Industriekultur in Zwickau

Vor etwa einem Jahr, am 28. Janu­ar 2014, beschloss die Säch­si­sche Regie­rung, die 4. Lan­des­aus­stel­lung im Jahr 2018 zum The­ma „Indus­trie­kul­tur“, gemHorch-Hochbauäß dem Bewer­bungs­an­trag der Stadt Zwi­ckau, im denk­mal­ge­schütz­ten Horch-Hoch­bau, einer ehe­ma­li­gen Auto­mo­bil­fa­brik, zuletzt VEB „Sach­sen­ring“ (Stich­wort „Tra­bant“), statt­fin­den zu las­sen (sie­he Bild).  Das Pro­jekt soll bis zu 15 Mil­lio­nen Euro kos­ten, wobei das Land der Stadt 7,5 Mil­lio­nen För­der­mit­tel zusag­te. Der Frei­staat Sach­sen will damit ein Zei­chen set­zen und einen authen­ti­schen Ort bran­chen­über­grei­fend wür­di­gen. Zugleich soll das Jahr 2018 ein „Jahr der Indus­trie­kul­tur“ werden.

Der Schwer­punkt ist nach den The­men der ers­ten drei Lan­des­aus­stel­lun­gen tat­säch­lich längst fäl­lig gewe­sen. Das Land Sach­sen, das sich gern modern gibt, hät­te hier die ers­te Lan­des­aus­stel­lung, die sich der Moder­ne wid­met (1998: Zis­ter­zi­en­se­rin­nen­klos­ter St. Mari­en­stern: Mit­tel­al­ter, Klös­ter, Kir­chen­mu­sik, sakra­le Kunst, Tra­di­ti­on, länd­li­ches Leben; 2008: Kapel­le des Tor­gau­er Schlos­ses: Luther und die Refor­ma­ti­on; 2011: Kai­ser­trutz zu Gör­litz: Via Regia als geschichts­träch­ti­ge euro­päi­sche Han­dels­stra­ße). Umso schwe­rer fällt anschei­nend das Kon­zep­tio­nel­le. Was ist „Indus­trie­kul­tur“ – noch dazu eine mit säch­si­scher Spezialität?

Jeden­falls soll in Zwi­ckau, zudem in dem Horch-Gebäu­de, so noch immer der – inzwi­schen obso­le­te – Regie­rungs­be­schluss, eine Aus­stel­lung gezeigt wer­den. Geplant ist kein dau­er­haf­tes Muse­um für Indus­trie­kul­tur und auch kei­ne Dau­er- oder Wan­der­ex­po­si­ti­on. Den­noch wird der Samm­lung nach wie vor eine Netz­werk­funk­ti­on zuge­spro­chen. Sie soll auf ganz Süd­west­sach­sen aus­strah­len und bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment in der Regi­on frei­set­zen. Wäre der Horch-Hoch­bau saniert wor­den, was nun Ver­gan­gen­heit ist, blie­be zumin­dest ein Indus­trie­denk­mal zurück. In die­ses soll­te das Stadt­ar­chiv ein­zie­hen, das der­zeit kei­nen Ort hat.

Geblie­ben ist die Idee vom Stadt­ar­chiv. Aber das Pro­jekt selbst steht auf der Kip­pe, denn die Stadt Zwi­ckau hat aus objek­ti­ven Grün­den, die mit den Eigen­tums­ver­hält­nis­sen und den Sanie­rungs­kos­ten des Horch-Hoch­baus zusam­men­hän­gen, ihren eige­nen alten (geneh­mig­ten) Antrag revi­diert. Die Zwi­ckau­er Stadt­füh­rung schlägt nun einen neu­en Ort vor. Sie will ein neu­es Gebäu­de errich­ten für das Stadt­ar­chiv (sie­he Bild), Entwurf Neubau Stadtarchivdas zuvor die Aus­stel­lung zu Gast haben soll. Ver­bun­den ist der neue Vor­schlag mit einer Ver­schie­bung des gan­zen Pro­jek­tes auf 2019.

Die Säch­si­sche Lan­des­re­gie­rung muss nun neu befin­den. Das machen Regie­run­gen und ihre Beam­ten nicht gern, jeden­falls nicht ohne Retour­kut­schen zwi­schen diver­sen Nadel­sti­chen und sym­bo­li­schen Bestra­fun­gen. Schon bie­ten sich ande­re Städ­te an. Da Dres­den, Chem­nitz und Leip­zig als die drei gro­ßen Fast-Metro­po­len als Aus­tra­gungs­or­te per Vor­fest­le­gung der Regie­rung aus­fal­len, hät­te sich Plau­en ange­bo­ten. Doch kann sich die Stadt nicht ein­mal eine Regio­nal­li­ga-Fuß­ball­man­schaft leis­ten und hat Mühe, mit Zwi­ckau gemein­sam ein Thea­ter zu betreiben.

So wird sich wohl Aue anbie­ten, doch das impli­ziert zumin­dest gedank­lich eine Geschich­te des Urans und der SDAG Wis­mut. Die Indus­trie­ge­schich­te einer Sowje­tisch-Deut­schen Akti­en­ge­sell­schaft ist auch noch heut­zu­ta­ge viel zu nahe an Putin, selbst als his­to­ri­scher Neben­schau­platz. Und wer hat Lust, das Ende der Auer Tex­til­in­dus­trie mit Hil­fe der Treu­hand in Erin­ne­rung zu rufen. Zwi­ckau dage­gen hat Autos gebaut und baut heu­te „Volks­wa­gen“. Das ist immer ein guter Spon­sor. Es bleibt also für Zwi­ckau Opti­mis­mus ange­sagt … – wenn doch die Ver­ant­wort­li­chen wenigs­tens ein ande­res his­to­ri­sches Gebäu­de gefun­den hät­ten und nicht der Wunsch nach einem Ort für das Archiv die Idee einer Art neu­er Werk­hal­le als zeit­wei­li­ge Hül­le für eine ver­gäng­li­che Aus­stel­lung pro­vo­ziert hät­te. Jeden­falls lau­tet jetzt der Zwi­ckau­er Beschluss „Lan­des­aus­stel­lung im Jahr 2019 in Zwi­ckau am Stand­ort Audi­stra­ße in einem für die Lan­des­au­stel­lung beson­ders geeig­ne­tem Neubau“.

Das alles wäre viel­leicht noch ein­sich­tig, gin­ge eini­ger­ma­ßen glatt durch, hät­te das Kon­zept selbst genü­gend ver­ständ­li­che Begleit­mu­sik, die bür­ge­schaft­li­ches Enga­ge­ment, etwa in der Pro­duk­ti­on von Erin­ne­rungs­kul­tur, und damit die Unter­stüt­zung der Stadt­bür­ger/-innen, vor allem der „Civis“, der Alt­ein­ge­ses­se­nen, her­vor­ruft. Was will Zwi­ckau Sach­sen und der Welt sagen? Liest man die öffent­lich zugäng­li­chen Papie­re, so ent­steht der Ein­druck, als dre­he sich alles nur um die­ses oder jenes Gebäu­de für eine Aus­stel­lung. Doch was ist „Indus­trie­kul­tur“? Was wol­len die Zwi­ckau­er Stadt­vä­ter und ‑müt­ter? Was soll bleiben?

Es herrscht der Ein­druck vor, dass die­se Pro­ble­me ein noch zu beru­fen­der wis­sen­schaft­li­cher Bei­rat klä­ren soll nach dem Motto: erst fas­sen wir einen Beschluss, dann fra­gen wir nach den Inhal­ten. Als mög­li­cher Vor­sit­zen­der die­ses Bei­ra­tes bie­tet sich Prof. Dr. Hell­muth Albrecht vom Lehr­stuhl für Tech­nik­ge­schich­te und Indus­trie­ar­chäo­lo­gie in Frei­berg an. Er lei­tet schon jetzt als Vor­sit­zen­der den Bei­rat für Indus­trie­kul­tur. Albrecht hat sich, ehe der neue Antrag von Zwi­ckau beschlos­sen war, schon öffent­lich dage­gen aus­ge­spro­chen? Er monier­te, dass ein Neu­bau dem Ziel der Sanie­rung und Nut­zung eines denk­mal­ge­schütz­ten Gebäu­des wider­spre­che. Die Regie­rung  wie­der­um teil­te mit, sie wol­le erst das neue Zwi­ckau­er Kon­zept abwarten.

Albrecht ist zuzu­stim­men. Doch ver­tritt er ein eher eng­füh­ren­des Kon­zept von Indus­trie­kul­tur, das vor allem die bau­li­chen Hin­ter­las­sen­schaf­ten in den Mit­tel­punkt rückt. Das ist ange­sichts des Ver­falls die­ser stei­ner­nen Denk­ma­le nicht nur ver­dienst­voll, son­dern unbe­dingt zu unter­stüt­zen. Und hier liegt der größ­te Feh­ler der Zwi­ckau­er Planer.

Doch schaut man sich das von Albrecht ver­tre­te­ne Pro­gramm genau­er an, etwa das Doku­ment „Indus­trie­kul­tur in Sach­sen. Hand­lungs­emp­feh­lun­gen des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­ra­tes für Indus­trie­kul­tur in Sach­sen“, so wird zwar ein­gangs aus­drück­lich und rich­tig dar­auf ver­wie­sen, dass der Begriff der Indus­trie­kul­tur „eine sozi­al-gesell­schaft­li­che Per­spek­ti­ve mit der Fra­ge nach den Arbeits- und Lebens­ver­hält­nis­sen in der Indus­trie­ge­sell­schaft“ ver­knüpft, doch den „Hand­lungs­emp­feh­lun­gen“ fehlt an ent­schei­den­den Stel­len die kul­tu­rel­le Dimension.

Dazu ein Bei­spiel und eini­ge Bemer­kun­gen: In dem gesam­ten Doku­ment kommt das Wort „Mensch“ nur ein­mal vor (in der Ein­lei­tung) bezo­gen auf „das Leben aller Men­schen“, das von der Indus­trie ver­än­dert wur­de. Bei „Indus­trie­kul­tur“ macht die­se Ver­all­ge­mei­ne­rung nur in einem aller­all­ge­meins­ten Sinn einen Sinn, denn die Men­schen waren und sind von „Indus­trie“ höchst unter­schied­lich betrof­fen. So nimmt es nicht wun­der, dass auch das Wort „Arbei­ter“ nicht geson­dert vor­kommt, son­dern nur an einer ein­zi­gen Stel­le all­ge­mein ein­ge­bun­den ist, wo (S. 14) auf „die tra­di­ti­ons­rei­che Inno­va­ti­ons­kraft der säch­si­schen Indus­trie, ihrer Fach­ar­bei­ter, Inge­nieu­re und Unter­neh­mer … in einer glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft“ ver­wie­sen wird. Fach­ar­bei­ter sind aber nur ein Teil der Arbei­ter­schaft und kei­ne Indus­trie­kul­tur ohne Arbei­ter­frau­en, zunächst eine unge­lern­te und (teil­wei­se bis heu­te) unter­be­zahl­te Schicht (sie­he Bild).Grubenlampenwartung

Das Kon­zept der „Indus­trie­kul­tur“ hat in Deutsch­land Tra­di­ti­on und es war gut, dass Zwi­ckau zuge­grif­fen hat. Städ­te wie Nürn­berg (damals zustän­dig: Her­mann Gla­ser) haben damit nicht nur gute Erfah­run­gen gemacht, son­dern in Per­spek­ti­ven inves­tiert, Kul­tur pro­du­ziert, auch Bücher …

Selbst­re­dend müss­te man heu­te Kul­tur moder­ner sehen, also das Kon­zept zwi­schen „Kul­tur der Indus­trie“ und „Indus­tria­li­sie­rung der Kul­tur“ ansie­deln. Bei Letz­te­rem kommt nicht nur jede Arbei­ter­kü­che um 1900 als geleb­te „Indus­trie­kul­tur“ ins Spiel, son­dern (auf Zwi­ckau bezo­gen) die gesam­te Erz­ge­birgs­re­gi­on, denn das alles war beglei­tet von Mobi­li­tät bis in die DDR-Zei­ten hin­ein (sie­he Bild), Mobilitaet Belegschaft von Frei­zeit und Tou­ris­mus, die um 1900 ent­ste­hen. „Kul­tur“ hat immer mit Men­schen zu tun (sie­he Titel­bild zu die­sem Text), Arbeit und Frei­zeit, Fabri­kan­ten und Arbei­ter, Thea­ter und Knei­pe, Woh­nen und Ver­kehr, Arbei­ter- und Bil­dungs­ver­ei­ne usw.

Indus­trious“ heißt „flei­ßig, arbeit­sam“. Wie wur­den dies die Zwi­ckau­er? Was ist dar­aus gewor­den? Wird so etwas kul­tu­rell „ver­erbt“ bis in „post­in­dus­tri­el­le“ Zei­ten? Geht das ver­lo­ren bei Hartz IV? Kurz: Zwi­ckau hat eine Chan­ce zur Pro­fi­lie­rung. Doch ist das The­ma kom­ple­xer als die gute Idee, das ver­seuch­te RAW-Gelän­de mit einem Gefäng­nis zu sanie­ren, wobei: Auch die Moder­ni­sie­rung des Gefäng­nis­we­sens ist eine Begleit­erschei­nung von Industriekultur.

Noch ein klei­nes Bei­spiel: Alle Arbei­ter hat­ten meist lan­ge Fuß­mär­sche von und zur Arbeit, gera­de in Zwi­ckau. Fahr­rä­der waren wegen der Luxus­steu­er zu teu­er bis in die 1920er Jah­re; außer­dem: berg­auf fah­ren nach der Arbeit? Bis kurz vor dem 1. Welt­krieg gin­gen die Berg­leu­te sogar als „schwar­ze Män­ner“ unge­wa­schen und zu Fuß von der Arbeit heim und tran­ken unter­wegs ihre „Berg­männl“, rauch­ten öffent­lich, was schon als wider­stän­dig galt, und kehr­ten in zahl­rei­che Knei­pen ein.

Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Arbei­ter wand­ten sich nach 1903 gegen Alko­hol­miss­brauch, beson­ders gegen den Schnaps, auch als Depu­tat. Sie for­der­ten nach 1900 Mann­schafts­bä­der, die dann ein­ge­führt wur­den. Den dama­li­gen Moral­vor­stel­lun­gen ent­spre­chend wur­den Jugend­li­che und Män­ner noch getrennt. Ins­ge­samt sind die­se Bäder (mit der Klei­der­tren­nung) sehr zöger­lich benutzt wur­den, weil dies in die Frei­zeit fiel. Erst nach eini­gen Jah­ren – unter­stützt durch Benut­zungs­ver­bo­te der Geh­we­ge für Unge­wa­sche­ne durch die „fei­nen Leu­te“ und Teil­ver­la­ge­rung der Wasch­pro­ze­dur in die Arbeits­zeit – ver­schwand der „schwar­ze Mann“ von der Stra­ße. Aber immer blie­ben Arbei­ter bis in die 1960er Jah­re kennt­lich, gera­de die in der Industrie.

Da qua­li­fi­zier­te Arbei­ter ab etwa 1900 oft Dienst­mäd­chen oder Indus­trie­ar­bei­te­rin­nen hei­ra­te­ten, die Ansprü­che an indus­tri­el­le „Wohn­kul­tur“ und „Aus­flü­ge“ hat­ten, zogen and­re Sit­ten ein. Das wie­der­um beför­der­te sowohl die roten wie die gel­ben Gewerk­schaf­ten, die Knapp­schaf­ten, auf alle Fäl­le die Arbei­ter­or­ga­ni­sa­ti­on, die sowie­so in der Knei­pe statt­fand. Arbei­ter gin­gen nun öfters in den „Kin­topp“, tran­ken dort das gera­de erfun­de­ne Fla­schen­bier. Die Wan­nen­bä­der im „Johan­nis­bad“ (1874 ent­stand die Losung: „Jedem Deut­schen wöchent­lich ein Bad!“) und die „Neue Welt“ (1903 eröff­net) wur­den fre­quen­tiert. Die­se neue Arbei­ter­kul­tur hat­te posi­ti­ve Rück­wir­kun­gen auf die Indus­trie­taug­lich­keit und mach­te Zwi­ckau zu einer attrak­ti­ven und moder­nen Großstadt.

Abschlie­ßend möch­te ich anmer­ken, dass sich Links­par­tei und SPD, in Zwi­ckau in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung, und der Arbeit­neh­mer­flü­gel der CDU sich Sor­gen um das Sozia­le im künf­ti­gen Kon­zept machen soll­ten, schließ­lich gibt es kei­ne Indus­trie- ohne Arbeiterkultur.

Bild­quel­le: Alle s/w‑Fotos wur­den dem Bild­band “Kampf der Väter – Sieg der Söh­ne. Zur 100-Jahr-Fei­er des volks­ei­ge­nen Stein­koh­len­wer­kes Mar­tin Hoop. Zwi­ckau 1967” entnommen.