Konfessionslosigkeit und Glauben

auszug_flyer_tagung_februar_2015.jpgZWICKAU. (hpd) “Wor­an glau­ben die, die nicht glau­ben?” war am 13./14. Febru­ar 2015 das The­ma einer Tagung der “Evan­ge­li­sche Aka­de­mie der Nord­kir­che” im “Haus der Kir­che” in Güs­trow, für das sich immer­hin um die fünf­zig, über­wie­gend älte­re Gäs­te inter­es­sier­ten. Güs­trow erin­nert an die DDR-Athe­is­mus­ge­schich­te. Dass nun hier im ehe­ma­li­gen “Rüst­haus” der evan­ge­li­schen Kir­che über Wert­hal­tun­gen und Lebens­ein­stel­lun­gen von Kon­fes­si­ons­frei­en – in Kir­chen­spra­che immer “Kon­fes­si­ons­lo­se” – auf Basis von neue­ren sozio­lo­gi­schen Befun­den von Kir­chen­ex­per­tin­nen dis­ku­tiert wird, illus­triert die Befind­lich­keit der “Nicht­glau­ben­den”.

Güs­trow beher­berg­te bis 1990 die Außen­stel­le der “See­fahrt­schu­le War­ne­mün­de-Wus­trow”. An die­sen Ort wur­den – oft hämisch beur­teilt – 1972/73 der Lehr­stuhl und die For­schungs­grup­pe “wis­sen­schaft­li­cher Athe­is­mus” zwangs­ver­setzt. Das Team war 1963 in Jena begrün­det wor­den. Es wur­de gelei­tet von Olof Klohr. Er und sei­ne Kol­le­gen wur­den auf Initia­ti­ve von Theo­lo­gen und der CDU, aber letzt­lich in Ver­ant­wor­tung der neu­en SED-Füh­rung unter Hon­ecker, in die Pro­vinz geschickt. Damit gin­gen auch die ers­ten klei­nen Ansät­ze einer Reli­gi­ons­wis­sen­schaft und ‑Sozio­lo­gie weit­ge­hend den Bach run­ter. Von die­sen For­schun­gen, genau­er: von Wolf­gang Kaul, wis­sen wir eini­ges Empi­ri­sches über die Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit bis 1989/90. Das Neue ist, von fowid abge­se­hen, in der Regel an Kir­chen­in­ter­es­sen orientiert.

Das The­ma Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit und Glau­ben spie­gelt eine ver­zwei­fel­te Situa­ti­on der Kir­chen hin­sicht­lich ihrer Mit­glie­der­zah­len. Gläu­bi­ge wer­den gesucht, des­halb wird “Glau­ben” an Reli­gi­on gebun­den, wenn auch nicht mehr gänz­lich an kirch­li­che Kon­fes­sio­na­li­tät. Des­halb das Insis­tie­re­ren auf “Ungläu­bi­ge”, gar “Nicht­glau­ben­de”, wie es in mei­ner The­men­vor­ga­be hieß. Aber alles kul­tu­rel­le Ver­hal­ten hat Ele­men­te von “Etwas für wahr neh­men” und “Etwas genau wis­sen” und zahl­rei­che wei­te­re Unter­schei­dun­gen des­sen, wo Men­schen “Glau­ben” und “Wis­sen” nicht aus­ein­an­der­hal­ten hal­ten wol­len, kön­nen oder müssen.

Für einen ost­deut­schen Bestand­teil der evan­ge­li­schen Nord­kir­che, die es in Meck­len­burg-Vor­pom­mern mit der höchs­ten Athe­is­ten­quo­te in Deutsch­land von fast sech­zig Pro­zent im Jahr 2002 zu tun hat, ist die Suche nach den “reli­gi­ös-musi­ka­lisch” Ansprech­ba­ren unter den Kon­fes­si­ons­frei­en, den mög­li­cher­wei­se sich einer Mis­si­on öff­nen­den Bevöl­ke­rung exis­ten­zi­ell. Noch ele­men­ta­rer ist die Fra­ge, wie man wei­te­re Aus­trit­te ver­hin­dert. Seit dem Zusam­men­bruch der DDR hat sich zwar die Situa­ti­on der Amts­kir­che als staat­lich gestütz­te Ein­rich­tung in reli­gi­ons­frei­en Gegen­den wesent­lich ver­bes­sert, doch die im Kir­chen­sin­ne “Ungläu­bi­gen” neh­men an Zahl wei­ter zu.

Mehr noch: Der Ein­la­dungs­text der Aka­de­mie spie­gelt die Außen­sei­ter­stel­lung kirch­li­cher Gewiss­hei­ten im Leben der Leu­te, beson­ders der jun­gen. “ ‘Sind Sie Christ oder Athe­ist?’ lau­te­te bei einer empi­ri­schen Unter­su­chung die Fra­ge, die Pas­san­ten auf dem Leip­zi­ger Haupt­bahn­hof gestellt wur­de. ‘Weder noch’, war eine der Ant­wor­ten, ‘ich bin nor­mal.’ Mit etwa 75 Pro­zent stel­len die soge­nann­ten Kon­fes­si­ons­lo­sen die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung in den öst­li­chen Bun­des­län­dern. Was sind ihre Vor­stel­lun­gen eines gelin­gen­den Lebens, was die Grund­la­gen ihrer ethi­schen Urteils­bil­dung und was die Pra­xis ihrer Spi­ri­tua­li­tät? Bil­den sie Gemein­schaf­ten und ent­wi­ckeln sie ver­bin­den­de Rituale?”

Da ver­sucht man einen Neu­an­satz: Es soll nun weni­ger gefragt wer­den, was die­sen Men­schen fehlt, wenn sie nicht “glau­ben”. Die Evan­ge­li­schen Aka­de­mie und der Tagungs­lei­ter Klaus-Die­ter Kai­ser bega­ben sich statt­des­sen in eine Lern­hal­tung: “Es geht dar­um, die Viel­falt nicht­re­li­giö­ser Welt­an­schau­un­gen wahr­zu­neh­men.” Um die­sen Dia­log zu füh­ren, fehlt den insti­tu­tio­na­li­sier­ten Kir­chen der Part­ner, denn Kon­fes­si­ons­freie sind nur gering orga­ni­siert. Sie kom­men auch nicht zu sol­chen Tagun­gen, wenn sie nicht, wie ich, ein­ge­la­den sind.

Den Ein­lei­tungs­vor­trag “Was glaubst du eigent­lich? Welt­sicht ohne Reli­gi­on” hielt Rita Kuc­zyn­ski, Phi­lo­so­phin und Autorin, auf Basis ihres gleich­na­mi­gen Buches von 2013. Auf hpd fin­det sich erstaun­li­cher­wei­se kei­ne Reak­ti­on. Eine Rezen­si­on fin­det sich hier.

Rein­hard Hem­pel­mann, Theo­lo­ge, Lei­ter der Evan­ge­li­schen Zen­tral­stel­le für Welt­an­schau­ungs­fra­gen, Ber­lin, sprach über “Das bun­te Feld der ‘Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit’. Beob­ach­tun­gen aus theo­lo­gi­scher Sicht”. Er vari­ier­te sei­ne ver­schie­dent­lich im Netz find­ba­ren Aus­sa­gen zum neue­ren Athe­is­mus, auf der Tagung grup­piert um den Begriff “Reli­gi­ons­di­stanz”. Er gelang­te am Ende, wie nicht anders zu erwar­ten, zur Unab­weis­bar­keit der reli­giö­sen Fra­ge, klang eher opti­mis­tisch. Was die kon­fes­si­ons­freie Reli­gi­ons­abs­ti­nenz betrifft, so grup­pier­te er sie in Athei­sie­ren­de, natu­ra­lis­ti­sche Huma­nis­ten und Religionsfaszinierte.

Als Ver­te­ter der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on führ­ten gegen Ende der Tagung Vanes­sa Boy­sen, Bera­te­rin, und Rai­ner Sax, Phi­lo­soph und Infor­ma­ti­ker, bei­de Ham­burg, in ihre ritual­ori­en­tier­te “Sun­day-Assem­bly-Bewe­gung” ein. Schon in Spra­che und Vor­trags­stil fie­len bei­de aus dem Rah­men. Sie lös­ten leb­haf­tes Nach­fra­gen aus. Wie Pau­sen­nach­fra­gen erga­ben, fan­den das Gesag­te vie­le der Anwe­sen­den als zu “ame­ri­ka­nisch” und zu “unver­bind­lich”. Der hpd hat die­se “Sonn­tags­ver­samm­lun­gen” mehr­fach vor­ge­stellt.

Der Bericht­erstat­ter hat in sei­nem Part zu “Über­zeu­gun­gen von Nicht­glau­ben­den. Huma­nis­mus und ‘Drit­te Kon­fes­si­on’ ”? gespro­chen. Ich stell­te die wich­tigs­ten Ver­bän­de der “säku­la­ren Sze­ne” vor, ver­such­te, den HVD zu erklä­ren und griff ansons­ten eben­falls auf nach­les­ba­re Aus­ar­bei­tun­gen zurück. Bedau­ert wur­de im Publi­kum, dass kei­ne authen­ti­schen Lan­des­ver­tre­ter anwe­send waren.

Einstellungen konfessionsloser Menschen zu Kirche und Religion – Eine empirische StudieEin­stel­lun­gen kon­fes­si­ons­lo­ser Men­schen zu Kir­che und Religion

Nun zu zwei neue­ren empri­schen Stu­di­en zu den Kon­fes­si­ons­frei­en, die in Güs­trow vor­ge­stellt wur­den. Dr. Clau­dia Wust­mann arbei­tet als Reli­gi­ons­so­zio­lo­gin bei der Arbeits­stel­le “Kir­che im Dia­log” der Nord­kir­che. Sie stell­te ihre bereits gedruck­te Stu­die “Ein­stel­lun­gen kon­fes­si­ons­lo­ser Men­schen zu Kir­che und Reli­gi­on. Eine empi­ri­sche Stu­die. Ros­tock 2014” vor. Ihren Kern bil­de­te also die stra­te­gisch bedeut­sa­me Fra­ge, wo denn Ansät­ze für erfolg­rei­che kirch­li­che Mis­si­ons­ar­beit lie­gen könn­ten zwi­schen mög­li­cher Rück­kehr oder end­gül­ti­gem Abschied von Kir­chen­mit­glie­dern bzw. Konfessionsfreien.

C. Wust­mann unter­schied unter den Kon­fes­si­ons­frei­en die Reli­giö­sen (vor­ran­gig im Wes­ten) und die Indif­fe­ren­ten (im Osten). Dazwi­schen gela­gert sind Athe­is­ten und Agnos­ti­ker. Ihre Dar­stel­lung dreh­te sich vor allem um inner­welt­li­che Sinn­ge­bun­gen und deren mög­li­cher Kir­chen­be­zug. So beton­te sie, dass etwa Spi­ri­tua­li­tät von Reli­gio­si­tät zu unter­schei­den ist. Die Daten ergä­ben zudem kei­ne pro­fun­den Unter­schie­de in den Wert­hal­tun­gen zwi­schen Kir­chen­mit­glie­dern und den nach dem Zufalls­prin­zip befrag­ten Kon­fes­si­ons­frei­en. Wie schon in der mit viel Dia­gram­men aus­ge­stat­te­ten Bro­schü­re war auch im Vor­trag ihre Kern­bot­schaft über die Kon­fes­si­ons­frei­en: Sie fin­den es gut, dass es die Kir­che gibt, aber sie benö­ti­gen sie nicht.

Hin­sicht­lich des Mate­ri­als viel umfäng­li­che­re Stu­di­en­ergeb­nis­se trug Petra-Ange­la Ahrens, Dipl.-Sozialwirtin, Sozi­al­wis­sen­schaft­li­ches Insti­tut der EKD, Han­no­ver, vor. Sie sprach anhand von zahl­rei­chen Dia­gram­men über “Wert­hal­tun­gen und Lebens­ori­en­tie­run­gen von Kon­fes­si­ons­lo­sen. Fra­gen an die Kir­che in einer säku­la­ren Mehr­heits­ge­sell­schaft”. Basis ihre empi­ri­schen Befun­de waren “ALL­BUS-Stu­di­en” und die neue Kir­chen­mit­glied­schafts­un­ter­su­chung Nr. 5, die vor der Publi­ka­ti­on steht.

Kirche als Ansprechpartner für KonfesionsfreieKir­che als Ansprech­part­ner für Konfessionsfreie

Bis­her, so die Nach­rich­ten der Refe­ren­tin, sei bei den Befrag­ten nach dem Bezug zu Reli­gi­on und Kir­chen geforscht wor­den. Ich ver­wei­se hier auf die Stu­die von 2006 “Ansprech­bar­keit Kon­fes­si­ons­lo­ser in Ost­deutsch­land”. Neu­er­dings sei­en die Lebens- und Wert­vor­stel­lun­gen stär­ker in den Mit­tel­punkt gerückt, weil die­se zuneh­mend reli­giö­se Ansich­ten und Ver­hal­tens­wei­sen bestim­men. Man kön­ne sich zwar, was die vier Typen von Kon­fes­si­ons­lo­sen betref­fe, wei­ter an Gert Pickel hal­ten und gläu­bi­ge, tole­ran­te, “nor­ma­le” und “voll­di­stan­zier­te (athe­is­ti­sche) Kon­fes­si­ons­freie” unter­schei­den, doch müs­se man stär­ker als bis­her nach “Ver­trau­en” in Insti­tu­tio­nen gene­rell und “Lebens­zu­frie­den­heit” schlecht­hin fra­gen und dar­aus reli­gi­ös affi­ne The­men fil­tern. Die­se sah die Refe­ren­tin vor allem dort, wo Men­schen in schwie­ri­ge Sinn­si­tua­tio­nen gestellt wer­den, etwa in der Sterbehilfe.

Details kön­nen hier nicht wie­der­ge­ben wer­den. Man darf auf die Publi­ka­ti­on gespannt sein, zumal die wich­tigs­te Mit­tei­lung von Petra-Ange­la Ahrens in mei­nen Augen dar­in bestand, dass ihr For­schungs­team gera­de eine regio­nal fun­dier­te Stu­die beginnt.Gegenstand sind Kon­fes­si­ons­freie im Ber­li­ner Stadt­be­zirk Lich­ten­berg. Es wird aber auch in Rela­ti­on dazu die dor­ti­ge Kir­chen­ge­mein­de befragt. Das Ergeb­nis wird beson­ders für den HVD Ber­lin-Bran­den­burg von Inter­es­se sein, denn das Ergeb­nis, jeden­falls die poli­ti­schen und sozia­len Schluss­fol­ge­run­gen, die die Kir­che dar­aus zieht, könn­ten auch für Lebens­kun­de und wei­te­re Fel­der wich­tig sein.

Zuerst ver­öf­fent­licht beim hpd am 17. Febru­ar 2015.