Diskriminierungsrisiko: Weltanschauung

Cover_Expertise_Weltanschauung_72.jpg(ZWICKAU/BERLIN) Ein Bekennt­nis zum Huma­nis­mus ist nicht kar­rie­re­för­dend. Eine sol­che stei­le The­se ergibt sich zwar nicht zwin­gend als das Ergeb­nis einer Stu­die des Rechts­an­wal­tes und Phi­lo­so­phen Dr. Tho­mas Hein­richs für die „Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le des Bun­des“. Sie wäre aber ein gutes anschlie­ßen­des Dis­kus­si­ons­the­ma. Die Stu­di­en­ergeb­nis­se von Hein­richs wur­den jetzt ver­öf­fent­licht. Der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Dr. Horst Gro­schopp inter­view­te den Autor.

Die ADS ist eine dem Fami­li­en­mi­nis­te­ri­um bei­geord­ne­te unab­hän­gi­ge Bun­des­ein­rich­tung, die wegen der eu-recht­li­chen Vor­schrif­ten zur Gleich­be­hand­lung von Arbeit­neh­mern gegrün­det wor­den ist. Sie unter­stützt Per­so­nen, die Benach­tei­li­gun­gen erfah­ren, wenn die­se Benach­tei­li­gun­gen ras­sis­tisch oder eth­nisch moti­viert sind oder wegen des Geschlechts, der Reli­gi­on oder Welt­an­schau­ung, einer Behin­de­rung, des Alters oder der sexu­el­len Iden­ti­tät erfol­gen. Die ADS hat 2016 zum The­men­jahr für „Reli­gi­on und Welt­an­schau­ung” erklärt und in die­sem Zusam­men­hang einen For­schungs­auf­trag hin­sicht­lich der Dis­kri­mi­nie­rungs­ri­si­ken wegen der Welt­an­schau­ung ver­ge­ben. Die nun vor­lie­gen­de Stu­die beschäf­tigt sich auch mit der juris­ti­schen Defi­ni­ti­on des Begriffs „Welt­an­schau­ung”.

H.G.: Wie kamen Sie zur Anstren­gung und Ehre die­se Stu­die (in Zusam­men­ar­beit mit Hei­ke Wein­bach zu schreiben?

Th.H.: Die ADS hat mich im Sep­tem­ber letz­ten Jah­res gebe­ten, ein Ange­bot für die Erstel­lung einer sol­chen Stu­die abzu­ge­ben. Das habe ich getan und den Zuschlag erhal­ten. Ich bin auf dem Gebiet des Welt­an­schau­ungs­rechts schon lan­ge sowohl als Anwalt als auch wis­sen­schaft­lich tätig. Es gibt nicht vie­le ande­re Per­so­nen, bei denen das auch so ist.

Weil der Auf­trag umfang­reich und der zeit­li­che Rah­men bis zur Abga­be eng gesteckt war (die Stu­die muss­te bis Anfang März fer­tig sein), habe ich dann Frau Prof. Dr. Hei­ke Wein­bach, die auch zur Dis­kri­mi­nie­rung forscht, hin­zu­ge­zo­gen. Sie hat sich mit der Lage in den ande­ren Län­dern der EU beschäftigt.

Noch immer wird viel von „Kon­fes­si­ons­lo­sen“ gere­det. Das Wort kommt bei Ihnen nur zitiert in Fuß­no­ten vor (etwa 54 oder 76). Sie spre­chen von „Kon­fes­si­ons­frei­en“? Der Begriff ist erst Anfang der 1990er Jah­re nach dem Mus­ter der Frei­re­li­giö­sen gebil­det wor­den, der seit dem 19. Jahr­hun­dert zunächst „frei in der Reli­gi­on“ bedeu­te­te und dann im 20. Jahr­hun­dert auch die­je­ni­gen erfass­te, die sich als „frei von Reli­gi­on“ sehen. Wer sind nun die­se „Kon­fes­si­ons­frei­en“?

Kon­fes­si­ons­lo­se und Kon­fes­si­ons­freie sind die­sel­be Grup­pe. Es sind Per­so­nen, die kei­ne reli­giö­se oder welt­an­schau­li­che Bin­dung haben, und die den Fra­gen einer Ori­en­tie­rung des eige­nen Lebens an sol­chen Sinn­sys­te­men gleich­gül­tig gegenüberstehen.

In der Regel wird von Kon­fes­si­onslosen gere­det. In einer Stu­die, in der es um die Ver­mei­dung von Dis­kri­mi­nie­run­gen geht, ist es not­wen­dig, auch die von einem selbst ver­wen­de­ten Begrif­fe dar­auf­hin zu prü­fen, ob mit ihnen nicht bereits eine Benach­tei­li­gung trans­por­tiert wird. Das Adjek­tiv „kon­fes­si­ons­los” und sei­ne Sub­jek­ti­vie­rung zur Grup­pen­be­zeich­nung „Kon­fes­si­ons­lo­se“ trans­por­tie­ren die Kon­no­ta­ti­on, dass jeman­dem etwas wesent­lich fehlt.

Sie kön­nen ein­mal ande­re Begriffs­kon­struk­tio­nen mit „-los” bil­den: bewusst­los, ver­ant­wor­tungs­los, tra­di­ti­ons­los. Man sieht an die­sen Bei­spie­len die nega­ti­ve Wer­tung, die Begrif­fe mit „-los” mit­sicht­ra­gen. Den „Kon­fes­si­ons­lo­sen” scheint daher etwas Wich­ti­ges zu feh­len, näm­lich eine Kon­fes­si­on. Aber jemand, der kei­ne Kon­fes­si­on hat, ist kein man­gel­haf­ter Mensch. Das Wort „kon­fes­si­onsfrei“ ent­hält dage­gen kei­ne nega­ti­ve Bedeu­tung. Er sagt ein­fach, dass man kei­ne Kon­fes­si­on hat und ist daher neutraler.

Die Stu­die bezieht sich in ihrem Titel nur auf Welt­an­schau­un­gen. Wie­so kom­men die Kon­fes­si­ons­frei­en bei Ihnen so aus­führ­lich vor?

Es ist ein Ergeb­nis mei­ner For­schung zu die­sem The­ma, dass die Kon­fes­si­ons­frei­en unter dem Über­be­griff der Welt­an­schau­ungs­frei­heit in glei­chem Umfang wie die Reli­giö­sen und welt­an­schau­lich Gebun­de­nen vor Dis­kri­mi­nie­rung geschützt wer­den. Das Grund­ge­setz schützt auch die nega­ti­ve Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­frei­heit, also die Frei­heit, kei­ne Reli­gi­on und kei­ne Welt­an­schau­ung zu haben, und einen Lebens­sinn abzu­leh­nen. Auch wer dies tut, also kon­fes­si­ons­frei ist, darf des­we­gen nicht benach­tei­ligt werden.

Das ist zwar im Grun­de unstrei­tig, hat aber bis­lang in der juris­ti­schen Lite­ra­tur zu die­sem The­men­kom­plex wenig Beach­tung gefun­den. Es wird jedoch durch die stei­gen­de Zahl Kon­fes­si­ons­frei­er immer wichtiger.

Wer­den die „Kon­fes­si­ons­frei­en“ und „welt­an­schau­lich Gebun­de­nen” unter­drückt, dis­kri­mi­niert, benachteiligt …?

Zunächst ein­mal muss man sagen, dass die Nicht­re­li­giö­sen, also die welt­an­schau­lich Gebun­de­nen und Kon­fes­si­ons­frei­en in Deutsch­land auf hohem Nie­veau Kri­tik üben. In Gegen­satz zu ande­ren Län­dern auf der Welt, gibt es hier kei­ne Ver­fol­gung und kei­ne Unter­drü­ckung. Vie­le Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten wer­den sogar durch den Staat gefördert.

Aber auch in Deutsch­land gibt es kei­ne Gleich­stel­lung mit den Reli­gio­nen. Viel­fach wer­den die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, ins­be­son­de­re die christ­li­chen Kir­chen und ihre Mit­glie­der, pri­vi­le­giert. Es gibt zwei Berei­che, in denen dies beson­ders mas­siv auf­tritt und zu einer Benach­tei­li­gung welt­an­schau­lich Gebun­de­ner und Kon­fes­si­ons­frei­er führt – das Arbeits­recht und der öffent­li­che Erziehungssektor.

Im Arbeits­recht gibt es seit lan­gem durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt geschaf­fe­ne beson­de­re Pri­vi­le­gi­en der Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten, die ins­be­son­de­re von den christ­li­chen Kir­chen exzes­siv genutzt wer­den. Mit­glie­der ande­rer Kon­fes­sio­nen und Kon­fes­si­ons­freie wer­den als Arbeit­neh­mer in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen benach­tei­ligt. Recht­lich gilt das nicht als Dis­kri­mi­nie­rung, da die­se Benach­tei­li­gun­gen gemäß der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts gerecht­fer­tigt sind. Das kann aller­dings außer­halb des Krei­ses von kir­chen­na­hen Juris­ten nie­mand mehr nachvollziehen.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat jetzt die Fra­ge, inwie­weit die Gerich­te das Han­deln kirch­li­cher Arbeit­ge­ber prü­fen dür­fen, dem EUGH vor­ge­legt . Es ist zu erwar­ten, dass die­ser hier Schran­ken ein­zie­hen wird. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) hat dies schon ein­mal getan (Fall Schüth), das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat dies aber ignoriert.

Im Erzie­hungs­be­reich – von der Kita bis zur Uni­ver­si­tät – sind die Kir­chen tra­di­tio­nell stark ver­tre­ten. Auch hier gibt es Benach­tei­li­gun­gen durch eine mas­si­ve Prä­senz kirch­li­cher Trä­ger von Kin­der­gär­ten und Kon­fes­si­ons­schu­len, aber auch dadurch, dass in Regel­schu­len Reli­gi­on als ein Teil der Erzie­hung gilt. Man­che Län­der­ver­fas­sun­gen schrei­ben dies aus­drück­lich fest. Das Kreuz im Klas­sen­zim­mer und auch der Reli­gi­ons­un­ter­richt als Pflicht­fach sind Fol­gen die­ser kirch­li­chen Prä­gung der Schule.

Wenn dies die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le durch Ihre Stu­die fest­stellt, heißt das, hier lie­gen Ver­let­zun­gen des Grund­ge­set­zes vor?

Das ist kei­ne ein­fach zu beant­wor­ten­de Fra­ge. Wie das Grund­ge­setz aus­zu­le­gen ist, ist viel­fach strit­tig. In Art. 7 Abs. 3 GG wird der Reli­gi­ons­un­ter­richt als ordent­li­ches Schul­fach ein­ge­führt. Von einem Welt­an­schau­ungs­un­ter­richt ist kei­ne Rede. Man kann unter Juris­ten lan­ge dar­über strei­ten, ob hier auf­grund der Gleich­stel­lungs­klau­sel des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137, Abs. 7 WRV ein Welt­an­schau­ungs­un­ter­richt mit­um­fasst ist. Inzwi­schen sieht die Mehr­heit dies wohl so. Es gibt aber immer noch die Gegenmeinung.

Die Pri­vi­le­gie­rung der Kir­chen im Arbeits­recht hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt auf Grund­la­ge der grund­ge­setz­li­chen Rege­lung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137, Abs. 3 WRV ein­ge­führt. Ob das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die­se Vor­schrift dabei „rich­tig” aus­ge­legt hat, auch dar­über kann man strei­ten; ich mei­ne nicht, aber das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt sieht es so.

Ob Kon­fes­si­ons­freie benach­tei­ligt wer­den, wenn sie kei­nen par­al­le­len Ethik­un­ter­richt erhal­ten, und ob sie nach dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz des Grund­ge­set­zes ein Recht dar­auf haben, einen Ethik­un­ter­richt für ihre Kin­der zu erhal­ten, ist eben­falls recht­lich strittig.

Rechts­po­si­ti­vis­tisch gese­hen wis­sen wir immer erst dann, dass das Grund­ge­setz ver­letzt wur­de, wenn das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dies feststellt.

Noch ein­mal zu den „Kon­fes­si­ons­frei­en“. Das ist doch aber eine ganz „bun­te Trup­pe“, dar­un­ter auch frei­re­li­giö­se Men­schen, Eso­te­ri­ker, „Kul­tur­ju­den, ‑chris­ten und ‑mus­li­me“, völ­ki­sche Ras­sis­ten und radi­ka­le Athe­is­ten. Was berech­tigt, sie zusam­men­zu­fas­sen? Oder sit­zen wir hier ein­fach noch den alten Staat-Kir­che-Ver­wal­tungs­re­geln auf?

Ob die von Ihnen auf­ge­zähl­ten Grup­pen „kon­fes­si­ons­frei” sind, weiß ich nicht. Ich den­ke, das ist eben­so wie die Fra­ge, ob man eine Reli­gi­on oder eine Welt­an­schau­ung hat, eine Fra­ge der Selbst­ein­schät­zung. Man kann den Athe­is­mus in einem nega­ti­ven Sin­ne als Welt­an­schau­ung betrach­ten. Man kann auch das Kul­tur­ju­den­tum als Welt­an­schau­ung betrach­ten, das ist nicht aus­ge­schlos­sen. Kon­fes­si­ons­frei sind die, die irgend­wo ange­ben, es zu sein. Dass die­se Per­so­nen hin­sicht­lich ihrer sons­ti­gen poli­ti­schen, kul­tu­rel­len und sozia­len Ansich­ten eine „bun­te Trup­pe“ sind, ist klar, aber auch die Mit­glie­der von Reli­gio­nen oder Welt­an­schau­un­gen sind in ande­ren Hin­sich­ten „bun­te Truppen“.

Selbst­ver­ständ­lich bräuch­ten wir die­se Kate­go­rien gar nicht bil­den, wenn an eine ent­spre­chen­de Zuge­hö­rig­keit nicht staat­li­cher­seits gewis­se Fol­gen geknüpft wären. Aber das ist die grund­sätz­li­che Natur eines Rechts­sys­tems und kei­ne Beson­der­heit des Reli­gi­ons- und Weltanschauungsrechts.

Sie stel­len ein­lei­tend die Geschich­te des Welt­an­schau­ungs­be­griffs vor und beto­nen in der Stu­die, dass auch die indi­vi­du­el­le Ableh­nung jeden Sinn­zu­sam­men­hangs, sei er reli­gi­ös oder säku­lar begrün­det, als Welt­an­schau­ung begrif­fen wer­den muss. Wie defi­nie­ren Sie, was eine Welt­an­schau­ung ist, und wie­so kön­nen Per­so­nen, die jeden Lebens­sinn ableh­nen, des­we­gen dis­kri­mi­niert werden?

Posi­tiv muss Welt­an­schau­ung defi­niert wer­den als ein für die Lebens­füh­rung eines Men­schen ver­bind­li­ches und iden­ti­täts­stif­ten­des Ver­ständ­nis des mensch­li­chen Lebens und der Welt, wel­ches von einer rele­van­ten Zahl ande­rer geteilt wird.

Aber auch wer jeden Lebens­sinn ablehnt, kann in einem nega­ti­ven Sin­ne eine Welt­an­schau­ung haben. In einem nega­ti­ven Sin­ne meint, dass sie kei­ne posi­ti­ve Welt­an­schau­ungs­tä­tig­keit ent­fal­ten. Sie kön­nen kei­ne Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft bil­den, die durch Ritua­le, sozia­le und kul­tu­rel­le Tätig­keit ihre Welt­an­schau­ung lebt.

Benach­tei­ligt wer­den kann man selbst­ver­ständ­lich auch dann, wenn man z. B. als Athe­ist nur reli­giö­se Sinn­sys­te­me ablehnt, ohne sel­ber einen dies­sei­ti­gen Sinn­zu­sam­men­hang zu ver­tre­ten. Das größ­te Dis­kri­mi­nie­rungs­ri­si­ko besteht im Gebiet von Reli­gi­on und Welt­an­schau­ung dar­in, nicht reli­gi­ös zu sein. Dass Athe­is­ten bei kirch­li­chen Arbeit­ge­bern benach­tei­ligt wer­den, ist ein­deu­tig. Dass sie benach­tei­ligt wer­den, wenn es kei­nen all­ge­mei­nen Ethik­un­ter­richt für ihre Kin­der gibt, ebenfalls.

In ihrer Kon­struk­ti­on wird die Kon­fes­si­ons­frei­heit im Rah­men der Welt­an­schau­ungs­frei­heit geschützt, weil die­se gro­ße Grup­pe von einem Drit­tel der deut­schen Bevöl­ke­rung Gefahr läuft, auf­grund der sozia­len Domi­nanz reli­giö­ser Vor­stel­lun­gen als mora­lisch defi­zi­tär ein­ge­stuft zu wer­den im Sin­ne von „nur wer Reli­gi­on besitzt, hat auch Anstand, Ethik und Kul­tur“? Habe ich das rich­tig verstanden?

Ja, es gibt seit ganz lan­gem das Vor­ur­teil, nicht­re­li­giö­se Men­schen hät­ten kei­ne, oder zumin­dest kei­ne anstän­di­ge Moral. Sie kön­nen die­se Argu­men­te schon in den Debat­ten fin­den, die Ende des 19. Jahr­hun­derts um den Reli­gi­ons­un­ter­richt an den Schu­len geführt wur­den. Bis heu­te hat sich dar­an nichts geän­dert. Noch die Kam­pa­gne gegen den Ethik­un­tericht an den Schu­len in Ber­lin pla­ka­tier­te 2009 mit dem Slo­gan: „Kei­ne Wer­te ohne Gott”.

Das ist auch ein wesent­li­ches Argu­ment, mit denen die Reli­gio­nen die Poli­tik immer davon zu über­zeu­gen suchen, dass sie gesell­schaft­lich gebraucht wür­den und ins­be­son­de­re im Erzie­hungs­be­reich unver­zicht­bar seien.

Sie wer­ten umfäng­lich die euro­päi­schen und deut­schen Recht­spre­chun­gen aus und geben eine umfang­rei­che Fall­do­ku­men­ta­ti­on. Bei­des zeigt, dass die Risi­ken unmit­tel­ba­rer Dis­kri­mi­nie­rung vor allem bei kirch­li­chen Arbeit­ge­bern und im öffent­li­chen Erzie­hungs­be­reich (Kin­der­gär­ten, Schu­le, Hoch­schu­le) lie­gen. Wir spra­chen schon dar­über. Kön­nen Sie dafür ein mar­kan­tes Bei­spiel nennen?

Bei kirch­li­chen Arbeit­ge­bern wird häu­fig selbst für Stel­len, die kei­ner­lei Bezug zur reli­giö­sen Ver­mitt­lung haben (Haus­meis­ter, IT-Tech­ni­ker), die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit ver­langt. Wenn ein Ange­stell­ter aus der Kir­che aus­tritt, wird er ent­las­sen, egal, war­um er aus der Kir­che aus­tritt. So wie­der­fuhr dies z.B. in Bay­ern einem Ange­stell­ten, der wegen der Vor­fäl­le von sexu­el­lem Miss­brauch durch katho­li­sche Pfar­rer nicht län­ger in der Kir­che blei­ben konnte.

Im Bereich der Kin­der­gär­ten fin­den sich Benach­tei­li­gun­gen vor allem durch loka­le Mono­po­le kirch­li­cher Trä­ger. Eltern die kei­nen kirch­li­chen Kin­der­gar­ten wün­schen, müs­sen häu­fig sehr wei­te Wege in Kauf neh­men. Auch Fäl­le, in denen in sol­chen Kin­der­gär­ten Tisch­ge­be­te ver­pflich­tend sind, und ande­re Kin­der im Wasch­raum war­ten müs­sen, bis die Gebe­te vor­bei sind, und sich dann erst zum Essen hin­set­zen dür­fen, kom­men vor.

An der Schu­le ist, abge­se­hen von den bekann­ten Fäl­len der Kreu­ze im Klas­sen­zim­mer, der man­geln­de mora­li­sche Unter­richt für Nicht­re­li­giö­se der­zeit das größ­te Problem.

An den Hoch­schu­len gibt es Fakul­tä­ten für evan­ge­li­sche und katho­li­sche Theo­lo­gie, inzwi­schen auch für Mus­li­me und Juda­is­tik. Eine Fakul­tät für Huma­nis­tik gibt es bis heu­te nicht.

Risi­ken mit­tel­ba­rer Dis­kri­mi­nie­rung erge­ben sich nach Ihrer Exper­ti­se dar­aus, dass das deut­sche Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­recht am Mus­ter der Orga­ni­sa­ti­ons­form „Kir­che“ aus­ge­rich­tet ist und anders orga­ni­sier­te Welt­an­schau­un­gen dadurch Schwie­rig­kei­ten haben, die glei­chen Pri­vi­le­gi­en wie eine als Kir­che orga­ni­sier­te Reli­gi­on zu erhal­ten, vor­aus­ge­setzt, man möch­te am „Pri­vi­le­gi­en­bün­del“ teil­ha­ben. Gibt es dafür Beispiele?

Das „Pri­vi­le­gi­en­bün­del” ist im Wesent­li­chen an den Sta­tus der Kör­per­schaft des öffent­li­chen Rechts geknüpft, den vie­le Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, aber auch eini­ge Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten haben. Hat man die­sen Rechts­sta­tus nicht, so muss man sich häu­fig Rech­te, die nach den gesetz­li­chen Vor­schrif­ten für Kör­per­schaf­ten exklu­siv sind, müh­sam erstrei­ten – oder lässt es bleiben.

Davon unab­hän­gig ist „Kir­che” bei uns der Mus­ter­fall von Reli­gi­on. Kir­chen haben eine büro­kra­tisch erfass­te Mit­glied­schaft, eine kla­re hier­ar­chi­sche Struk­tur und eine ein­deu­ti­ge Dif­fe­renz zwi­schen Lai­en und Kle­ri­kern. Fast alle ande­ren Reli­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen ken­nen die­se drei Merk­ma­le nicht. Das deut­sche Recht und die deut­schen Behör­den erwar­ten dies aber.

So haben z. B. die Huma­nis­ten aber auch die Mus­li­me erheb­li­che Pro­ble­me, ihre Mit­glie­der­zah­len nach­zu­wei­sen, da es nicht erfor­der­lich ist, um Huma­nist oder Mus­lim zu sein, in einen Ver­ein ein­zu­tre­ten. Viel­fach hängt aber an for­mal nach­weis­ba­ren Mit­glie­der­zah­len der offi­zi­el­le Sta­tus einer Welt­an­schau­ung oder auch die Mög­lich­keit, bestimm­te Rech­te ein­zu­for­dern, wie z. B. einen huma­nis­ti­schen Lebenskundeunterricht.

Was sagen Sie in die­sem Zusam­men­hang zu den Vor­schlä­gen von Hans Mar­kus Heimann an die Mus­li­me? Wären die auch etwas für den HVD? Doch kann man noch von „kon­fes­si­ons­frei“ reden, wenn man „Bekennt­nis­un­ter­richt“ (Lebens­kun­de) anbie­tet? Ich weiß, das sind vie­le Fra­gen, aber mir kommt es auf eine stra­te­gi­sche Kern­ant­wort an.

Mit­glie­der des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des sind im recht­li­chen Sin­ne nicht kon­fes­si­ons­frei. Sie haben ja eine Welt­an­schau­ung. Nur wer kei­ne Reli­gi­on oder kei­ne Welt­an­schau­ung hat, ist kon­fes­si­ons­frei. Im recht­li­chen Sin­ne kann man das nicht anders fas­sen. Hier gibt es drei Kate­go­rien: Reli­gi­ons­zu­ge­hö­ri­ge, Welt­an­schau­ungs­zu­ge­hö­ri­ge und sol­che die kei­nes von bei­dem und damit kon­fes­si­ons­frei, also reli­gi­ons- und welt­an­schau­ungs­frei sind. Ob man reli­gi­ons­so­zio­lo­gisch den welt­an­schau­li­chen Huma­nis­mus als Kon­fes­si­on bezeich­nen möch­te und ob die Huma­nis­ten sel­ber mei­nen, eine Kon­fes­si­on zu haben, ist eine ande­re Frage.

Zunächst hat Heimann recht, dass man von den Mus­li­men nicht ver­lan­gen kann, Kir­che zu wer­den. Selbst­ver­ständ­lich darf der Staat aus Neu­tra­li­täts­er­wä­gun­gen her­aus auch nicht sel­ber, wie er dies inzwi­schen in gro­ßem Umfang tut, einen mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt einrichten.

Ob es aller­dings nötig ist, eine neue Form der juris­ti­schen Per­son, also so etwas wie einen Reli­gi­ons­ver­ein ein­zu­füh­ren, oder spe­zi­el­le Ver­ei­ne für spe­zi­el­le Auf­ga­ben zu schaf­fen, hal­te ich für frag­lich. Dies haben auch schon ande­re Juris­ten vor­ge­schla­gen, wobei man sich zumeist an Öster­reich ori­en­tiert, wo eine sol­che Kon­struk­ti­on exis­tiert. Auch damit wür­de man aber wie­der Vor­schrif­ten machen, wie sich Reli­gio­nen oder Welt­an­schau­un­gen orga­ni­sie­ren sol­len, was gegen die staat­li­che Neu­tra­li­tät verstößt.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat schon 2005 fest­ge­stellt (Urteil vom 23.02.2005 (6 C 2.04), dass der Staat die Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten so neh­men muss, wie sie sind. Wenn es kei­ne zen­tra­le Struk­tur gibt, muss man auf loka­ler Ebe­ne mit den dort orga­ni­sier­ten Grup­pen zusam­men­ar­bei­ten – das ist z. B. in Groß­bri­tan­ni­en pro­blem­los mög­lich. Wenn es kei­ne zwin­gen­de for­ma­le Mit­glied­schaft gibt, muss es rei­chen, dass sich jemand als Huma­nist oder Mus­lim bezeich­net. Eine Ände­rung der recht­li­chen Vor­ga­ben brau­chen wir dafür nicht. Die­se sind offen für unter­schied­li­che For­men. Wer nicht offen ist, sind die durch die Kir­chen gepräg­te Poli­tik und Verwaltung.

In der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur, so weit ich die­se für mei­ne Inter­es­sen über­bli­cke, wird zum einen „Welt­an­schau­ung“ immer wie­der von „Reli­gi­on“ unter­schie­den; zum ande­ren wird immer stär­ker für ein „Reli­gi­ons­recht“ (eigent­lich: „Reli­gio­nen­recht“) plä­diert, was das alte Staats­kir­chen­recht suk­zes­si­ve erset­zen soll, wor­un­ter dann als for­mal gleich­be­rech­tigt die „Welt­an­schau­un­gen“ fal­len. Soll­te es ein „Welt­an­schau­ungs­recht“ geben und was wäre dies?

In der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur wird seit Neue­rem nicht mehr strikt zwi­schen Reli­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen unter­schie­den. Da es inzwi­schen die ganz über­wie­gen­de Mei­nung ist, dass bei­de die glei­chen Rech­te haben, gibt es kei­nen Bedarf für eine Dif­fe­ren­zie­rung. Es bleibt den Gemein­schaf­ten daher über­las­sen, sel­ber zu bestim­men, ob sie sich als Reli­gi­on oder Welt­an­schau­ung verstehen.

Wie man das Rechts­ge­biet nennt, ob „Staats­kir­chen­recht”, „Reli­gi­ons­ver­fas­sungs­recht” oder „Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­recht”, das ist eine Fra­ge der poli­ti­schen Posi­tio­nie­rung. Dass der Begriff „Staats­kir­chen­recht“ nicht län­ger gebraucht wer­den kann, dürf­te inzwi­schen ganz über­wie­gen­de Mei­nung sein. Es geht schon lan­ge nicht mehr nur um die Kir­chen. Und: Ein „Staats­kir­chen­recht” im stren­gen Sin­ne gibt es seit der Tren­nung von Staat und Kir­che 1918 nicht mehr.

Ich plä­die­re aus Gleich­be­hand­lungs­grün­den dafür, unbe­dingt einen Begriff zu ver­wen­den, in dem sowohl Reli­gi­on wie Welt­an­schau­ung ver­wen­det wird. Will man nicht bei­de Begrif­fe in der Bezeich­nung die­ses Rechts­ge­bie­tes ver­wen­den, müss­te man kor­rek­ter Wei­se vom Welt­an­schau­ungs­recht spre­chen, denn unstrit­tig ist der Begriff der Welt­an­schau­ung der Ober­be­griff, der auch die Reli­gio­nen als beson­de­re Welt­an­schau­un­gen umfasst. Hier vom „Reli­gi­ons­ver­fas­sungs­recht” reden zu wol­len, benach­tei­ligt daher schon wie­der die Weltanschauungen.

Ob mit die­ser ande­ren begriff­li­chen Bezeich­nung inhalt­li­che Refor­men ein­her­ge­hen, ist eine ande­re Fra­ge. Not­wen­dig ist dies nicht, in man­cher Hin­sicht aber sicher sehr sinnvoll.

Haben sich denn schon Per­so­nen wegen welt­an­schau­li­cher Dis­kri­mi­nie­rung bei der ADS gemeldet?

Ja, eini­ge. Seit 2007 haben sich z. B. 34 Per­so­nen gemel­det, die sich auf dem Arbeits­markt benach­tei­ligt gefühlt haben. 21 haben sich als kon­fes­si­ons­frei bezeich­net und 13 als welt­an­schau­lich gebun­den. Die Sta­tis­tik der ADS zu den Anfra­gen bei ihr ist aber nicht sehr aus­sa­ge­kräf­tig. Mehr als die­se Zah­len kann man ihr nicht entnehmen.

Eine letz­te Fra­ge: Wenn das alles so ist, wie Sie beschrei­ben, was müss­te dann von wem geän­dert wer­den? Und: Was soll­ten die orga­ni­sier­ten Huma­nis­ten zual­ler­erst fordern?

Als aller­ers­tes müss­te man die Ein­stel­lung zu Reli­gio­nen, Welt­an­schau­un­gen und Kon­fes­si­ons­frei­en in Poli­tik und Ver­wal­tung ändern … Das ist aber natür­lich nichts, was man mal eben so ändern könn­te, son­dern ein lan­ger, lang­wie­ri­ger Pro­zess, der nicht nur durch die welt­an­schau­li­chen Akteu­re, son­dern eben­so durch denn spon­ta­nen Rück­gang der Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit beför­dert wer­den wird.

Im Übri­gen gibt es mei­ner Mei­nung nach nichts Ers­tes. Man muss an allen Stel­len, an denen man Rech­te wahr­neh­men will, die einem eben­so wie den Reli­gio­nen zuste­hen und die man bis­lang nicht in Anspruch neh­men konn­te, dar­um kämp­fen, in der Poli­tik, gegen­über der Ver­wal­tung und vor den Gerich­ten und da muss jeder Ver­band sei­ne eige­nen Prio­ri­tä­ten setzen.