ZWICKAU. (hpd) Vorige Woche, pünktlich zum Valentinstag, kam der Film “Fifty Shades of Grey” in die Kinos und in aller Munde. In den USA hat der Film bereits über achtzig Millionen Dollar eingespielt. Er bricht auch in Deutschland Besucherrekorde. Besonders in katholischen Gegenden feiert er Triumphe. Die Medienlandschaft verkündet seit Wochen einen sensationellen Sadomaso-Film. Was für eine Irreführung, meint der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp in seiner Filmkritik.
BDSM auf Baumarktniveau
Der Ruch des SM verflüchtigte sich rasch. Zurück blieb der Blick in eine Domina-Arbeitsstätte mit Equipment von geschätzten 60.000 Dollar, Eigentum einer stinkreichen Lächelmaus namens Christian. Die Zeitung “Nordbayern” persiflierte den Titel “Fünfzig Facetten des Grey” (möglich auch: “Fünfzig Färbungen von Grau”) in “Fünfzig Schattierungen der Langeweile”. Madonna lästerte sofort, das sei sexy für jemand, der noch nie Sex hatte. “Gähnen statt Stöhnen … Kitsch-Klatsche statt Kino-Orgasmus”, schreibt die BILD. Jetzt laufen die werblichen Nachwellen an, das ganze Merchandising. Auch die Verballhornungen sind schon da: Hamburg habe bei der Fußballniederlage von Null zu Acht gegen München mächtige Peitschenhiebe eingesteckt.
Was BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) ist, jedenfalls was man davon im Film sieht, ist bis auf die eine Szene kurz vor Schluss ziemlich blümchenlike und weltfremd, wie vieles im Film. Das war auch nicht anders zu erwarten. Es wurde schon über das Buch gesagt. Die britische Autorin der 2011/12 erschienenen Trilogie E. L. James verweigerte nämlich zu SM jegliche Aussage standhaft.
FOCUS-Redakteur Uwe Wittstock schrieb resigniert Ende Juni 2012 unter der Überschrift “Keine Fragen, die Sadomasochismus fokussieren!” “Kann es sein, dass hier eine Menge Heuchelei im Spiel ist?
… Und ist vielleicht gerade diese Heuchelei und Verklemmtheit ein Grund für den großen Erfolg der Bücher?” … und nun des Films? Es ist wohl so, zumal alle Akteure in großer Happyness-Stimmung und auf Disneyart durch den Film schlendern und über dessen problemfreien Zonen schweben: alles super, keine Eile Anna, mein Hubschrauber wartet und ich bringe Dich, Überraschung!, zum Segelflug, die viele Zeit haben wir, mein Geld arbeitet.
Die Besucher, meist junge Mädchen und Frauen, einige wenige Jünglinge, stehen vor Rätseln: Macht man Sex jetzt so und was mach ich, wenn ich mal welchen habe? Die Werbung im Vorspann sagt: Gleitcreme nehmen. Aber ob das reicht? Eine Sexualberaterin klärt das ratlose Publikum in der “Süddeutschen” auf. Sie gibt Hinweise, was zu tun wäre, wenn man SM-Neigungen verspürt. Sie geht über die Baumarktgeschichten hinaus, wird ganz praktisch.
Wozu gleich Peitschen kaufen, rät sie, wo für’s erste schon Rührlöffelhiebe auf den Hintern helfen. Die Erfahreneren können ja dann erweitert kaufen, “Material, um sich spezielle SM-Möbel zu konstruieren, etwa Schaukeln und Wippen.” “Und gerade als Anfänger sollte man darauf achten, nicht zu fest zuzuziehen, sodass sich der andere selbst befreien kann. Außerdem ist ein Codewort wichtig.” Und hilft der Film beim Einstieg der Bedüftigen? “Über bestimmte Praktiken erfährt man da nicht viel.”
Den ganzen Film über geht es um einen Vertrag. Das Publikum und die Anna finden das irgendwie überflüssig. Doch wenn Buch und Film etwas zum Verständnis von BDSM beitragen und das. Es macht den Unterschied zu dem, was von Marquis De Sade zu lesen ist, dem Namensgeber einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis vor kurzer Zeit noch als “Krankheit” eingestuften sexuellen Verhaltensweise. Das Moderne ist ein solcher Freiwilligenvertrag. Hier hat die Autorin James sogar die feministische Debatte neu justiert, denn: aus Selbstbestimmung zeitweilig Sklavin zu sein ist keine Frauenunterdrückung mehr. Da warte ich mal auf die Botschaften aus dem “säkularen Spektrum”.
Das weibliche Publikum, man spricht von siebzig Prozent Besucheranteil, bringen die Vorgänge auf der Leinwand zu vielerlei Gekicher bis hin zu lauten Spontaneinwürfen im Saal: “Gugge ma‘ den art’schen [artig, HG] Schlüpper”. Wenn die Frauen und Mädchen erst den Betrug am Publikum realisieren, dass der Hintern von Dakota Johnson öfters gedoubelt war … Hauptdarsteller Jamie Dornan soll, so heißt es, die Rolle bekommen haben, eben weil er so prüde ist, damit ja kein SM-Verdacht aufkommt. Zwar hat Dornan ganz “geschäftsmäßig” einen SM-Klub besucht, sich aber danach, ehe er seine Frau und sein Baby anfasste, gründlich geduscht. So tritt er auch im Film auf. Hatte Dornan einen “Vanillaschub”?
Vielleicht führt der Film zu “Vanillaschüben”. So nennt man die Schuldgefühle, die bei Menschen auftreten, wenn sie bei sich selbst BDSM-Neigungen verspüren. Dann entfernen sie oft alles, was an die Obsession erinnert, aus ihrem Leben. Aber vielleicht sind viele per Buch und Film doch ermuntert worden, etwas weiter zu gehen als bisher, zumal doch sogar der öffentliche SWR-Rundfunk die “Flaute im Bett” beklagt – in den Schlafzimmern langweilt und kriselt es – und die Paare therapieren will.
Da Protestrufe von Moralaposteln oder Jugendschützern weitgehend ausblieben, lediglich in den USA gab es einige kleine kirchliche Stimmen, lautet das Signal: Dieser SM ist keine Perversion und deshalb auch nicht sündhaft, solange nicht wirklich gehauen wird. Aber Rufe nach Sittlichkeit sind in unserer sexualisierten Öffentlichkeit sowieso rar. Selbst im Normalfernsehen geht es manchmal bis an die Grenze zum Porno. Warten wir auf ein klärendes Papstwort, was den Film betrifft. Vielleicht lässt er sich zu einem seiner Comedian-Stand-ups hinreißen: Peitschen in Würde … nur nicht den Mann.
Wahrscheinlich hat sich auch die britische Baumarktkette “B&Q” bei der vorauseilenden Bevorratung mit Kabelbindern, Seilen und Klebebändern verspekuliert, wenn es einen Vanillaschub gibt. Der Konzern versorgte seine 359 Filialen nicht nur mit Hilfsmaterial für SM, sondern gleich mit dem ersten Band der Trilogie der britischen Autorin. In den USA gibt es bei Wal-Mart Handschellen. Wie immer folgen hiesige Ketten dem Trend, wobei, um beim Thema zu bleiben, von Ketten (noch?) nicht geredet wird. Dabei wird doch im Film vor allem gezeigt, wie wichtig Krawatten sind.
Selbst die Sex-Fachgeschäfte, so liest man, sind unsicher, bereiten sich aber vor, zumal die Kundschaft bei “Beate Uhse” inzwischen aus siebzig Prozent Frauen besteht. Die Erotikfirma will sich auf “niedliches” Spielzeug einstellen: “Die Handschellen sind mit rosa Plüsch versehen, die Peitschen mit Herzchen bedruckt.”
Aschenputtelpädagogik
Das Theater um den Film verdrängt die Realität des BDSM in den Schweinskram. In Deutschland sind etwa fünf Millionen Menschen in irgendeiner der dort vorfindlichen Praktiken involviert, viele weich, einige hart, andere schätzen den schwarzen Bereich. Das machen Manager und Hilfsarbeiter, männliche wie weibliche. Es ist kein Oberschichtenphänomen, bei dem sich einige Reiche arme Sklavinnen suchen, obwohl das nicht selten vorkommt. Es heißt deshalb Sadomasachismus, weil auch hier die Menschen nicht einseitig gepolt sind. “Eine Forsa-Umfrage für den Stern zeigt: 24 Prozent der Befragten finden Praktiken reizvoll, bei denen es unterwürfige und dominante Rollen gibt.” Das kann ja keine schnelle Wirkung von “Fifty Shades of Grey” sein.
Was der Film uns in wunderschönem Bunt vorführt, ist, dass ein superreicher, durchtrainierter schöner Mann mit irgendwie verkorkster Kindheit (so viel sozialer Schmuddel muss sein und Achtung: SM kommt aus der Gosse) eine in diesen Sachen naive Studentin, wohlgebaut, prima Bodymaßindex, sucht und findet, die lieb und wirklich oft lustig ist (hoffentlich demnächst eine Charakterolle für Frau Johnson), auch einen Hauch proletarisch ist, aber so lebensdoof, dass sie noch nichts von SM gehört hat und sich auch sonst nicht besonders informiert – studentisches Fehlverhalten Vor allem ist sie Jungfrau durch und durch. Die Defloration wird vorgeführt und dabei gezeigt: Der Christian kann’s auch “richtig” missionarsmäßig. Beim Flagellieren hat er keine sexuellen Auf- und Abladungen, sehr seltsam im Verhältnis zur Wirklichkeit.
Anna hat sich für Christian aufgespart, amerikanisches Verhaltensmodell gegen sittliche Verwahrlosung durch vorehelichen Geschlechtsverkehr. Sie lässt sich nicht nur verführen, sie beginnt ihren Rettungsversuch, der sich die beiden kommenden Teile durchziehen wird. Der Christian soll von seiner schlimmen Perversion geheilt werden, so wie man sich das in bestimmten konservativen Theologien vorstellt, die auch Schwule und Lesben retten wollen, nun die SM-ler, in den USA noch verbreiteter als hier.
Das im Film vorgeführte Klischee ist letztlich ein oberflächliches Konstrukt, nicht mal ein gutes Märchen. Sex gehört nicht zum Leben, jedenfalls dieser nicht. Er hat räumlich abgeschieden stattzufinden. Während BDSM auf Spielkulturen basiert und nur in ihnen funktioniert, sehen wir im Film diverse halbherzige Dominanzübungen durch ihn. Er ist ein Kontrolleur, bestimmt ihr Äußeres und ihr Essen, Coputer und Auto … in der Tendenz alles.
Doch das nette Mädel wundert sich und bekommt dann den menschlichen Blick, der ihn nervös macht, von SM-Gedanken ablenkt. Sie zwingt ihn in Richtung “Normalität”, in das, was der amerikanische Mainstream und Müllers Trudchen unter “normal” verstehen. Sie will ihn heiratsreif und familientauglich. Das wird wohl der Lohn sein für ihre ebenfalls halbherzige Unterwerfung. Wenn’s klappt, darf sie ihn behalten und weiter im Jet mitfliegen; so bieder und durchsichtig sind die Dialoge gestellt. Hier hat sich wohl Frau James durchgesetzt, was aber störend auffällt.
Die Menschen sind sauber und die Handlung ist es auch, so sauber, wie das Aschenputtel rein ist. Selbst dann, wenn man Sex macht, ist alles so geleckt (im wahrsten Sinn der Handlung), dass man die Deodorant-Vermischung förmlich riecht: Duschgel-Kino. Was böse wirken könnte, wird romantisiert (schon durch die jeder Gewaltanwandlung gegensteuernde Musik). Man mag mitfliegen. Und es ist wieder der Mann, der dominiert, und damit das traditionelle (falsche) Bild der alten Sexualwissenschaft bestätigt, in der Frauen per Definition maso und Männer sado sind, wie behauptet von der Natur aus.
Dabei ist das Ganze doch die gleiche Nummer wie um 1900 bei Marlitt und Courths-Mahler, nur viel bunter und ohne Prinzen, dafür tolle Technik. Wer gedacht hat, da kommt eine neue “Geschichte der O” (Roman von Dominique Aury, 1954), die verboten wurde, oder zumindest eine Anlehnung an die hervorragende “Venus im Pelz” (Film von Roman Polanski, 2013), ist im falschen Film.
Die Menschen sind so wunderschön, ihre Körper, die Ausstattung, die große Wohnung, das eilfertige Personal, die lieben Eltern, die großen Fenster, prima warm, mein Gott der Fußboden, die Betten und was sie so zu sich nehmen. Da kann man ins Schwelgen kommen und welches junge Mädchen, welche reife Frau nähme bei so viel Überflug nicht das bissel SM-Getue als Zutat mit. Für das ganze Drumrum erträgt sie gern Kabelbinder … oder, wie sagte doch eine Saunabesucherin letztens im schönsten Sächsisch: “Von mir aus gann‘er den Lödgolben nähm, wenn‘er mich midfliechen lässd.”
Fantasien und Wirklichkeiten
Was ist aus der vorlauten Ankündigung geworden, es ginge um BDSM? Wir sehen keine Handlungen mit Feuerspielen oder Verkleidungen; keine zeitweiligen Geschlechterwechsel oder der Verwandlungen in Hund oder Schwein; kein Latex, Gummi, PVC; nirgends wird uriniert; keine Defäkation; nirgends Nadeln, Gewichte oder Messer im Einsatz, kein Stechen bis aufs Blut; keine gynäkologischen Instrumente; keine Atemkontrolle …
Man braucht den Film nicht, wer’s wissen will: Das Internet bietet dies zuhauf. Es muss wohl – warum ist hier nicht zu erörtern – sowohl reale Bedürfnisse danach, wie große Kaufkraft dafür geben. BDSM ist eine Kultur, wenn auch eine weitgehend untergründige. Harmlos stattdessen in der BILD die “10 Baumarkt-Tipps für eine ‘Shades of Grey’-Nacht”.
Es soll ja auch niemand in seiner schönen heilen christlichen oder atheistischen Welt verunsichert werden. Aber “Fifty Shades of Grey” wirft einige humanistische Probleme auf. Nur eines soll hier abschließend angedeutet werden.
Unter der Überschrift “Der Sex im Kopf” veröffentlichte “Der Spiegel” am 31. Oktober 2014 eine wissenschaftliche Studie zu Erotikphantasien. Darin steht Erstaunliches: “Die Fantasie, geschlagen zu werden, hatten nach eigenen Angaben ebenfalls mehr Frauen – 36 Prozent im Vergleich zu knapp 29 Prozent der Männer. Gleichzeitig unterscheiden Frauen aber offenbar deutlich zwischen ihren Fantasien und dem, was sie wirklich erleben wollen. So gaben viele Frauen mit Unterwerfungsfantasien an, dass diese Ideen nie Realität werden sollen. Die Mehrheit der Männer dagegen möchte ihre Fantasien laut Studie ausleben.”
Insgesamt haben Männer deutlich mehr solche Fantasien als Frauen und beschreiben diese besonders lebhaft. “Beispielsweise haben Menschen, die Unterdrückungsfantasien haben, gleichzeitig häufig auch Fantasien, jemanden zu dominieren.” Das schließe sich nicht aus. “Ganz im Gegenteil.” Außerdem seien diese Fantasien vermutlich mit einem höheren Level der Befriedigung verbunden.
Die Studie lässt viel Raum zur Interpretation. Sie lässt erkennen, dass, um erregend zu wirken, Schmerzen in einen erotischen Kontext eingebettet sein müssen. Unter Umständen genügt die Schmerzfantasie und wirklicher Schmerz wird abgelehnt. Wie halten wir es im Humanismus mit absichtlich herbeigeführtem Schmerz bis hin zur gewollten Ohnmacht mit teilweisen Methoden, die auch Folterer anwenden. Ich persönlich halte solche Fragen für bedeutsam, weil es zahlreiche Menschen gibt, die hier Bedürfnisse haben und ihr Leben danach einrichten.
“Fifty Shades of Grey” ist in diesem Kontext Religion, nicht Aufklärung; Religion vor allem als eine paradiesische Welt, in der keine wirklichen Menschen leben: Wohlfühlhimmelfahrt mit ein paar akrobatischen Sexszenen und einer berauschenden Musik.
Max, sagt sie zu Hause, Dein Bauch muss weg; und ich nehme jetzt Eiweißentfettungsmittel die Masse. Schau Du schon mal, wo Du eine vegane Peitsche herbekommst.
Alle Bilder: A. Plath
Text zuerst veröffentlicht am 19. Februar 2015 beim hpd.