Eröffnungsrede Kursleiter

30.3.98

Vorstellung des Lehrplans

1. gleich zu Beginn versichern:

- alle Betei­lig­ten an einem Erfolg inter­es­siert und die­ser ergibt sich aus der Zahl derer, die mit unse­rer Hil­fe und dem eige­nen Enga­ge­ment in Lohn und Brot kommen

- dabei muß aber auch klar sein, daß der künf­ti­ge Lebens­mit­tel­punkt, soweit es um bezahl­te Arbeits­tä­tig­kei­ten geht

- nicht unbe­dingt in Ber­lin sein muß, aber vor­ran­gig hier sein könnte

- nicht unbe­dingt ein Ange­stell­ten­ver­hält­nis sein muß, aber mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit sein kann

- es sich hier um das Tätig­sein für öffent­li­ches Geld han­deln kann, etwa als Lebens­kun­de­leh­rer, in einer Sozi­al­sta­ti­on oder in einer Regie­stel­le, aber auch in gerin­gen Fäl­len kom­mer­zi­ell ver­dient sein will, bis hin zum frei­en Beruf als Grab­red­ner und Pflegerin

- sich dies in beken­nend huma­nis­ti­schen Ein­rich­tun­gen abspie­len kann (wie dem Huma­nis­ti­schen Ver­band Deutsch­lands), aber auch in Insti­tu­tio­nen, die sich betont neu­tral geben (Volks­so­li­da­ri­tät, pri­va­te Pfle­ge­diens­te usw.).

2. dar­aus folg­te für die Kon­zep­ti­on des Kurses:

- hoher Anspruch an Theo­rie und Praxisrelevanz

- Berück­sich­ti­gung der mög­li­chen Eventualfälle

- Ver­bin­dung von phi­lo­so­phi­schem Anspruch und tro­cke­ner Buchführung

- Mög­lich­kei­ten, die indi­vi­du­el­le Leis­tungs­fä­hig­keit und die Fer­tig­kei­ten real einzuschätzen

- Zeit für Dis­kurs, aber auch erns­tes Pauken.

3. Wenn als haupt­säch­li­che Pro­fi­le der Aus­bil­dung benannt sind:

- huma­nis­ti­scher Lebens­be­ra­ter / huma­nis­ti­sche Lebensberaterin

- Lebens­kun­de­leh­rer / Lebenskundelehrerin

so schließt das eine Vor­stel­lung von dem ein, was nach unse­rer Ansicht und nach den Erfah­run­gen des Arbeits­mark­tes an den Hoch­schu­len und Uni­ver­si­tä­ten falsch läuft, wovon wir leben und wor­un­ter Sie leiden:

Es wird dort wenig Wert auf Fle­xi­bi­li­tät und Dis­po­ni­bi­li­tät gelegt und in der Regel, wenn über­haupt, eine Pra­xis bedient, die die Damen und Her­ren Pro­fes­so­ren aus der Zeit ken­nen, da sie selbst job­ben gin­gen, wenn es denn nötig war. Wie die wenigs­ten wis­sen, darf die deut­sche Uni­ver­si­tät gar nicht aus­bil­den, son­dern hat zu bil­den – egal wozu das mal nutzt.

Dar­aus folgt für die­sen Kurs:

1. Sie kön­nen gewiß sein, alle die hier die theo­re­ti­schen Fächer unter­rich­ten for­schen auch, aber sie sind vor allem Leh­ren­de mit einem Sinn für das Praktische.

2. Es wird hier nicht in Schub­la­den gedacht, son­dern in der Ein­heit von Sozia­lem und Kul­tu­rel­lem: nicht hier Sozi­al­ar­beit, dort Kul­tur­ar­beit – son­dern sozi­al­kul­tu­rel­le Arbeit.

3. Zwi­schen den Spe­zia­li­sie­run­gen Lebens­kun­de­leh­rer und Lebens­hel­fer lie­gen die eigent­li­chen Arbeits­fel­der und es kann sein, daß man zum Lebens­un­ter­halt sich selbst eine Misch­fi­nan­zie­rung bas­teln muß, weil das Leben selbst dies fordert,

Zum Lehr­plan selbst möch­te mich nicht dadurch äußern, daß ich das, was in die­sem Kon­zept steht, noch ein­mal wie­der­ho­le. Ich möch­te ihn in Bezug auf den mög­li­chen Ablauf mit eini­gen Bemer­kun­gen versehen:

1. Der Kurs wird damit ein­set­zen – güns­tig gele­gen zum Oster­fest – daß wir uns mit der Geschich­te der nicht­re­li­giö­sen Kul­tur­be­we­gun­gen der letz­ten zwei Jahr­hun­der­te befas­sen, also den Weg nach­zeich­nen von den frei­re­li­giö­sen über die frei­den­ke­ri­schen zu den huma­nis­ti­schen Bewe­gun­gen. Wir wer­den mit der Gegen­wart und eini­gen Begriffs­klä­run­gen sowie mit den Streit­fra­gen zum Ver­hält­nis Staat, Kir­che und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten begin­nen. Dabei geht es um das Wer­den auch von Fra­gen, von der Jugend­wei­he bis zur Lebens­kun­de, vom Recht auf Faul­heit bis zur Eutha­na­sie. Wir gehen in die Geschich­te, weil wir Gegen­wär­ti­ges kla­rer sehen möchten.

2. Von da ist es nur ein gedank­li­cher Schritt hin zu den Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen in Deutsch­land, zu den Kul­tus­mi­nis­te­ri­en, den Weg von der Kul­tur­po­li­zei zur Kul­tur­ver­wal­tung und der recht­li­chen und wirt­schaft­li­chen Stel­lung der Kul­tur­be­ru­fe, denn Pfar­rer wie Opern­sän­ger sind Kul­tur­be­ru­fe – und der huma­nis­ti­sche Kul­tur­ar­bei­ter auch. Und wir wer­den sehen, daß es die zuneh­men­de Säku­la­ri­tät ist, die, von ethisch den­ken­den Athe­is­ten und den Kampf gegen die­se vor­an­ge­trie­ben, kul­tu­rel­le Gemein­we­sen­ar­beit in ihrer heu­ti­gen Gestalt als Dis­kurs- und Kom­mu­nal­kul­tur ent­steht und die Begrif­fe des Kul­tur­staats und der ästhe­ti­schen Erzie­hung suspekt werden.

3. Dem schließt sich ein gro­ßer Abschnitt zur Sozi­al­päd­ago­gi­schen Theo­rie, zu Sozi­al­staat und Sozi­al­ver­si­che­rung und zu Prin­zi­pi­en huma­nis­ti­scher Sozi­al­ar­beit an.

4. Dann wird das The­ma Huma­nis­mus und Kul­tur wie­der auf­ge­grif­fen, aber dies­mal zu dem Zweck, zu fra­gen, was ist denn der Mensch in den ein­zel­nen Wis­sen­schaf­ten und Theo­rien. Wenn der Mensch als dies­sei­ti­ges Wesen ohne Tran­szen­denz­be­zug aus­kom­men soll und kann, woher neh­men dann die­se Men­schen ihre rela­ti­ven Gewiß­hei­ten, in denen sie sich höher schät­zen als reli­giö­se Men­schen. Und: Was soll­te ein Lebens­be­ra­ter dar­über wis­sen, wie er oder sie zu die­sem Wis­sen kommt, wenn man es braucht.

5. Dann wird es zum ers­ten mal rich­tig prag­ma­tisch – Pfings­ten naht, das Fest der Hoff­nung und die Hoff­nung liegt in unse­rer Fähig­keit zur Selbst­be­stim­mung: Das Stich­wort lau­tet zunächst: Grund­la­gen der Pro­jekt­ar­beit, um dann Pro­jek­te kon­kret zu besich­ti­gen und mit Spe­zia­lis­ten zu dis­ku­tie­ren: Fund­rai­sing, Zuwen­dungs­recht, Sozi­al­pro­jek­te, Ster­be­hil­fe und Trau­er­be­glei­tung, Schwan­ge­ren­be­ra­tung und Copo­ra­te Iden­ti­ty einer Non-Profit-Organisation.

Danach wird Zeit sein müs­sen, uns über Wün­sche, die spä­te­re Tätig­keit betref­fend, zu verständigen.

6. Es fol­gen dar­auf meh­re­re Unter­wei­sun­gen in Rechts­fra­gen, Öffent­lich­keits­ar­beit und Wer­bung, auch aus lern­öko­no­mi­schen und didak­ti­schen Grün­den unter­bro­chen durch zwei Kom­ple­xe: Ethik (beson­ders in medi­zi­ni­schen Grenz­si­tua­tio­nen), ver­tre­ten durch Pro­fes­sor Uwe Kör­ner, und Fest­kul­tur sowie Befun­de zu den Kon­fes­si­ons­frei­en, also die mög­li­chen Adres­sa­ten unse­rer Angebote.

7. Dann spricht zu ihnen Dr. Tho­mas Stritt­mat­ter und weist Sie in die ange­wand­te Sozio­lo­gie ein, auch zu dem Zweck, sol­che Stu­di­en lesen und in klei­ne­rem Umfang selbst anstel­len zu ler­nen. Dar­auf folgt das span­nen­de The­ma, wor­um Men­schen Alko­ho­hol trin­ken, sich in Räu­sche ver­set­zen und wel­che Rol­le Sexua­li­tät spie­len könn­te. Das The­ma behan­delt Prof. Diet­rich Mühlberg.

Danach ist logi­scher­wei­se Urlaub nötig, viel­leicht für die prak­ti­sche Anwen­dung des zuletzt Gelernten.

8. Urlaub ist ja nicht nur Erholungs‑, son­dern oft Zeit für Zank und Streit. Um uns ins rich­ti­ge Qua­li­fi­zie­rungs­le­ben zurück zu brin­gen, folgt der Kom­plex Gesprächs­füh­rung in kon­flikt­hal­ti­gen Situa­tio­nen, denn man muß sich ja erst wie­der dar­an gewöh­nen, hier pünkt­lich täg­lich aufzutauchen.

9. Es fol­gen eini­ge Übun­gen, wer­ten­des Ver­hal­ten erken­nen und rela­ti­vie­ren zu ler­nen und mit Arbeits­fel­dern zu ver­bin­den: Soge­nann­te Sek­ten und Sek­ten­ar­beit, ethi­sche Pro­ble­me in der Sozi­al­ar­beit, die Din­ge des Lebens (der All­tag und was dar­an wem wich­tig ist und was das für Lebens­be­ra­ter bedeu­tet, nicht nur das Frem­de ernst zu neh­men, son­dern das ande­ren Wich­ti­ge in Ereig­nis­sen zu suchen, die einem selbst banal erschei­nen kön­nen). Dar­auf folgt der gro­ße Kom­plex Religionswissenschaft.

10. Nach einem klei­nen Inter­mez­zo zu Team­ar­beit, Per­so­nal­füh­rung und Schrift­ver­kehr – an deren Kennt­nis sich spä­ter alles ande­re bewei­sen muß – fol­gen Sep­tem­ber und Okto­ber, der erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­che Kom­plex, ver­tre­ten durch Lei­ter des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats Lebens­kun­de, des Aka­de­mie­prä­si­den­ten und TU-Pro­fes­sors Schulz-Hage­leit, fol­gen Ein­füh­run­gen in das Pro­blem Schu­le und Reli­gi­on, LER usw., und schließ­lich die Aus­bil­dung zum Lebens­kun­de­leh­rer, mit anschlie­ßen­den Unter­wei­sun­gen in Rhe­to­rik, huma­nis­ti­sche Privatschule.

11. Vor dem Prak­ti­kum fol­gen noch Buch­füh­rung, Kos­ten­rech­nung, Ver­wal­tungs­recht, Steu­ern und ande­re wich­ti­ge Din­ge, aber auch eine Woche Frei­zeit und Tourismus.

12. In die­ser Zeit, also im Novem­ber, wer­den wir uns über die Prak­ti­ka zu ver­stän­di­gen haben, die nach dem Niko­laus­tag einsetzen.

Wenn wir uns am 26. März 1999 hier dann wie­der tref­fen, haben wir hof­fent­lich einen Grund zum Ansto­ßen und viel­leicht sind dann eini­ge zu Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen geworden.

Doch vor die­sen Tag haben wir den Kurs gesetzt, zu des­sen Erfolg wir alle uns Mühe geben wer­den. Sehen Sie in mir nicht den Klas­sen­leh­rer, son­dern den Lebens- und Kurs­be­ra­ter – und glau­ben Sie mir, mein Agnos­ti­zis­mus geht so weit, daß wir auch auch die­sen Kurs nicht ver­klä­ren, son­dern sach­lich, irdisch, in der rea­len Welt und mit offe­nem Umgang mit­ein­an­der durch­füh­ren, also als Arbeit und als Chan­ce behandeln.

 

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