Noch etwas über Humanismus

IMG_0466 Kopie.jpgZum drit­ten Mal ver­lieh die Katho­lisch-Theo­lo­gi­sche Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Erfurt den Erich-Klein­ei­dam-Preis. Preis­trä­ger wur­de Dr. Flo­ri­an Baab, inzwi­schen Aka­de­mi­scher Rat an der Katho­lisch-Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter. Er bekam am 3. Juli 2015 den Preis für sei­ne Erfur­ter Dis­ser­ta­ti­on „Was ist Huma­nis­mus? Geschich­te des Begrif­fes, Gegen­kon­zep­te, säku­la­re Huma­nis­men heute“.

Dazu habe ich mich in einer Rezen­si­on aus­führ­lich geäu­ßert. Dies war wohl der Grund, mich zu einer Podi­ums­dis­kus­si­on im Anschluss an die aka­de­mi­sche Ver­an­stal­tung ein­zu­la­den (Foto:  S. R. Krebs; v. links: Prof. Dr. Eber­hard Tie­fen­see, Dr. Andre­as Fin­cke, Dr. Flo­ri­an Baab, Dr. Horst Groschopp).

Über die­se Ver­an­stal­tung hat Sieg­fried R. Krebs einen infor­ma­ti­ven Bericht ver­öf­fent­licht und dort auch mei­nen Kurz­vor­trag wie­der­ge­ge­ben. Im Fol­gen­den die Schrift­fas­sung mit Anga­be der Quellen:

Ich möch­te mit einem Bezug auf Flo­ri­an Baab begin­nen. Er hat etwas ande­res abge­lie­fert, als sein Dok­tor­va­ter im Vor­wort aus­führt und das wohl des­sen Inten­ti­on war, das The­ma zu ver­ge­ben. Dies wur­de gera­de in der Lau­da­tio noch ein­mal wie­der­holt. Der Mar­xis­mus-Leni­nis­mus ‘setzt … offen­sicht­lich einen Teil sei­ner DDR-Geschich­te unter dem wer­be­wirk­sa­men Mar­ken­zei­chen ‘Huma­nis­mus’ fort.’ (Baab: Was ist Huma­nis­mus? S. 5) Davon ist im Buch nicht viel zu erken­nen, weil der Autor sich in die geis­ti­gen Rea­li­en ein­ge­ar­bei­tet hat.

Herr Baab stand vor einem Berg, denn wer kann schon, dazu als jun­ger Dok­to­rand, ein so umfas­sen­des The­ma ‘Was ist Huma­nis­mus?’ bewäl­ti­gen. Er hat sich geschickt aus der Affä­re gezo­gen. Er frag­te nach phi­lo­so­phi­schen [!] Posi­tio­nen im Schrift­tum des in Deutsch­land beson­ders im Huma­nis­ti­schen Ver­band (HVD) und der Giord­a­no- Bru­no-Stif­tung (gbs) orga­ni­sier­ten Huma­nis­mus. Dabei hat er eini­ge Prot­ago­nis­ten schön ana­ly­siert: Frie­der Otto Wolf, Joa­chim Kahl und Micha­el Schmidt-Salomon.

Und weil Baab strin­gent ana­ly­siert, kommt er zu dem Schluss, ich spit­ze zu: Er hat Phi­lo­so­phie gefun­den, nicht unbe­dingt Huma­nis­mus. Ich wür­de hin­zu­fü­gen, er konn­te auch den Begriff Huma­ni­tät nicht fin­den, ohne den Huma­nis­mus aber nicht defi­nier­bar ist. Aber er stieß auf Gita Neu­manns alte Kri­tik am ‘säku­la­ren Huma­nis­mus’ von 1991, dem sie berech­tigt Käl­te unter­stellt (vgl. Gro­schopp: Per­spek­ti­ven des Huma­nis­mus FN 110, S. 36).

Das Kon­zept des ‘säku­la­ren Huma­nis­mus’ ist aber, das wur­de mir selbst erst im Früh­jahr 2014 kla­rer (vgl. obi­gen Ver­weis auf ‘Per­spek­ti­ven des Huma­nis­mus’), eine Zwi­schen­sta­ti­on gewe­sen auf dem Weg der Hin­wen­dung der­je­ni­gen Frei­den­ker zum Huma­nis­mus, die dann im Janu­ar 1993 den HVD grün­de­ten. Vie­le sind da gedank­lich ste­hen geblie­ben, vor allem, weil die­ser Huma­nis­mus nun ergänzt wird durch einen phi­lo­so­phi­schen Natu­ra­lis­mus. Im Kern hält die­ses Kon­zept Reli­gi­ons- und Kir­chen­kri­tik für wich­ti­ger als prak­ti­schen Huma­nis­mus, wie er sich etwa in den Kon­zep­tio­nen in Hol­land und Bel­gi­en fin­det, dort sogar uni­ver­si­tär als ‘Huma­nis­tik’ gelehrt wird.

Oft ver­engt sich gera­de in phi­lo­so­phi­schen Dis­kur­sen über Huma­nis­mus der Blick und erhebt sich förm­lich über Huma­ni­tät. Dabei haben die Wör­ter Huma­nis­mus und Huma­ni­tät in huma­ni­tas einen ein­heit­li­chen latei­ni­schen Wort­ur­sprung, der die enge Bin­dung bei­der Aus­prä­gun­gen von Beginn an in sich trägt, auch wenn es in der Geschich­te des Huma­nis­mus zu kon­zep­tio­nel­len Ablö­sun­gen von der Huma­ni­tät kam, etwa durch Ver­ein­sei­ti­gun­gen von Bil­dung, durch zeit­li­che Beschrän­kung auf die Anti­ke oder gar durch Annä­he­run­gen an den Natio­nal­so­zia­lis­mus im ‘Drit­ten Humanismus’.

Wenn es um Huma­ni­sie­run­gen geht und um Aneig­nun­gen des Huma­nis­mus, bedarf es, zuge­spitzt gesagt, gar nicht der Säku­la­ri­sie­rungs­theo­rie. Denn was am Huma­nis­mus ist ‘säku­la­ri­siert’?

Wich­tig ist ers­tens, dass huma­ni­tas gera­de kei­ne phi­lo­so­phi­sche Kate­go­rie war und wohl auch nicht ist. Ich zitie­re den Alt­phi­lo­lo­gen Fried­mar Küh­nert: Huma­ni­tas wur­de ver­wen­det ‘im Sin­ne von >ver­zei­hen­der Lie­be< (cle­men­tia), >Barm­her­zig­keit< (miser­i­cor­dia)’. Das Wort erscheint um 80 v.u.Z. in der Schrift ‘Rhe­to­ri­ca ad Her­en­ni­um’ eines unbe­kann­ten Autors (vgl. Fried­mar Küh­nert: Zum Huma­nis­mus im Rom der repu­bli­ka­ni­schen und augus­te­ischen Zeit? Magna est enim vis huma­ni­ta­tis. In: Der anti­ke und der sozia­lis­ti­sche Huma­nis­mus. In: Wis­sen­schaft­li­che Zeit­schrift der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät. Heft 5/6. Jena 1972, S. 871–880, hier S. 872, 876).

Zwei­tens. Wenn also Huma­nis­mus und Huma­ni­tät sich von huma­ni­tas her­lei­ten, dann heißt das (jetzt zitie­re ich den Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler und Huma­nis­mus­his­to­ri­ker Hubert Can­cik): ‘die Mensch­heit (das Men­schen­ge­schlecht: genus huma­n­um), Ent­ro­hung (e‑ruditio, Bil­dung) und Barm­her­zig­keit. Das gute deut­sche Wort ‘Barm­her­zig­keit’ ist eben­falls ein Lehn­wort, näm­lich die genaue Über­set­zung von mise­ri-cor­dia’ (vgl. Hubert Can­cik: Huma­nis­ti­sche Begrün­dung huma­ni­tä­rer Pra­xis. Barm­her­zig­keit und Bil­dung. In: Horst Gro­schopp (Hrsg.): Barm­her­zig­keit und Men­schen­wür­de. Selbst­be­stim­mung, Ster­be­kul­tur, Spi­ri­tua­li­tät. Aschaf­fen­burg 2011, S. 17–33, hier S. 17).

Barm­her­zig­keit ist also der Leit­be­griff jeder prak­ti­schen Huma­ni­tät. Logisch, dass sol­ches Her­an­ge­hen auch ‘Spi­ri­tua­li­tät’, etwa bei der huma­ni­tä­ren Sor­ge um Kran­ke, beson­ders bei der Ster­be­be­glei­tung, anders den­ken lässt als die tra­di­tio­nel­le Frei­den­ke­rei oder die phi­lo­so­phi­sche Erkennt­nis­theo­rie, wo es vor­ran­gig um Ver­nunft und Ratio­na­li­tät geht, weni­ger um Anteil­nah­me, Mil­de, Mit­ge­fühl, Nach­sicht oder Wohltätigkeit.

Hubert Can­cik, Frie­der Otto Wolf und ich sind Her­aus­ge­ber eines im nächs­ten Jahr bei de Gruy­ter erschei­nen­den Hand­bu­ches mit dem Titel ‘Huma­nis­mus: Grund­be­grif­fe’. Das Kon­zept, auf das wir uns ver­stän­digt haben, lau­tet im ers­ten Satz: ‘>Huma­nis­mus< ist eine kul­tu­rel­le Bewe­gung, ein Bil­dungs­pro­gramm, eine Epo­che (Renais­sance), eine Tra­di­ti­on (>klas­si­sches Erbe<), eine Welt­an­schau­ung, eine Form von prak­ti­scher Phi­lo­so­phie, eine poli­ti­sche Grund­hal­tung, wel­che für die Durch­set­zung der Men­schen­rech­te ein­tritt, und ein Kon­zept von Barm­her­zig­keit, das huma­ni­tä­rer Pra­xis zugrundeliegt.‘

Huma­nis­mus als ‘Kon­fes­si­on’ (vgl. den ent­spre­chen­den Text – und damit will ich schlie­ßen – bewegt sich auf einer ganz ande­ren Ebe­ne der Debat­te. Dabei geht es um die stra­te­gi­sche Ori­en­tie­rung des HVD, etwa gegen­über den Kon­fes­si­ons­frei­en (vgl. die­sen frü­he­ren Text). Der HVD ist eben – fak­tisch, nicht im Bewusst­sein vie­ler Funk­tio­nä­re – kei­ne frei­den­ke­ri­sche Orga­ni­sa­ti­on mehr, die den Lai­zis­mus ver­ficht, also für ‘säku­la­ren Huma­nis­mus’ kämpft, Huma­nis­mus als Säku­la­ri­sie­rungs­stra­te­gie ver­steht, son­dern um eine posi­ti­ve Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft nach dem Grund­ge­setz, den Reli­gi­ons­ge­sell­schaf­ten gleich­ge­stellt, also – des­halb mei­ne Zuspit­zung – letzt­lich kon­fes­sio­nell han­delt wie die Kir­chen. Das wäre höchs­tens, das Fass will ich nicht auch noch auf­ma­chen, bel­gi­scher Laizismus.

Dass der HVD mit dem Kon­fes­si­ons­be­griff kei­nen Blu­men­topf im ‘Volks­athe­is­mus’ gewin­nen kann, ist auch mir klar. Aber es geht dar­um, zu begrei­fen, wer man fak­tisch ist und was dar­aus folgt, dass man nicht Reli­gi­ons­un­ter­richt ableh­nen und gleich­zei­tig Lebens­kun­de anbie­ten kann als Welt­an­schau­ungs­un­ter­richt, nicht als Ethik allgemein.“