humanismus’.
Wenn es um Humanisierungen geht und um Aneignungen des Humanismus, bedarf es, zugespitzt gesagt, gar nicht der Säkularisierungstheorie. Denn was am Humanismus ist ‘säkularisiert’?
Wichtig ist erstens, dass humanitas gerade keine philosophische Kategorie war und wohl auch nicht ist. Ich zitiere den Altphilologen Friedmar Kühnert: Humanitas wurde verwendet ‘im Sinne von >verzeihender Liebe< (clementia), >Barmherzigkeit< (misericordia)’. Das Wort erscheint um 80 v.u.Z. in der Schrift ‘Rhetorica ad Herennium’ eines unbekannten Autors (vgl. Friedmar Kühnert: Zum Humanismus im Rom der republikanischen und augusteischen Zeit? Magna est enim vis humanitatis. In: Der antike und der sozialistische Humanismus. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität. Heft 5/6. Jena 1972, S. 871–880, hier S. 872, 876).
Zweitens. Wenn also Humanismus und Humanität sich von humanitas herleiten, dann heißt das (jetzt zitiere ich den Religionswissenschaftler und Humanismushistoriker Hubert Cancik): ‘die Menschheit (das Menschengeschlecht: genus humanum), Entrohung (e‑ruditio, Bildung) und Barmherzigkeit. Das gute deutsche Wort ‘Barmherzigkeit’ ist ebenfalls ein Lehnwort, nämlich die genaue Übersetzung von miseri-cordia’ (vgl. Hubert Cancik: Humanistische Begründung humanitärer Praxis. Barmherzigkeit und Bildung. In: Horst Groschopp (Hrsg.): Barmherzigkeit und Menschenwürde. Selbstbestimmung, Sterbekultur, Spiritualität. Aschaffenburg 2011, S. 17–33, hier S. 17).
Barmherzigkeit ist also der Leitbegriff jeder praktischen Humanität. Logisch, dass solches Herangehen auch ‘Spiritualität’, etwa bei der humanitären Sorge um Kranke, besonders bei der Sterbebegleitung, anders denken lässt als die traditionelle Freidenkerei oder die philosophische Erkenntnistheorie, wo es vorrangig um Vernunft und Rationalität geht, weniger um Anteilnahme, Milde, Mitgefühl, Nachsicht oder Wohltätigkeit.
Hubert Cancik, Frieder Otto Wolf und ich sind Herausgeber eines im nächsten Jahr bei de Gruyter erscheinenden Handbuches mit dem Titel ‘Humanismus: Grundbegriffe’. Das Konzept, auf das wir uns verständigt haben, lautet im ersten Satz: ‘>Humanismus< ist eine kulturelle Bewegung, ein Bildungsprogramm, eine Epoche (Renaissance), eine Tradition (>klassisches Erbe<), eine Weltanschauung, eine Form von praktischer Philosophie, eine politische Grundhaltung, welche für die Durchsetzung der Menschenrechte eintritt, und ein Konzept von Barmherzigkeit, das humanitärer Praxis zugrundeliegt.‘
Humanismus als ‘Konfession’ (vgl. den entsprechenden Text – und damit will ich schließen – bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene der Debatte. Dabei geht es um die strategische Orientierung des HVD, etwa gegenüber den Konfessionsfreien (vgl. diesen früheren Text). Der HVD ist eben – faktisch, nicht im Bewusstsein vieler Funktionäre – keine freidenkerische Organisation mehr, die den Laizismus verficht, also für ‘säkularen Humanismus’ kämpft, Humanismus als Säkularisierungsstrategie versteht, sondern um eine positive Weltanschauungsgemeinschaft nach dem Grundgesetz, den Religionsgesellschaften gleichgestellt, also – deshalb meine Zuspitzung – letztlich konfessionell handelt wie die Kirchen. Das wäre höchstens, das Fass will ich nicht auch noch aufmachen, belgischer Laizismus.
Dass der HVD mit dem Konfessionsbegriff keinen Blumentopf im ‘Volksatheismus’ gewinnen kann, ist auch mir klar. Aber es geht darum, zu begreifen, wer man faktisch ist und was daraus folgt, dass man nicht Religionsunterricht ablehnen und gleichzeitig Lebenskunde anbieten kann als Weltanschauungsunterricht, nicht als Ethik allgemein.“