Anfang und Ende der reichsgesetzlichen Verankerung der „weltlichen Schulen“
Ein vergebliches Bemühen
Ein Kompromiss
Mit der WRV und dessen Artikel 144 stand das gesamte Schulwesen unter staatlicher Aufsicht und wurde von Beamten des Staates ausgeführt. Artikel 145 legte die allgemeine Schulpflicht vom 6. bis 14. Lebensjahr in der Volksschule fest und bestimmte den Besuch der Fortbildungsschule bis zum 18. Lebensjahr.
Dieser Artikel sicherte für die Volks- und Fortbildungsschulen die Unentgeltlichkeit des Unterrichts. Artikel 146, 1 verwies auf ein organisch gestaltetes Schulwesen, vermied aber ausdrücklich den sozialdemokratischen Begriff der „Einheitsschule“.
Weder der Norddeutsche Bund von 1867 noch die Verfassung des Deutsches Reiches von 1871 besaßen Regelungen, die das Staat-Kirche-Verhältnis hinsichtlich des Schulwesens betrafen. Das war Ländersache – bis die Revolutionsregierung hier im November 1918 mit den Verfügungen von Haenisch und Hoffmann eingriff, die dann um die Jahreswende großenteils zurückgenommen oder auf Eis gelegt wurden. Preußen wollte für eine neue Verfassung zunächst keinen großen neuen Entwurf, sondern nur eine allgemeine Regelung zur Glaubens- und Gewissensfreiheit auch in der Schulfrage mit der Begründung: „Gerade hier darf die Eigenart der verschiedenen Landschaften und Stämme … keineswegs durch eine unverständig zentralisierende und schematisierende Gesetzgebung und Verwaltung verletzt werden“.[1]
Damit war der Deutsche Lehrerverein nicht einverstanden und wandte sich am 16. Februar 1919 mit einer Eingabe an die Nationalversammlung mit der Bitte, „daß das Schul- und Bildungswesen im Gesamtstaat eine Regelung erfährt“,[2] eingeschlossen Staat-Kirche-Fragen. Dagegen wehrte sich die Mehrheit der Länder im Staatenausschuß, der entsprechende Änderungen am Verfassungsentwurf vorlegte. Diese griff am 28. Februar 1919 der Berliner Sozialdemokrat Richard Fischer mit dem Vorwurf des Klassendünkels und der religiösen Intoleranz scharf an, woraufhin Clemens von Delbrück (DNVP) und Rudolf Heinze (DVP) vehement den Religionsunterricht verteidigten.
Das weitere Hin und Her in den Schulsachen hat 1920 Hermann Rosin, Oberlehrer für Deutsch, Hebräisch und Religion in Mönchengladbach, in seinem Buch Das Schulkompromiß umfänglich und detailreich beschrieben. Er kam zu zwei für unseren Gegenstand wesentlichen Schlüssen. Erstens unterschied er klar zwischen weltlichen Schulen und Weltanschauungsschulen; zweitens brachte er das Schulaufsichtsproblem bei den Konfessionsschulen auf den Punkt: Sie sei keine selbständige Schule. Sie „ist und bleibt eine Kirchenschule, in der die Kirche nicht nur den Religionsunterricht, sondern den ganzen Unterricht zu überwachen hat“.[3]
Die „weltliche Schule“ sei dadurch bestimmt, dass die Konfessionszugehörigkeit der Schüler und Lehrer letztlich keine Rolle spiele. Der Lehr- und Stundenplan komme ohne Religionsunterricht aus. Es sei aber möglich, „außerhalb der Schulzeit in der Schule Religionsunterricht zu erhalten“. Dieser sei dann „lediglich eine Angelegenheit der Religionsgemeinschaften“.[4]
Hier fügte Rosin eine Fußnote zu einem möglichen Ersatzunterricht ein. Er zitiert aus der Rede der promovierten entschiedenen Schulreformerin und politischen Frauenrechtlerin Hildegard Wegscheider (SPD) in der Preußischen Landesversammlung am 3. Dezember 1919: „Wir würden sehr zufrieden sein, wenn in jeder Schule ein wirklich religionskundlicher Unterricht erteilt wird. Wir werden ihn erstreben, während der flache Moralunterricht, etwa der französischen Schulen, als eine Karikatur des Unterrichts erscheint und von uns gar nicht erst in Betracht gezogen wird.“[5]
Nichts ist geregelt
Mit der WRV erhielten einige Regelungen der Staat-Kirche-Schulfragen Verfassungsstatus. Ständige Streitpunkte lieferten danach die Artikel 146, 2 und 149, 1:
Erstens blieb strittig, dass „auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten“ seien mit dem vagen und instrumentalisierbaren Zusatz, „soweit ein geordneter Schulbetrieb … nicht beeinträchtigt wird“. Johannes Tews merkte hierzu grundsätzlich an, dass es sich hier letztlich gar nicht um ein Elternrecht handle, sondern „nur um ein Recht der in Bekenntnis- und Weltanschauungsgemeinschaften vereinigten Eltern bezw. Erziehungsberechtigten“.[6]
Zweitens war die Formel von der „Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen“ umkämpft, was die Erteilung des Religionsunterrichts als „ordentliches Lehrfach“ betrifft.
In der Sozialdemokratie – aber nicht nur dort – herrschte Verwirrung darüber, wie sich „weltliche Schulen“ und „Weltanschauungsschulen“ zueinander verhalten. Heinrich Schulz, in diesem Punkt von Ernst Heilmann unterstützt, versuchte die Gremien seiner Partei vergeblich davon zu überzeugen, dass im Verfassungskompromiss das Wort „Weltanschauungsschule“ erstens gar nicht in dieser herausgehobenen Bedeutung vorgesehen gewesen sei, und zweitens eine solche schon gar nicht mit der „weltlichen Schule“ identisch sei. Er erreichte aber auf dem Düsseldorfer Parteitag Anfang 1920 nur den Beschluss, dass sich die SPD von beiden Varianten auf die „weltliche Schule“ festlegt.
Dieses Durcheinander in der Zielbestimmung prägt das uneinheitliche Auftreten der SPD in der Weimarer Republik, wie Wolfgang W. Wittwer 1980 in seiner Analyse der sozialdemokratischen Schulpolitik feststellte. Die „Weltlichkeit der Schule“ sei in immer weitere Ferne gerückt worden. In diese Lücke sei das Gegenwartsthema „weltliche Schule“ gestoßen als eine perspektivische, weil ausbaufähige Sonderform. Doch hätten viele in der Partei diese bekenntnisfreie Einrichtung als proletarische Weltanschauungsschule verfstanden.[7] Es versteht sich, dass dieses Dilemma auch die Verhandlungen über ein Reichsschulgesetz beeinflusste.
Artikel 146, 2 gab den Verfassungsauftrag, ein Reichsschulgesetz zu erstellen. Darin sollte auch festgelegt werden, was eine „weltliche Schule“ ist. Ein erster „Referentenentwurf“ des Innenministeriums vom Frühjahr 1920 wurde vom Reichsschulausschuss des Reichstages Ende Oktober 1920 an mehreren Tagen beraten und als vom Kabinett gebilligter „Gesetzentwurf“ dem Reichsrat vorgelegt. Der daraufhin überarbeitete Entwurf wurde als Gesetzesvorlage am 22. April 1921 dem Reichsstag übersandt. Darin wurde bestimmt:
„§ 1. Die Volksschulen sind Gemeinschaftsschulen, soweit sie nicht nach näherer Bestimmung dieses Gesetzes Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreie Schulen bleiben oder werden. Die bekenntnisfreien Schulen sind entweder weltliche Schulen oder Weltanschauungsschulen.[8]
§ 2. … Zur Ermöglichung eines privaten Unterrichts in einem Bekenntnis oder eines privaten bekenntnisfreien Religions- oder Moralunterrichts sind, falls in diesen Fächern die Schule keinen lehrplanmäßigen Unterricht erteilt, Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung bereitzustellen; die Wünsche der Beteiligten sollen nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen und den Umfang der Bereitstellung bestimmt das Landesrecht.
Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis ist nicht Voraussetzung für die Anstellung der Lehrer. Jedoch ist hierbei auf die religiöse Gliederung der Schüler nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen. …
§ 4. Bekenntinisfreie (weltliche oder Weltanschauungs-)Schulen sind die Volksschulen, die Religionsunterricht im Sinne des Artikel 149 Abs. 1 der Reichsverfassung nicht erteilen.
Für die weltliche Schule gelten folgende Bestimmungen:
1. Sie steht allen Schülern offen. § 2 Abs. 2 findet Anwendung.
2. Angehörige jedes Bekenntnisses und jeder Weltanschauung können als Lehrer angestellt werden.
3. Dem Unterrichte sind allgemein bestehenden Lehrpläne und die allgemein gebrauchten Lehrbücher zugrunde zu legen. Jedoch können die Lehrbücher der Art der Schule angepaßt sein.
Schulen einer Weltanschauung, deren gemeinschaftliche Pflege sich eine der im Artikel 137 Abs. 7 der Reichsverfassung erwähnten Vereinigungen zur Aufgabe macht (Weltanschauungsschulen), können eingerichtet werden, wenn der Vereinigung nach Maßgabe des Artikel 137 Abs. 5, 7 der Reichsverfassung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes gewährt sind. Die nähere Gestaltung solcher Schulen bleibt landesrechtlicher Regelung überlassen.“[9]
Ende Januar 1922 fand die erste Lesung statt. Danach gab es eine breite gesellschaftliche Debatte, in der sich pädagogische und politische Differenzen ausdrückten. Im Juni 1922 organisierte Schulz eine vertrauliche interfraktionelle Besprechung der Parteienvertreter, die die Schulartikel der Verfassung getragen hatten. Er stellte eine Vorlage her, die dann zu einem gemeinsamen (nicht öffentlichen) Entwurf führte:
„Die weltliche Volksschule ist für Kinder aller Bekenntnisse und Weltanschauungen bestimmt und Lehrer aller Bekenntnisse und Weltanschauungen können an ihr tätig sein. Dadurch, daß vorübergehend oder dauernd nur Kinder desselben Bekenntnisses oder Kinder, die keinem Bekenntnis angehören, eine weltliche Volksschule besuchen, oder dadurch, daß vorübergehend oder dauernd nur Lehrer desselben Bekenntnisses oder Lehrer, die keinem Bekenntnis angehören, an ihr tätig sind, verliert sie nicht ihren Charakter als weltliche Volksschule.
Die weltliche Volksschule erteilt den gesamten Unterricht für alle Kinder gemeinsam, und zwar auf allgemein-sittlicher Grundlage. Religionsunterricht wird im Rahmen des Lehrplanes nicht erteilt, an seine Stelle kann eine Unterweisung in sittlicher Lebensführung treten. Religionskunde und religionsgeschichtliche Belehrung bilden einen Teil des geschichtlichen und kulturkundlichen Lehrstoffs und können in besonderen Unterrichtsstunden erteilt werden.“[10]
Weiter alles offen
Die interfraktionellen Beratungen wurden danach nicht fortgeführt. Es bildete sich vielmehr eine Arbeitsgemeinschaft von Parlamentariern ohne die Sozialdemokraten. Am 28. Februar 1923 legte sie unter der Regierung Cuno einen Antrag vor, der einen Monat später durch einen Ersatzantrag abgelöst wurde. Dieser Entwurf bediente vor allem kirchliche Interessen, die Sicherung des Religionsunterrichts überall, „mit Ausnahme der weltlichen Schulen“, und die Garantie der Übereinstimmung des Lehrstoffes „mit den Grundsätzen der betreffende Religionsgesellschaft“. Die Frage der „weltlichen Schulen“ wurde nicht berührt. Es blieb beim oben genannten § 4.
Aber es wurde ein § 4a hinzugefügt, in dem „Religionsunterricht“ und „Unterricht in sittlicher Lebensführung“ alternative Fächer sind und erstmals ein „lebenskundlicher Unterricht“ erwähnt wird, der ein Privatunterricht sein soll alternativ zu einem privaten Relgiogionsunterricht. Der „lebenskundliche Unterricht“ wird im § 4 als „Religionskunde“ und „kulturkundlicher Lehrstoff“ umschrieben:
„In allen Schulen ist für Kinder, für die lehrplanmäßig Religionsunterricht ihres Bekenntnisses oder Unterweisung in sittlicher Lebensführung nicht erteilt wird, der entsprechende Unterricht einzurichten, sofern ihn die Erziehungsberechtigten von mindestens zwölf Schulkindern beantragen. Wird die Zahl nicht erreicht, so sind für die Erteilung privaten Religionsunterrichts oder privaten lebenskundlichen Unterrichts auf Verlangen Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung unentgeltlich bereit zu stellen.“[11]
Vom Februar bis Juli 1923 kam es zu diversen, letztlich ergebnislosen Ausschussberatungen und zur Bildung von Interessengruppierungen der Abgeordneten unter wechselden Regierungen. Im Mai 1923 unternahmen der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) und der Kultusminister Otto Boelitz (DVP) den Versuch, mit Hilfe eines Notgesetzes wenigstens in Preußen die Ungesetzlichkeit der „weltlichen Schulen“ zu beenden. Die DNVP und DVP lehnten den Vorstoß ab. Das Zentrum äußerte Bedenken.
Die Idee zu einem „Notgesetz“ war öffentlich erstmals im Sommer 1922 vom Bund der freien Schulgesellschaften vorgetragen worden. Anlass dafür waren nicht nur Schwierigkeiten, „weltliche Schulen“ in Preußen zu etablieren, gegen die, zum Beispiel in Höchst, katholische Eltern mit Schulstreiks vorgingen, sondern auch vier Fälle in Württemberg. Dabei wurden Lehrer aus dem Schuldienst entlassen, weil sie aus der Landeskirche ausgetreten waren. Einem weiteren „unständigen“ Lehrer in Heilbronn ereilte das gleiche Schicksal, weil er nicht Religion unterrichten wollte.
Die Kündigung sei zwar zurückgenommen worden, „aber ist doch überaus bezeichnend … auch für das Ansehen der Reichsregierung bei den Einzelstaaten wie bei der Kirche, daß diese glauben, sich selbst über die Artikel der Reichsverfassung glatt hinwegsetzen zu dürfen.“ Wenn das Reichsschulgesetz noch weiter auf sich warten lasse, müsse „von hier aus die ernsteste Forderung gestellt werden zur beschleunigten Herausbringung eines Notgesetzes“.[12]
Anfang Januar 1924 beschloss die Verwaltungsabbaukommision, die Debatten über ein Reichsschulgesetz aus Kostengründen einzustellen. Dieser Beschluss war folgenreich. Den unmittelbar Betroffenen wurde schlagartig klar, dass die „weltliche Schule“ nie eine gesetzliche Grundlage bekommen könnte. Das Ende dieser Schulen wurde vorstellbar. Zum Jahresende rief der Bund der Freien Schulgesellschaften gemeinsam mit sozialdemokratischen freidenkerischen Organisationen, etwa der 1922 in Magdeburg entstandenen Reichsarbeitsgemeinschaft Freigeistiger Verbände, zu einer Unterschriftensammlung für ein Notgesetz auf. Der Misserfolg war programmiert und zeigte den schwindenden Einfluss der Freidenker auf die SPD-Schulpolitik ebenso wie die Isolation in der Bevölkerung.
Letzter Anlauf und Ende
Unter der Regierung des parteilosen Hans Luther wurde im Frühjahr 1925 die Arbeit an einem Reichsschulgesetz wieder aufgenommen. Der Deutschnationale Martin Schiele, Reichsinnenminister, legte einen Schulgesetzentwurf seiner Referenten vor, der im Oktober 1925 mit Vertretern der Unterrichtsverwaltungen der Länder beraten wurde. Der Entwurf versuchte sich vergeblich an einer umfassenden Lösung.[13]
Nicht erst Heinrich Schulz machte den Text, erst kürzlich aus dem Amt geschieden, 1926 öffentlich,[14] sondern bereits ein halbes Jahr früher Kurt Löwenstein.[15] Er zerpflückte die einzelnen Artikel und mitgelieferten Begründungen aus dem Hause Schiele.[16] Johannes Tews publizierte den vollständigen Entwurf zur Ausführung des Artikels 146, 2 WRV und verglich ihn ausführlich mit dem Schulz-Entwurf von 1921. Er vermittelt (wohl berechtigt) den Eindruck einer zunehmenden Verwirrung, Sachen für das Reich regeln wollen bzw. zu sollen, die bereits landesrechtlich festgeschrieben und gar nicht mehr zu ändern waren.
Die Analyse von Schulz, sicher etwas später erstellt als die von Löwenstein, geschrieben sicher auch als Rechtfertigung seiner mehrjährigen Amtsausübung, fiel deprimierend aus hinsichtlich der möglichen Verankerung „weltlicher Schulen“ in einem Reichsgesetz. Da schrieb der hohe Verwaltungsbeamte, der die Tatsachen zusammenzählte, aber auch der gescheiterte Politiker. Anders der pädagogische Enthusiast und Schulreformer Löwenstein, bis 1930 Fraktionskollege von Schulz im Reichstag. Er formuliert am Schluss seiner Studie ein von Optimismus überschäumendes Nachwort, dass mit keiner Silbe auf die Abschirmung bestimmter Regierungsbezirke in Preußen und Preußens insgesamt im Reich in Sachen „weltliche Schule“ eingeht.
Es gäbe in Preußen „nahezu 2000 gut gefüllter Sammelklassen“. Schon heute „hat der Bund der freien Schulgesellschaften 50 000 organisierte Mitglieder und in der Arbeitsgemeinschaft freigeistiger Verbände haben sich nahe 1 Million Dissidenten zusammengeschlossen“. Die „freie, einheitliche, weltliche Schule“ sei in der „Hauptsache ein Kampf der Massen“. „Wenn in den nächsten Wochen und Monaten die Abmeldungen vom Religionsunterricht in die Millionen gehen, und wenn 100 000 Lehrer des Deutschen Lehrervereins, die die Forderung der weltlichen Schule anerkennen, den Religionsunterricht niederlegen, dann ist die Macht des Klerikalismus und der Kulturreaktion gebrochen. … Die weltliche Schule wird Wirklichkeit sein, wenn wir sie wollen und entsprechend handeln.“[17]
Es kam bekanntlich anders. Aus einer späteren Stellungnahme Preußens (1927) kann entnommen werden, dass Preußen im Oktober 1925 sofort offiziell starke Bedenken gegen den Schiele-Vorschlag äußerte. Der neue Entwurf auf dieser Basis von 1927 – unter der Regierung des Zentrumspolitikers Wilhelm Marx – wurde am 16. Juli 1927 veröffentlicht. Er wollte ebenfalls Artikel 146, Abs. 1 grundsätzlich regeln und nannte drei Formen der deutschen Volksschule: die nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule (Gemeinschaftsschule), die Bekenntnisschule und die bekenntnisfreie Schule (weltliche oder Weltanschauungschule).
Nachdem alle Vermittlungsbemühungen vergeblich waren, scheiterte mit diesem Versuch die Reichsschulgesetzgebung endgültig und damit die Perspektive für „weltliche Schulen“ nicht nur als gesamtdeutsches Projekt mit reichsgesetzlicher Verankerung, sondern jedweder gesetzlichen Basis – auch in Preußen.
Die Schlussfolgerungen des Bundes der Freien Schulgesellschaften Anfang 1928 sind ein Gemisch aus Trotzreaktion und Wunschdenken. „Einige unserer Freunde sind vielleicht der Meinung, daß wir zur Zeit die Gründung neuer weltlicher Schulen nicht mit besonderem Eifer zu betreiben brauchen, daß wir vorteilhafter erst nach Abschluß der Verhandlungen im Reichstag mit einer verschärften Werbung für neue weltliche Schulen einsetzen sollten. Wer aber § 18 Absatz 4 [Entwurf Reichsschulgesetz des Reichstagsausschusses, HG] einmal aufmerksam durchliest, wird sich schnell zur gegenseitigen Ansicht bekennen. Also Bundesfreunde, nicht Tritt an Ort, sondern vorwärts in Gewaltmärschen!“[18]
Pragmatisch reagierte am 14. Juni 1928 Kultusminister Becker. In einem Schreiben an alle Regierungen und das Provinzialschulkollegium Berlin-Lichterfelde legte er noch einmal hochoffiziell in fünf Punkten die Voraussetzungen und Wege dar, die „als verwaltungsorganisatorische Maßnahme“ in Form einer „Umschulung vom Religionsunterricht“ zu „Sammelklassen“ führen.[19] Weitermachen, auch ohne Gesetz.
- Rosin: Das Schulkompromiß, S. 5. ↑
- Rosin: Das Schulkompromiß, S. 5. ↑
- Rosin: Das Schulkompromiß, S. 79. ↑
- Rosin: Das Schulkompromiß, S. 78 f. ↑
- Rosin: Das Schulkompromiß, S. 79, Fn. ↑
- Tews: Zum deutschen Schulkampf, S. 31. ↑
- Vgl. Wittwer: Die sozialdemokratische Schulpolitik. ↑
- Auch hier findet sich die Gleichsetzung von „bekenntnisfreien“ und „weltanschaulichen“ Schulen, die beide „weltliche Schulen“ genannt werden. ↑
- Schulz: Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, S. 80. – Wenige Jahre zuvor war Schulz noch optimistisch, vgl. Ders.: Das Ergebnis der Reichsschulkonferenz. In: Härtig: Lehrplan, S. 1–4. ↑
- Schulz: Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, S. 120. ↑
- Schulz: Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, S. 128. ↑
- Weltliche Schule, Kirche und Staat. In: Die freie Schule 2(30. Juli 1922)31, S. 241 f., hier S. 242. ↑
- Der Entwurf wurde von den Freidenkerverbänden einer sofortigen grundsätzlichen Kritik unterzogen. Vgl. Zum Kampf um die freie Schule, S. 8 f., S. 8: „§ 10 des Entwurfs enthüllt die Tendenz des ganzen Gesetzes“, in dem er „einfach die heute bestehenden Volksschulen ohne weiteren Antrag für ‘Bekenntnisschulen’ erklärt. ↑
- Vgl. Schulz: Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, S. 140–147. – Schulz nennt den ganzen Vorgang eine „Tragikomödie“. ↑
- Vgl. Tews: Zum deutschen Schulkampf, S. 41–56. ↑
- Vgl. Löwenstein: Zum Kampfe um das Reichsschulgesetz, S. 13–46. ↑
- Löwenstein: Zum Kampfe um das Reichsschulgesetz, S. 47. ↑
- Wie steht’s mit dem Reichsschulgesetz? In: Die freie weltliche Schule. 8(5. Februar 1928)3, S. 17 f., hier S. 18. – Der angeführte Paragraph führte aus, dass die bestehenden Sammelschulen zu „bekenntnisfreien Schulen“ werden, wenn die möglichen Anträge der Erziehungsberechtigten auf Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule im Sinne des vorliegenden Gesetzes keine Mehrheit finden. Vgl. ebd., S. 21. ↑
- Vgl. Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Berlin 1928. 70. Jahrgang, S. 220. ↑