(Aschaffenburg/Zwickau) Mein neues Buch ist unter dem Titel „Pro Humanismus“ im „Alibri Verlag“ erschienen. Der Humanistische Pressedienst (hpd) brachte dazu am 2. Dezember 2016 ein Interview.
Die Publikation eröffnet eine neue Reihe „Humanismusperspektiven“ – einem früheren Titel des Autors folgend. Das neue Buch behandelt die jüngere Geschichte der Konfessionsfreien in Deutschland (Inhalt). Den Fokus bildet die Aneignung, Ausformung und „Anwendung“ des Humanismus.
Der Band enthält eine umfängliche Dokumentation kontroverser Standpunkte. Der hpd sprach mit dem Autor.
hpd: Herr Groschopp, ich hatte Gelegenheit zur Einsicht in das Manuskript. Ihre Monographie ist die erste größere Kulturstudie zur „säkularen Szene“ und besonders über den „Humanistischen Verband“. Sie geben eine graphische Darstellung aller Organisationen. Vorgestellt werden Diskussionen am Beispiel einiger Streitfragen wie Säkularisierung, Weltanschauung, Bekenntnis, Freidenkertradition, Ethik, „Konfessionalität“, Demokratie, Pazifismus und Verbandspolitik. Warum entfalten Sie alte Debatten in dieser Breite?
H.G.: Es sind aktuelle Streitfragen, auch wenn sie seit einem Vierteljahrhundert geführt werden. Ich zeige das Damals aus heutiger Sicht, verweise auf die Windungen und Wendungen der Konzeptionsbildung beteiligter Akteure bis heran an die Gegenwart.
Das Buch wurde in großer Eile geschrieben. Was treibt Sie, so detailliert vorzugehen?
Mich erreichen zahlreiche aktuelle Dokumente aus der „Szene“ und aus dem HVD, in denen ich Zeichen einer Krise sehe, zugespitzt in der Frage, wozu es einen KORSO, einen hpd, einen HVD-Bundesverband überhaupt geben soll bzw. ob nicht die gbs die Weltanschauungsdebatte majorisiert. Überhitzte Gemüter – oder sind das die Klarsichtigen? – reden von einem Bruch, der den konzeptionellen Trennlinien folgt; andere raten zu einer Zeit der Besinnung. Aber irgendwann muss man wohl zu Stuhle kommen.
Das klingt etwas kryptisch und ähnelt Ihren Einlassungen Anfang des Jahres, den „Wende“-Artikel im hpd. Die offiziellen Antworten darauf, die des amtierenden HVD-Präsidenten Wolf und die in der Verbandszeitung „diesseits“ haben ja einige als Ihre „Exkommunikation“ gelesen.
Jedenfalls wird das alte Thema Sozialbetrieb versus Weltanschauungsverein intensiv diskutiert und das war der Kern des Interviews. Auf Vorwürfe reagiere ich nicht kleinklein, sondern mit Lesestoff.
Gießen Sie Öl ins Feuer?
Ich will keine Spaltungen befördern oder behindern. Doch man sollte die Gemeinsamkeiten in und außerhalb des HVD ernstlich auf ihre Trag- und Zukunftsfähigkeit hin prüfen. Für den Prüfvorgang stelle ich Material bereit: Was bewog 1990 Freidenker, sich einer Dienstleistungspraxis und dem Humanismus zu öffnen? Wie verlief der Prozess? Was kam dabei heraus?
Es ist schon erstaunlich, wie umfänglich die Debatte Anfang der 1990er in der gesamten „säkularen Szene“ war. Sie beschreiben, warum damals nicht alle zunächst interessierten Verbände in den HVD gingen.
Die heutige Politik des HVD und das Für und Wider in der „Szene“ sind nicht zu erklären ohne diesen Rückblick, ohne Sicht auf diese „Wende“. Damals wie heute stehen Fragen im Raum: Was haben Humanistenvereine mit dem gesellschaftlichen Humanismus gemeinsam? Was macht sie besonders? Wer braucht einen HVD? Was für Humanismus benötigt so ein Verband? Die Probleme stellen sich nicht nur, weil mit der gbs ein neuer, erfolgreicher freidenkerischer Akteur in die „Szene“ gekommen ist. Die Stiftung setzt vehement auf die „säkulare Karte“ und wirkt in den HVD hinein, weniger umgekehrt, worin ein Problem liegt – für den HVD.
Was hat das mit der Geschichte zu tun?
Der Humanismus kam 1989/1990 – mit einer Vorgeschichte in der „Humanistischen Union“, auf die ich ebenfalls eingehe – unter die Freidenker als „säkularer“, eigentlich „säkularisierender“ Humanismus. Ich zeige, was hiervon aus den USA kam, und dass dort ein Kampf gegen den „ethischen Humanismus“ (nicht gegen den Begriff) geführt wurde. Diesen nannte man übrigens „Humanismus der Juden“. Große Teile dieses Konzepts galten als „religiöser Humanismus“. Diese engführende, sich „säkular“ nennende Variante war für die hiesige freidenkerische „Szene“ interessant, nützlich und willkommen. Man musste nicht groß umdenken. Die Geschichte der deutschen „Humanistengemeinden“ zwischen 1892 und 1936 war vergessen – obwohl sowohl „Lebenskunde“ als auch „weltliche Seelsorge“ von dort herkamen.
Sie zeigen, dass es vor der HVD-Gründung eine umfängliche Humanismus-Debatte in der „säkularen Szene“ gab.
Freidenkerbewegung und realer Sozialismus waren mausetot. Die Aufnahme des Humanismus-Begriffs war damals eine Entdeckungsreise. Manche, wie Gita Neumann, wandten sich vehement gegen freidenkerische Wissenschaftsgläubigkeit und entsprechende Einschränkungen im Selbstverständnis des zu gründenden HVD. Sie hat dann ihr Programm weiterverfolgt und erfolgreich den HVD-Bereich Patientenverfügungen/Sterbehilfe aufgebaut und darüber publiziert, erst neuerdings wieder auf den Seiten des hpd.
Was ist falsch an einer Theoriedebatte „säkularer“ versus „ethischer Humanismus“, wobei Sie auch noch den „ethischen“ zu eng finden?
Ja, „ethischer Humanismus“ ist mir zu einseitig, aber zu Ihrer Frage: Nichts ist falsch an solchen Debatten, wenn sie denn konsequent auch dahingehend fortgeführt werden, was aus den jeweiligen Standpunkten, etwa des „säkularen“ oder des „ethischen Humanismus“, für eine Organisation wie etwa den HVD konzeptionell und politisch folgt. Übrigens auch für den hpd, für den wir dieses Interview machen.
Können Sie ein Beispiel geben hinsichtlich der unterschiedlichen Folgerungen?
Wenn man einen eigenen Bekenntnisunterricht betreibt, etwa Lebenskunde, dafür Geld vom Staat erhält und an den Schulen die Religionslehrer Kolleginnen und Kollegen sind, dann kann man nicht zugleich die Abschaffung des Religionsunterrichts fordern oder gar die Abschaffung aller Staatsleistungen oder lautstark mitteilen, man lehne „Bekenntnisse“ ab, das sei etwas für Religionen. Wie kann man ohne Bekenntnis einen eigenen „Bekenntnisunterricht“ anbieten oder fordern? Wie ich mit Erschrecken höre, wenn das stimmt, hat der HVD sein Bundesprojekt „Lebenskunde“ aufgegeben. Damit war er 1993 angetreten. Das war seine Fahne.
In Ihrem Buch gehen Sie auf die Geschichte des Bundesprojektes „Soldatenberatung“ ein. Was ist daraus geworden?
Freundlich ausgedrückt: Die „humanistische Soldatenseelsorge“, wie ich das heute nennen würde, schlummert, wird neu diskutiert unter dem Begriff einer „humanistischen Friedensethik“. Für mich war wichtig, wie „Pazifismus“ in der Freidenkerei debattiert wurde, und welchen Stellenwert dieses Programm in der HVD-Geschichte hatte. Dazu findet sich ein extra Text im Buch.
Sie selbst waren ja ein Befürworter …
… Ja, ich selbst war hier als HVD-Präsident sehr engagiert. Humanismus im Militärgefüge – das klingt sehr verlockend; eine Bundesförderung auch. Aber man muss wenigstens einen [!] Soldaten in der Truppe finden, der das will. Und dann hätte der HVD das Problem, ob seine Seelsorger Uniform anziehen. Historisch gesehen machte sich der HVD in seinen Anfängen unglücklicherweise in der „säkularen Szene“ damit berühmt, dass er sich diesem Projekt auf eine kämpferische Weise vorrangig widmete, als ob Deutschland darauf wartet, dem Humanismus und dann noch dem des HVD das Kasernentor zu öffnen und ihm Subventionen zu geben, damit er unter die kämpfenden Einheiten kommt. Erschwerend kam damals hinzu, dass parallel zu diesen Absichten die EKD damit beschäftigt war, die pazifistische ostdeutsche Pfarrerschaft zu disziplinieren und zu korrumpieren mit Militärseelsorgerstellen. Das Ganze gab dem bfg Bayern Mitte 1992 den Anlass, sich pazifistisch zu äußern und sich dem HVD zu verweigern. Aber es ging ihm wohl eher um die Höhe der Mitgliedsbeiträge an den Bundesverband.
Muss man da geheime Akten studieren, um all das herauszufinden?
Überhaupt nicht; die Verbandszeitung „diesseits“ war bis etwa 2010 – bei allen nötigen Einschränkungen – ein Diskussionsorgan des Verbandes. Die Mitglieder und die „Szene“ konnten nachvollziehen – wenn auch oft etwas verklausuliert, auf einen „Theoriestreit“ gehoben – was die Standpunkte und wer die Personen waren, die dafürstanden. Auch die anderen kamen zu Wort. Heute kriegt man von so etwas nichts mehr mit, auch wenn man alle Kommuniqués gründlich studiert. Wie man da Mitkämpfer gewinnen will, erschließt sich mir nicht. Mein „Anteil“ an diesen Verschiebungen liegt übrigens darin, dass sich viele dieser Grundsatzdebatten in die Akademiepublikationen verlagerten. Aber was interessiert ein „einfaches“ Mitglied eine Tagung über „Konfessionalität“ des HVD-Humanismus?
Sie geben in dem Buch eine Geschichte gerade dieser Debatte, die Sie selbst mal angezettelt haben. Wie stehen Sie heute dazu?
Ich verweise auf das Buch, es soll ja auch gelesen werden. Der Jurist Thomas Heinrichs hat gerade im hpd noch einmal betont: Mitglieder von Weltanschauungsgemeinschaften – ob nun DFV, bfg oder HVD – sind nicht „konfessionsfrei“. Gegenfrage: Was sind sie dann?
Heinrichs sagt dreierlei: Zum ersten sei das rechtlich klar; zum zweiten ein Problem der Selbstsicht; und drittens eine Frage der politischen Opportunität. Was folgt Ihrer Ansicht nach daraus?
Wirkliches Nachdenken, nicht immer nur in die Welt tönen: Wir vertreten die Konfessionsfreien … die das dann gar nicht wollen. Übrigens: Den Begriff – anstelle von „Konfessionslose“ – hat der HVD in seinem ersten Selbstverständnis von 1993 eingeführt, eher nebenbei und in der Folge bis 2001 nicht konsequent durchgehalten. Jedenfalls sollten die Verbände neu nachdenken, wie sie ihr Verhältnis zu den „Konfessionsfreien“ bestimmen, wer das jeweils für sie ist, was sie wem von ihnen zu bieten und zu sagen haben.
Was folgt für sie aus den vorhandenen Vorschlägen?
Für die politische Strategie gibt es derzeit in der „säkularen Szene“ zwei Wege: denjenigen, den der HVD 1993/94 zu seinem Alleinstellungsmerkmal gemacht hat; und denjenigen des Laizismus. Zu Letzterem bringe ich in der Dokumentation ausführlich die Position von Ingrid Matthäus-Meier. Sie ist eine Freundin der klaren Aussprache.
Was hat das nun mit Humanismus zu tun, den Sie in ihrem Buch immer wieder bemühen?
Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich die Verbände positionieren, dass sie, da nun fast alle „humanistisch“ argumentieren, was 1990/1995 noch nicht der Fall war, ihren jeweiligen Humanismus genauer vortragen, auch hinsichtlich der je eigenen Praxis und politischen Konzepte. Vor dem Hintergrund eines übergreifenden Humanismus, wie versucht wurde, ihn im Handbuch „Humanismus: Grundbegriffe“ zu fassen und der in meiner Interpretation im Probekapitel bei Alibri vorgestellt wird, ergibt sich keine „automatische“, schon gar keine einheitliche „Umsetzung“ („Anwendung“). Doch was wir gemeinsam wollen ist Barmherzigkeit, Bildung und Menschenwürde und unsere Methoden sind Argumentieren, Zweifeln, Humanisieren, Solidarität, Seelsorge … alles humanistische Grundbegriffe mit großer Auslegungsbreite.
In Ihrem Buch geben Sie einige Beispiele für diesen Streit, etwa anhand einer genaueren Analyse aller humanistischen Selbstverständnisse des HVD seit 1993. Sie zitieren theologische Blicke von außen auf die „Szene“ und legen Ihre Positionen zur Bekenntnisfrage und zum „weltlichen“ Humanismus“ offen. Sie äußern sich pessimistisch in Sachen Verbandsdemokratie. Auch zur Stellung des HVD innerhalb der „säkularen Szene“ sagen Sie Etliches. Worum geht hier der aktuelle Streit?
Man muss auch hier die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Die „säkulare Szene“ wächst nicht im Verhältnis zu den Konfessionsfreien, was immer darunter verstanden wird. Das organisierte „säkulare Spektrum“ ist, trotz einiger Zuwächse, tendenziell rückläufig. Wir haben Verbände, die stehen nur auf dem Papier. Was den HVD betrifft, so lässt einerseits der ehemals einflussreichste Landesverband Berlin, ohne den es keinen HVD gegeben hätte, Orientierung und Führung vermissen. Andererseits ist nirgends der Abschied von der traditionellen Freidenkerbewegung und die Hinwendung zu einem (in meinen Begriffen) „konfessionellen“ Humanismus so konsequent erfolgt wie im HVD Bayern, der jetzt „Beamte“ hat, „Gesetze“ erlässt und Eide abfordert – in denen übrigens das Wort Humanismus nicht vorkommt. Nehmen wir dieses oder andere Beispiele – die „säkulare Welt“ und der Humanismus in der Gesellschaft haben sich im letzten Vierteljahrhundert radikal verändert gegenüber 1990. Was ist heute der humanistische Weg? Wie viele gibt es?
Das mündet dann aktuell – so Ihr Buch – in zwei Konzepten: Aufbau- oder Abbaustrategie. Also nur zwei Wege?
In den betreffenden Organisationen – nicht in der Gesellschaft – bündelt es sich so. Ein „dritter Weg“ wird aktuell nicht diskutiert. Dafür wäre der KORSO zuständig, ist aber jetzt schon überfordert. Man scheint sich weitgehend darin einig zu sein, dass Beides nicht zusammen geht innerhalb einer Organisation, jedenfalls nicht ohne geistige Verrenkungen. Die „diesseits“ nennt dies in ihrer aktuellen Ausgabe „Gegensätzliche Ausrichtung“. Wir werden sehen, was „gegensätzlich“ praktisch meint und was organisationspolitisch daraus folgt.
Das ist mir zu dunkel …
Es erhellt sich, wenn man sieht, worauf die großen Begriffe derzeit heruntergebrochen werden – in der „Szene“, nicht in der Gesellschaft –, etwa auf den Streit über den KORSO und den hpd.
Zum hpd sagen Sie in Ihrem Buch nicht viel, dazu mehr zum KORSO. Können Sie kurz Ihre Haltung zusammenfassen?
Was den hpd betrifft, so habe ich ihn mitgegründet und unterstütze ihn. Es ist aber nötig, dass er seinem Namen gerecht wird in der ganzen Breite von Humanismus. Wenn er sich einseitig dem „säkularen Humanismus“ widmet und vorrangig die gbs-Projekte befeuert, dann kann der HVD damit nicht viel anfangen – was aber auch daran liegt, ob er sich und seine „diesseits“ weiterhin von der Szene isoliert. – Der KORSO wiederum ist aus der „Sichtungskommission“ des Jahres 2000 hervorgegangen, die ich jahrelang moderiert habe. Er übertreibt derzeit seine Funktion, wenn er nicht nur zu sichten versucht, sondern öffentlich „gemeinsame“ Politik machen will. Hier wie im hpd sehe ich die Orte, die Unterschiede in der „Szene“ zu artikulieren und zu lernen, sie auszuhalten.
Sie haben ein Buch über die „säkulare Szene“ und vor allem den HVD geschrieben, leben aber in der sächsischen Provinz. Abschließend die Frage: Wie sehen Sie den Verband, dessen Präsident Sie einmal waren, so aus der Ferne?
Erstens: Man braucht ein Fernglas. Zweitens: Aus der Distanz sieht man einige Konturen klarer. Drittens: Es gibt auch in Zwickau schnelles Internet. Doch genug der Flapsigkeiten. Ich will zum Schluss eine Passage aus dem Buch zitieren: „Der Verband ist der größte deutsche Verein, der sich dem Humanismus verpflichtet hat. Es gibt nur einen HVD. Das fordert von unsereins Behutsamkeit im Umgang mit ihm, aber zugleich scharfe Kritik, eben weil er allein steht. Er muss das aushalten.“
Das Gespräch führte Martin Bauer.
Blogs / Rezensionen / Informationen
http://hpd.de/artikel/pro-humanismus-13893
http://www.freigeist-weimar.de/beitragsanzeige/pro-humanismus-horst-groschopps-kritische-kulturstudie/
http://www.wissenbloggt.de/?p=36497
Zum Interview ein Kommentar von Gita Neumann am 21. Dezember: Zukunft braucht Herkunft.
https://hpd.de/artikel/humanismus-aktuell-14094
http://www.diesseits.de/perspektiven/1487113200/humanismus-jubilaeumsjahr-reformation-alles-gut
Andreas Fincke: Rezension. Horst Groschopp: Pro Humanismus (2016). In: Materialdienst EZW. Berlin 2017, 80. Jg., H. 3, S. 116–118.