(ZWICKAU/BERLIN) Ein Bekenntnis zum Humanismus ist nicht karrierefördend. Eine solche steile These ergibt sich zwar nicht zwingend als das Ergebnis einer Studie des Rechtsanwaltes und Philosophen Dr. Thomas Heinrichs für die „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“. Sie wäre aber ein gutes anschließendes Diskussionsthema. Die Studienergebnisse von Heinrichs wurden jetzt veröffentlicht. Der Kulturwissenschaftler Dr. Horst Groschopp interviewte den Autor.
Die ADS ist eine dem Familienministerium beigeordnete unabhängige Bundeseinrichtung, die wegen der eu-rechtlichen Vorschriften zur Gleichbehandlung von Arbeitnehmern gegründet worden ist. Sie unterstützt Personen, die Benachteiligungen erfahren, wenn diese Benachteiligungen rassistisch oder ethnisch motiviert sind oder wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfolgen. Die ADS hat 2016 zum Themenjahr für „Religion und Weltanschauung” erklärt und in diesem Zusammenhang einen Forschungsauftrag hinsichtlich der Diskriminierungsrisiken wegen der Weltanschauung vergeben. Die nun vorliegende Studie beschäftigt sich auch mit der juristischen Definition des Begriffs „Weltanschauung”.
H.G.: Wie kamen Sie zur Anstrengung und Ehre diese Studie (in Zusammenarbeit mit Heike Weinbach zu schreiben?
Th.H.: Die ADS hat mich im September letzten Jahres gebeten, ein Angebot für die Erstellung einer solchen Studie abzugeben. Das habe ich getan und den Zuschlag erhalten. Ich bin auf dem Gebiet des Weltanschauungsrechts schon lange sowohl als Anwalt als auch wissenschaftlich tätig. Es gibt nicht viele andere Personen, bei denen das auch so ist.
Weil der Auftrag umfangreich und der zeitliche Rahmen bis zur Abgabe eng gesteckt war (die Studie musste bis Anfang März fertig sein), habe ich dann Frau Prof. Dr. Heike Weinbach, die auch zur Diskriminierung forscht, hinzugezogen. Sie hat sich mit der Lage in den anderen Ländern der EU beschäftigt.
Noch immer wird viel von „Konfessionslosen“ geredet. Das Wort kommt bei Ihnen nur zitiert in Fußnoten vor (etwa 54 oder 76). Sie sprechen von „Konfessionsfreien“? Der Begriff ist erst Anfang der 1990er Jahre nach dem Muster der Freireligiösen gebildet worden, der seit dem 19. Jahrhundert zunächst „frei in der Religion“ bedeutete und dann im 20. Jahrhundert auch diejenigen erfasste, die sich als „frei von Religion“ sehen. Wer sind nun diese „Konfessionsfreien“?
Konfessionslose und Konfessionsfreie sind dieselbe Gruppe. Es sind Personen, die keine religiöse oder weltanschauliche Bindung haben, und die den Fragen einer Orientierung des eigenen Lebens an solchen Sinnsystemen gleichgültig gegenüberstehen.
In der Regel wird von Konfessionslosen geredet. In einer Studie, in der es um die Vermeidung von Diskriminierungen geht, ist es notwendig, auch die von einem selbst verwendeten Begriffe daraufhin zu prüfen, ob mit ihnen nicht bereits eine Benachteiligung transportiert wird. Das Adjektiv „konfessionslos” und seine Subjektivierung zur Gruppenbezeichnung „Konfessionslose“ transportieren die Konnotation, dass jemandem etwas wesentlich fehlt.
Sie können einmal andere Begriffskonstruktionen mit „-los” bilden: bewusstlos, verantwortungslos, traditionslos. Man sieht an diesen Beispielen die negative Wertung, die Begriffe mit „-los” mitsichtragen. Den „Konfessionslosen” scheint daher etwas Wichtiges zu fehlen, nämlich eine Konfession. Aber jemand, der keine Konfession hat, ist kein mangelhafter Mensch. Das Wort „konfessionsfrei“ enthält dagegen keine negative Bedeutung. Er sagt einfach, dass man keine Konfession hat und ist daher neutraler.
Die Studie bezieht sich in ihrem Titel nur auf Weltanschauungen. Wieso kommen die Konfessionsfreien bei Ihnen so ausführlich vor?
Es ist ein Ergebnis meiner Forschung zu diesem Thema, dass die Konfessionsfreien unter dem Überbegriff der Weltanschauungsfreiheit in gleichem Umfang wie die Religiösen und weltanschaulich Gebundenen vor Diskriminierung geschützt werden. Das Grundgesetz schützt auch die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit, also die Freiheit, keine Religion und keine Weltanschauung zu haben, und einen Lebenssinn abzulehnen. Auch wer dies tut, also konfessionsfrei ist, darf deswegen nicht benachteiligt werden.
Das ist zwar im Grunde unstreitig, hat aber bislang in der juristischen Literatur zu diesem Themenkomplex wenig Beachtung gefunden. Es wird jedoch durch die steigende Zahl Konfessionsfreier immer wichtiger.
Werden die „Konfessionsfreien“ und „weltanschaulich Gebundenen” unterdrückt, diskriminiert, benachteiligt …?
Zunächst einmal muss man sagen, dass die Nichtreligiösen, also die weltanschaulich Gebundenen und Konfessionsfreien in Deutschland auf hohem Nieveau Kritik üben. In Gegensatz zu anderen Ländern auf der Welt, gibt es hier keine Verfolgung und keine Unterdrückung. Viele Weltanschauungsgemeinschaften werden sogar durch den Staat gefördert.
Aber auch in Deutschland gibt es keine Gleichstellung mit den Religionen. Vielfach werden die Religionsgemeinschaften, insbesondere die christlichen Kirchen und ihre Mitglieder, privilegiert. Es gibt zwei Bereiche, in denen dies besonders massiv auftritt und zu einer Benachteiligung weltanschaulich Gebundener und Konfessionsfreier führt – das Arbeitsrecht und der öffentliche Erziehungssektor.
Im Arbeitsrecht gibt es seit langem durch das Bundesverfassungsgericht geschaffene besondere Privilegien der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die insbesondere von den christlichen Kirchen exzessiv genutzt werden. Mitglieder anderer Konfessionen und Konfessionsfreie werden als Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen benachteiligt. Rechtlich gilt das nicht als Diskriminierung, da diese Benachteiligungen gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerechtfertigt sind. Das kann allerdings außerhalb des Kreises von kirchennahen Juristen niemand mehr nachvollziehen.
Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt die Frage, inwieweit die Gerichte das Handeln kirchlicher Arbeitgeber prüfen dürfen, dem EUGH vorgelegt . Es ist zu erwarten, dass dieser hier Schranken einziehen wird. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat dies schon einmal getan (Fall Schüth), das Bundesverfassungsgericht hat dies aber ignoriert.
Im Erziehungsbereich – von der Kita bis zur Universität – sind die Kirchen traditionell stark vertreten. Auch hier gibt es Benachteiligungen durch eine massive Präsenz kirchlicher Träger von Kindergärten und Konfessionsschulen, aber auch dadurch, dass in Regelschulen Religion als ein Teil der Erziehung gilt. Manche Länderverfassungen schreiben dies ausdrücklich fest. Das Kreuz im Klassenzimmer und auch der Religionsunterricht als Pflichtfach sind Folgen dieser kirchlichen Prägung der Schule.
Wenn dies die Antidiskriminierungsstelle durch Ihre Studie feststellt, heißt das, hier liegen Verletzungen des Grundgesetzes vor?
Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Wie das Grundgesetz auszulegen ist, ist vielfach strittig. In Art. 7 Abs. 3 GG wird der Religionsunterricht als ordentliches Schulfach eingeführt. Von einem Weltanschauungsunterricht ist keine Rede. Man kann unter Juristen lange darüber streiten, ob hier aufgrund der Gleichstellungsklausel des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137, Abs. 7 WRV ein Weltanschauungsunterricht mitumfasst ist. Inzwischen sieht die Mehrheit dies wohl so. Es gibt aber immer noch die Gegenmeinung.
Die Privilegierung der Kirchen im Arbeitsrecht hat das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage der grundgesetzlichen Regelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137, Abs. 3 WRV eingeführt. Ob das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift dabei „richtig” ausgelegt hat, auch darüber kann man streiten; ich meine nicht, aber das Bundesverfassungsgericht sieht es so.
Ob Konfessionsfreie benachteiligt werden, wenn sie keinen parallelen Ethikunterricht erhalten, und ob sie nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes ein Recht darauf haben, einen Ethikunterricht für ihre Kinder zu erhalten, ist ebenfalls rechtlich strittig.
Rechtspositivistisch gesehen wissen wir immer erst dann, dass das Grundgesetz verletzt wurde, wenn das Bundesverfassungsgericht dies feststellt.
Noch einmal zu den „Konfessionsfreien“. Das ist doch aber eine ganz „bunte Truppe“, darunter auch freireligiöse Menschen, Esoteriker, „Kulturjuden, ‑christen und ‑muslime“, völkische Rassisten und radikale Atheisten. Was berechtigt, sie zusammenzufassen? Oder sitzen wir hier einfach noch den alten Staat-Kirche-Verwaltungsregeln auf?
Ob die von Ihnen aufgezählten Gruppen „konfessionsfrei” sind, weiß ich nicht. Ich denke, das ist ebenso wie die Frage, ob man eine Religion oder eine Weltanschauung hat, eine Frage der Selbsteinschätzung. Man kann den Atheismus in einem negativen Sinne als Weltanschauung betrachten. Man kann auch das Kulturjudentum als Weltanschauung betrachten, das ist nicht ausgeschlossen. Konfessionsfrei sind die, die irgendwo angeben, es zu sein. Dass diese Personen hinsichtlich ihrer sonstigen politischen, kulturellen und sozialen Ansichten eine „bunte Truppe“ sind, ist klar, aber auch die Mitglieder von Religionen oder Weltanschauungen sind in anderen Hinsichten „bunte Truppen“.
Selbstverständlich bräuchten wir diese Kategorien gar nicht bilden, wenn an eine entsprechende Zugehörigkeit nicht staatlicherseits gewisse Folgen geknüpft wären. Aber das ist die grundsätzliche Natur eines Rechtssystems und keine Besonderheit des Religions- und Weltanschauungsrechts.
Sie stellen einleitend die Geschichte des Weltanschauungsbegriffs vor und betonen in der Studie, dass auch die individuelle Ablehnung jeden Sinnzusammenhangs, sei er religiös oder säkular begründet, als Weltanschauung begriffen werden muss. Wie definieren Sie, was eine Weltanschauung ist, und wieso können Personen, die jeden Lebenssinn ablehnen, deswegen diskriminiert werden?
Positiv muss Weltanschauung definiert werden als ein für die Lebensführung eines Menschen verbindliches und identitätsstiftendes Verständnis des menschlichen Lebens und der Welt, welches von einer relevanten Zahl anderer geteilt wird.
Aber auch wer jeden Lebenssinn ablehnt, kann in einem negativen Sinne eine Weltanschauung haben. In einem negativen Sinne meint, dass sie keine positive Weltanschauungstätigkeit entfalten. Sie können keine Weltanschauungsgemeinschaft bilden, die durch Rituale, soziale und kulturelle Tätigkeit ihre Weltanschauung lebt.
Benachteiligt werden kann man selbstverständlich auch dann, wenn man z. B. als Atheist nur religiöse Sinnsysteme ablehnt, ohne selber einen diesseitigen Sinnzusammenhang zu vertreten. Das größte Diskriminierungsrisiko besteht im Gebiet von Religion und Weltanschauung darin, nicht religiös zu sein. Dass Atheisten bei kirchlichen Arbeitgebern benachteiligt werden, ist eindeutig. Dass sie benachteiligt werden, wenn es keinen allgemeinen Ethikunterricht für ihre Kinder gibt, ebenfalls.
In ihrer Konstruktion wird die Konfessionsfreiheit im Rahmen der Weltanschauungsfreiheit geschützt, weil diese große Gruppe von einem Drittel der deutschen Bevölkerung Gefahr läuft, aufgrund der sozialen Dominanz religiöser Vorstellungen als moralisch defizitär eingestuft zu werden im Sinne von „nur wer Religion besitzt, hat auch Anstand, Ethik und Kultur“? Habe ich das richtig verstanden?
Ja, es gibt seit ganz langem das Vorurteil, nichtreligiöse Menschen hätten keine, oder zumindest keine anständige Moral. Sie können diese Argumente schon in den Debatten finden, die Ende des 19. Jahrhunderts um den Religionsunterricht an den Schulen geführt wurden. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Noch die Kampagne gegen den Ethikuntericht an den Schulen in Berlin plakatierte 2009 mit dem Slogan: „Keine Werte ohne Gott”.
Das ist auch ein wesentliches Argument, mit denen die Religionen die Politik immer davon zu überzeugen suchen, dass sie gesellschaftlich gebraucht würden und insbesondere im Erziehungsbereich unverzichtbar seien.
Sie werten umfänglich die europäischen und deutschen Rechtsprechungen aus und geben eine umfangreiche Falldokumentation. Beides zeigt, dass die Risiken unmittelbarer Diskriminierung vor allem bei kirchlichen Arbeitgebern und im öffentlichen Erziehungsbereich (Kindergärten, Schule, Hochschule) liegen. Wir sprachen schon darüber. Können Sie dafür ein markantes Beispiel nennen?
Bei kirchlichen Arbeitgebern wird häufig selbst für Stellen, die keinerlei Bezug zur religiösen Vermittlung haben (Hausmeister, IT-Techniker), die Religionszugehörigkeit verlangt. Wenn ein Angestellter aus der Kirche austritt, wird er entlassen, egal, warum er aus der Kirche austritt. So wiederfuhr dies z.B. in Bayern einem Angestellten, der wegen der Vorfälle von sexuellem Missbrauch durch katholische Pfarrer nicht länger in der Kirche bleiben konnte.
Im Bereich der Kindergärten finden sich Benachteiligungen vor allem durch lokale Monopole kirchlicher Träger. Eltern die keinen kirchlichen Kindergarten wünschen, müssen häufig sehr weite Wege in Kauf nehmen. Auch Fälle, in denen in solchen Kindergärten Tischgebete verpflichtend sind, und andere Kinder im Waschraum warten müssen, bis die Gebete vorbei sind, und sich dann erst zum Essen hinsetzen dürfen, kommen vor.
An der Schule ist, abgesehen von den bekannten Fällen der Kreuze im Klassenzimmer, der mangelnde moralische Unterricht für Nichtreligiöse derzeit das größte Problem.
An den Hochschulen gibt es Fakultäten für evangelische und katholische Theologie, inzwischen auch für Muslime und Judaistik. Eine Fakultät für Humanistik gibt es bis heute nicht.
Risiken mittelbarer Diskriminierung ergeben sich nach Ihrer Expertise daraus, dass das deutsche Religions- und Weltanschauungsrecht am Muster der Organisationsform „Kirche“ ausgerichtet ist und anders organisierte Weltanschauungen dadurch Schwierigkeiten haben, die gleichen Privilegien wie eine als Kirche organisierte Religion zu erhalten, vorausgesetzt, man möchte am „Privilegienbündel“ teilhaben. Gibt es dafür Beispiele?
Das „Privilegienbündel” ist im Wesentlichen an den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts geknüpft, den viele Religionsgemeinschaften, aber auch einige Weltanschauungsgemeinschaften haben. Hat man diesen Rechtsstatus nicht, so muss man sich häufig Rechte, die nach den gesetzlichen Vorschriften für Körperschaften exklusiv sind, mühsam erstreiten – oder lässt es bleiben.
Davon unabhängig ist „Kirche” bei uns der Musterfall von Religion. Kirchen haben eine bürokratisch erfasste Mitgliedschaft, eine klare hierarchische Struktur und eine eindeutige Differenz zwischen Laien und Klerikern. Fast alle anderen Religionen und Weltanschauungen kennen diese drei Merkmale nicht. Das deutsche Recht und die deutschen Behörden erwarten dies aber.
So haben z. B. die Humanisten aber auch die Muslime erhebliche Probleme, ihre Mitgliederzahlen nachzuweisen, da es nicht erforderlich ist, um Humanist oder Muslim zu sein, in einen Verein einzutreten. Vielfach hängt aber an formal nachweisbaren Mitgliederzahlen der offizielle Status einer Weltanschauung oder auch die Möglichkeit, bestimmte Rechte einzufordern, wie z. B. einen humanistischen Lebenskundeunterricht.
Was sagen Sie in diesem Zusammenhang zu den Vorschlägen von Hans Markus Heimann an die Muslime? Wären die auch etwas für den HVD? Doch kann man noch von „konfessionsfrei“ reden, wenn man „Bekenntnisunterricht“ (Lebenskunde) anbietet? Ich weiß, das sind viele Fragen, aber mir kommt es auf eine strategische Kernantwort an.
Mitglieder des Humanistischen Verbandes sind im rechtlichen Sinne nicht konfessionsfrei. Sie haben ja eine Weltanschauung. Nur wer keine Religion oder keine Weltanschauung hat, ist konfessionsfrei. Im rechtlichen Sinne kann man das nicht anders fassen. Hier gibt es drei Kategorien: Religionszugehörige, Weltanschauungszugehörige und solche die keines von beidem und damit konfessionsfrei, also religions- und weltanschauungsfrei sind. Ob man religionssoziologisch den weltanschaulichen Humanismus als Konfession bezeichnen möchte und ob die Humanisten selber meinen, eine Konfession zu haben, ist eine andere Frage.
Zunächst hat Heimann recht, dass man von den Muslimen nicht verlangen kann, Kirche zu werden. Selbstverständlich darf der Staat aus Neutralitätserwägungen heraus auch nicht selber, wie er dies inzwischen in großem Umfang tut, einen muslimischen Religionsunterricht einrichten.
Ob es allerdings nötig ist, eine neue Form der juristischen Person, also so etwas wie einen Religionsverein einzuführen, oder spezielle Vereine für spezielle Aufgaben zu schaffen, halte ich für fraglich. Dies haben auch schon andere Juristen vorgeschlagen, wobei man sich zumeist an Österreich orientiert, wo eine solche Konstruktion existiert. Auch damit würde man aber wieder Vorschriften machen, wie sich Religionen oder Weltanschauungen organisieren sollen, was gegen die staatliche Neutralität verstößt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat schon 2005 festgestellt (Urteil vom 23.02.2005 (6 C 2.04), dass der Staat die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften so nehmen muss, wie sie sind. Wenn es keine zentrale Struktur gibt, muss man auf lokaler Ebene mit den dort organisierten Gruppen zusammenarbeiten – das ist z. B. in Großbritannien problemlos möglich. Wenn es keine zwingende formale Mitgliedschaft gibt, muss es reichen, dass sich jemand als Humanist oder Muslim bezeichnet. Eine Änderung der rechtlichen Vorgaben brauchen wir dafür nicht. Diese sind offen für unterschiedliche Formen. Wer nicht offen ist, sind die durch die Kirchen geprägte Politik und Verwaltung.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur, so weit ich diese für meine Interessen überblicke, wird zum einen „Weltanschauung“ immer wieder von „Religion“ unterschieden; zum anderen wird immer stärker für ein „Religionsrecht“ (eigentlich: „Religionenrecht“) plädiert, was das alte Staatskirchenrecht sukzessive ersetzen soll, worunter dann als formal gleichberechtigt die „Weltanschauungen“ fallen. Sollte es ein „Weltanschauungsrecht“ geben und was wäre dies?
In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird seit Neuerem nicht mehr strikt zwischen Religionen und Weltanschauungen unterschieden. Da es inzwischen die ganz überwiegende Meinung ist, dass beide die gleichen Rechte haben, gibt es keinen Bedarf für eine Differenzierung. Es bleibt den Gemeinschaften daher überlassen, selber zu bestimmen, ob sie sich als Religion oder Weltanschauung verstehen.
Wie man das Rechtsgebiet nennt, ob „Staatskirchenrecht”, „Religionsverfassungsrecht” oder „Religions- und Weltanschauungsrecht”, das ist eine Frage der politischen Positionierung. Dass der Begriff „Staatskirchenrecht“ nicht länger gebraucht werden kann, dürfte inzwischen ganz überwiegende Meinung sein. Es geht schon lange nicht mehr nur um die Kirchen. Und: Ein „Staatskirchenrecht” im strengen Sinne gibt es seit der Trennung von Staat und Kirche 1918 nicht mehr.
Ich plädiere aus Gleichbehandlungsgründen dafür, unbedingt einen Begriff zu verwenden, in dem sowohl Religion wie Weltanschauung verwendet wird. Will man nicht beide Begriffe in der Bezeichnung dieses Rechtsgebietes verwenden, müsste man korrekter Weise vom Weltanschauungsrecht sprechen, denn unstrittig ist der Begriff der Weltanschauung der Oberbegriff, der auch die Religionen als besondere Weltanschauungen umfasst. Hier vom „Religionsverfassungsrecht” reden zu wollen, benachteiligt daher schon wieder die Weltanschauungen.
Ob mit dieser anderen begrifflichen Bezeichnung inhaltliche Reformen einhergehen, ist eine andere Frage. Notwendig ist dies nicht, in mancher Hinsicht aber sicher sehr sinnvoll.
Haben sich denn schon Personen wegen weltanschaulicher Diskriminierung bei der ADS gemeldet?
Ja, einige. Seit 2007 haben sich z. B. 34 Personen gemeldet, die sich auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt gefühlt haben. 21 haben sich als konfessionsfrei bezeichnet und 13 als weltanschaulich gebunden. Die Statistik der ADS zu den Anfragen bei ihr ist aber nicht sehr aussagekräftig. Mehr als diese Zahlen kann man ihr nicht entnehmen.
Eine letzte Frage: Wenn das alles so ist, wie Sie beschreiben, was müsste dann von wem geändert werden? Und: Was sollten die organisierten Humanisten zuallererst fordern?
Als allererstes müsste man die Einstellung zu Religionen, Weltanschauungen und Konfessionsfreien in Politik und Verwaltung ändern … Das ist aber natürlich nichts, was man mal eben so ändern könnte, sondern ein langer, langwieriger Prozess, der nicht nur durch die weltanschaulichen Akteure, sondern ebenso durch denn spontanen Rückgang der Religionszugehörigkeit befördert werden wird.
Im Übrigen gibt es meiner Meinung nach nichts Erstes. Man muss an allen Stellen, an denen man Rechte wahrnehmen will, die einem ebenso wie den Religionen zustehen und die man bislang nicht in Anspruch nehmen konnte, darum kämpfen, in der Politik, gegenüber der Verwaltung und vor den Gerichten und da muss jeder Verband seine eigenen Prioritäten setzen.