Erinnerungen und Folgerungen
Am 20. März 2019 ging der 20. Jahrestag der Gründung des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg (HVBB) ungedacht vorüber. Das ist ein Grund, an dieses Ereignis zu erinnern.
Da sind zunächst einige Voraussetzungen ins Gedächtnis zu rufen, unter denen diese Gründung vonstatten ging: In Brandenburg bildeten sich zu Anfang der 1990er Jahre aus Mitgliedern bzw. Organisationsstrukturen des Verbandes der Freidenker der DDR zwei humanistische Landesverbände unterschiedlicher Größe: erstens die Interessenvereinigung der Konfessionslosen, später umbenannt in Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Brandenburg; zweitens der Humanistische Freidenkerbund Brandenburg (HFB).[1] Beide Verbände befanden sich im „Speckgürtel“ von Berlin, der HFB unter der Leitung von Dr. Volker Mueller, vor allem im Gebiet um Nauen bzw. Bernau.
Ersterer gehörte im Januar 1993 mit den humanistischen Verbänden Berlin, Hamburg, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und der kleinen Ulmer Gruppe für Baden-Württemberg zu den sieben Gründungsmitgliedern des HVD-Bundesverbandes. Bayern und Niedersachsen waren noch nicht dabei. Der HFB gehörte (und gehört bis heute) dem Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften (DfW) an, der sich schon 1991 bildete und dem zu dieser Zeit noch der Deutsche Freidenkerbund (DFV, Sitz Dortmund) angehörte, der die Reste der DDR-Freidenkerorganisation aufgenommen hatte.
Die Aufzählung und die damalige Projektstruktur zeigen, dass es im HVD-Bundesverband die Ostverbände waren, die Erfahrungen mit dem praktischen Humanismus einbrachten. Auch der Humanistische Freidenkerbund Brandenburg hatte eine reichere Projektstruktur als viele der damaligen Westverbände. Der HFB unterstützte die Freie Akademie, die einige Jahre vor der 1997 gegründeten Humanistischen Akademie Berlin grundsätzliche und theoretische Debatten über Grundfragen des Humanismus abhielt, wie die Arbeit am Sammelband mit Schriften von Johannes Neumann eindrucksvoll offenlegte.[2]
Die Teilungen im „säkularen Spektrum“ (wie die „Szene“ später in der Sichtungskommission getauft wurde) und die damit verbundene Kommunikationshemmung, ja sogar teilweise Sprachlosigkeit untereinander, teilweise auf bis auf die frühen 1990er Jahre zurückreichend, bereitete noch Ende der 1990er Jahre Probleme, die auch die Gründung des HVBB nicht vollständig ausräumen konnte, teilweise ungewollt tradierte.
Das betraf auch den persönlichen Umgang miteinander. Misstrauen war allgegenwärtig. Negativ empfundener Umgangsstil einiger Westberliner mit den Ossis 1990/1991 bereitete im Vorfeld der Gründung des HVBB einige Mühsal. Das spiegelte sich noch im Bericht in der „diesseits“, besonders auf dem offiziellen Pressefoto (siehe Abbildung oben, vgl. den Text des Chefredakteurs).[3]
Das Foto dokumentiert die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages durch die Geschäftsführer oder Beauftragten der Regionalverbände und dem geschäftsführenden Landesvorstand Berlins. Im Bildmittelpunkt steht die engere Führung des HVD Berlin (Vorsitzender Bruno Osuch, Stellvertreterin Jutta Weißbecker, Schatzmeister Wolfgang Hecht [zugleich Schatzmeister des HVBB]). Es gab ein kurzes Kommunique der Gründung (siehe Abbildung links).
Die drei Berliner werden garniert durch die Projektvertreter Brandenburgs; der gewählte Vorsitzende ist ebensowenig auf dem Bild wie der Berliner Geschäftsführer Manfred Isemeyer, dem Initiator und Motor der Verbandsgründung. Ich hatte im Auftrag des HVD-Bundesverbandes die Gründung koordiniert, die Kontakte der Brandenburger untereinander hergestellt (sozusagen: Ossi vermittelt unter den Ossis) und die Sitzungen des Vorbereitungskomitees (Berlin-Brandenburger Treffen) geleitet.
Ein schwerwiegenderes Problem als die Brandenburger Ressentiments gegenüber dem Hauptstadt-Verband stellte der 1997er Konkurs des HVD Brandenburg dar. Er war der eigentliche Grund einer Neugründung. Mehrere unterschiedlich große Regionsverbände gingen aus der Insolvenz hervor, der HVD-Verein selbst wurde aus dem Register gestrichen, konnte unter diesem Namen nicht neu entstehen. Auch der Umgang der Brandenburger miteinander war von Konflikten geprägt, alten (auf 1989/1990 zurückgehend) und neuen (Ergebnisse des „Scheidungskrieges“ nach der Pleite). Besonders die Oranienburger (HVD Brandenburg Nord), der damals umsatzstärkste Brandenburger Verband, verfolgten einen Privatisierungskurs, was im HVBB zu ernsten Streitigkeiten führte, worauf noch eingegangen wird.
Ein weiteres Problem ergab sich aus der Bundessatzung, denn der HVD Berlin wollte selbständiges Mitglied bleiben, während der HVBB nur Brandenburg vertreten sollte, obwohl der Berliner Verband mitglied war. Ende 1998 lag noch immer keine Formel vor, wie ich am 16. Dezember in einem Brief an Berliner Mitglieder des Bundesvorstandes festhielt: „Eine Konstruktion, wie der HVBB, der sich über zwei Bundesländer erstreckt, Mitglied des Bundesverbandes sein kann, muß noch gefunden werden. Festgehalten wird, daß nach Gründung des HVBB für Berlin und Brandenburg § 3 der HVD-Satzung sinngemäß Geltung bekommt.“[4] Ohne eine befriedigende Lösung hatte Brandenburg Nord gedroht, die Gründungskonsultationen zu verlassen.
Das Zusammengehen Brandenburgs mit Berlin war eine pragmatische Entscheidung. Ihr lag noch die Idee eines gemeinsamen Bundeslandes zugrunde. Vor allem aber wurde erkannt, dass es einer landespolitischen Vertretung bedurfte. So hielt das entscheidende Protokoll des Berlin-Brandenburger Treffens am 4. November 1998 ausdrücklich als Missstand fest, dass Brandenburger Organisationen je für sich Förderanträge beim Kultusministerium einreichen, dass es also schon für das Haushaltsjahr 1999 nötig sei, dass die „Koordinierungsgruppe“ informiert wird, „um ein gegenseitiges ‘Ausspielen’ zu verhindern“. Das Problem war aber, dass eine diesbezügliche Information noch keine Koordination, geschweige denn eine Abstimmung bedeutete.
Außerdem bekam der Vorstand des HVBB keinerlei Informationen über die Finanzsituation der angeschlossenen Verbände. Bezogen auf den HVD Brandenburg Nord bedeutete dies auch keinerlei Wissen über Finanzierungsstrukturen und Beteiligungen Dritter. Bereits im April/Mai 2000, nicht einmal ein Jahr nach der Gründung des HVBB, drohte dem Regionalverband Märkisch-Oderland die Insolvenz, die nur mit einem (wahrscheinlich letztlich verlorenen) Darlehen (vor allem aus Berlin) verhindert wurde.
Ein weiteres Problem wurde wegen garantierter Erfolglosigkeit gar nicht erst aufgegriffen. Es bestand darin, dass diejenigen Mitglieder des Berliner HVD, die im Land Brandenburg wohnten, in Brandenburg hätten Mitglied werden müssen.
Die mit der Gründung getroffenen Abmachungen wurden weitgehend eingehalten. Berlin hielt sich mit direkten Interventionen zurück, außer auf denjenigen Feldern, auf denen ein großes eigenes geschäftliches oder/und politisches Interesse bestand. Das zeigte sich vor allem beim Unterrichtsfach Lebenskunde,[5] einer möglichen Ersatzschule in Bernau, überhaupt bei Bildungsprojekten (zur Erinnerung, damals war der HVD Nord noch an einem Humanistischen Gymnasium beteiligt), aber auch in dem Bestreben aus dem HFB, ein „Humanistisches Sozialwerk“ zu befördern.
Was im hier vorliegenden Text erzählt wird, fußt auf persönlichen Erinnerungen. Es ist fundiert durch mein privates Archiv. Es gibt noch keine objektivierte und dokumentengestützte Geschichte der Zeit zwischen 1988 (VdF der DDR) und der Gründung des HVD-Bund bzw. später des HVBB. Aber auch zu dessen weiterer Geschichte liegt nichts vor. Das bestärkt den Eindruck, dass daran auch niemand im HVD selbst ein größeres Interesse hat, vom Personal, dass dies erledigt, einmal ganz abgesehen. Es wird nötig sein, dass die Akteure der letzten dreißig Jahre ihre Erinnerungen aufschreiben.
Meinem Erinnerungsbericht sind einige Dokumente zur Gründung des HVBB aus meinem Privatarchiv angefügt.
1. Die verabschiedete Politische Erklärung war meines Wissens der erste Versuch, die Intentionen der HVD-Gründung auf ein konkretes Bundesland anzupassen. Es geht darin konsequent um eine Weltanschauungsgemeinschaft, die Gleichbehandlung will und praktisch-humanitär arbeitet. Hinter allen Vorschlägen in der Erklärung standen wirkliche Aktivitäten. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu fragen, was warum sich wie entwickelte oder „einging“.
Das Humanismusverständnis folgte konsequent den berlin-brandenburger Erfahrungen, etwa im unaufgeregten Umgang mit den Kirchen. Das Wort „säkular“ kommt im Text nur einmal vor, ist aber verknüpft mit „ethischer Lebensauffassung“.
Wenn man bedenkt, mit welchen Überlegungen sich das aktuelle Humanistische Selbstverständnis herumschlägt, ist auf die „Erdung“ dieser Erklärung zu verweisen. Sie wurde dann angewandt bei den HVD-Gründungen in Mecklenburg-Vorpommern 2006 (durch den unmittelbar anschließenden rot-roten Koalitionsbruch letztlich eine Totgeburt), Rheinland-Pfalz 2008 (die gbs wollte einen Fuß in der HVD-Tür) und Thüringen (genau vor zehn Jahren).
2. Ein besonderes Stück Arbeit stellte der Kooperationsvertrag dar. Der HVBB selbst hatte keine Projekte, wollte der Koordinator bzw. Moderator für die Regionalverbände sein, die aber ihre berechtigten Regionalinteressen verfolgten.
3. Schon ein Jahr später erwies sich die Unzulänglichkeit dieses Vertrages gegenüber der realen Praxis. Er sollte ergänzt werden. Es ist daran zu erinnern, aus wie viel „Sprengstoff“ jeder Satz des Änderungsbeschlusses des Vorstandes bestand. Er scheiterte nicht einfach an den geschäftlichen Widersprüchen, etwa was Jugendfeier-Angebote betraf, sondern an undurchsichtigen (gesehen von den anderen Verbänden im HVBB) Finanzstrukturen im Nord-Verband.
Es waren die Kooperationsprobleme, die auch manche unschöne bzw. nachträglich gesehen, komische Szenen erzeugten, so als ein Regionalvorsitzender, von Beruf Militärhistoriker, eine Landkarte nahm, Münchner Abkommen spielte und rote Linien zog, also Territorien und Grenzen zuweisen wollte.
Abschließend eine Erfahrung: Es sind im HVD bis ganz aktuell nie weltanschauliche Differenzen gewesen, die Streit, gar Abspaltungen erzeugten. Es waren immer ökonomische Interessen, allerdings stets verbunden mit persönlichen Animositäten bei Führungspersonen.
Das Problem kann auch umgekehrt formuliert werden – und dies ist eine eher tragische Folgerung: Die gemeinsame Weltanschauung – das verbandliche Humanismusverständnis – war wohl nie kräftig und bindend genug, einen Verband zusammenzuhalten, Widersprüche auszutragen und auszuhalten und neue Mitglieder zu gewinnen. Wahrscheinlich ist der „Verbandshumanismus“ wohl zu einfach gedacht, zu abstrakt formuliert, auch zu langweilig, wenig streitbar.[6]
Fußnoten
- Vgl. Horst Groschopp/Eckhard Müller): Letzter Versuch einer Offensive. Der Verband der Freidenker der DDR (1988–1990). Ein dokumentarisches Lesebuch. Aschaffenburg 2013 (Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 8). ↑
- Vgl. Johannes Neumann: Humanismus und Kirchenkritik. Beiträge zur Aufklärung. Mit einer biographisch-bibliographischen Studie von Theodor W. Beine und einem Nachwort von Ursula Neumann. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Horst Groschopp. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2019 (Reihe Humanismusperspektiven, Band 5). ↑
- Vgl. Christian John: Unter Dach und Fach. Neun humanistische Organisationen gründen Berlin-Brandenburger Dachverband. In: diesseits. Berlin 1999. H. 47, S. 16f. ↑
- … nämlich, dass sich Landesverbände auch über mehrere Bundesländer erstrecken können. ↑
- Vgl. Beschluß des Vorstandes [des HVBB] vom 11. Mai 1999 [Auszug]: „1. Der HVBB wird als Weltanschauungsgemeinschaft aus Gründen der Gleichbehandlung mit den beiden großen christlichen Kirchen und als Alternative zu deren Religionsunterricht die Einführung des „Humanistischen Unterrichts“ („Humanistische Lebenskunde“) zunächst in der Grundschule beantragen. / 2. Der HVBB überträgt dem HVD, Landesverband Berlin, die Aufgabe der Beantragung des LKU in Brandenburg sowie die Klärung der finanziellen und personellen Probleme.“ ↑
- Vgl. Horst Groschopp: Pro Humanismus. Eine zeitgeschichtliche Kulturstudie. Mit einer Dokumentation. Aschaffenburg 2016 (Humanismusperspektiven, Bd. 1). ↑
Zwickau, im März 2019