Hoffmann in der Novemberrevolution
In den beiden großen deutschen Revolutionen 1848/49 und 1918/19 wirkten Freireligiöse und Freidenker als führende Akteure. Diese Tatsache ist weitgehend unbekannt. Das hängt erstens mit ungenügender Geschichtsarbeit der freidenkerischen Nachfolgeorganisationen zusammen; zweitens zeigt diese Leerstelle, dass solche Zusammenhänge nicht zu den Themen der deutschen Geschichtsforschung gehören. Es gibt aber noch einen dritten Grund. In biographischen Studien wird in der Regel wenig wert auf die Verankerung der Personen in der Freidenkerbewegung gelegt – als schade dies noch rückwirkend dem Leumund.
Religionspolitik war in der Novemberrevolution kein abseitiges Feld. Wenn man sich Publikationen über diese Zeit anschaut, finden sich zahlreiche Darstellungen religionskritischer Ideen und politischer Entscheidungen zur staatlichen Trennung von den Kirchen an der Jahreswende 1918/19. Die Vorgänge vor der Formulierung der Kirchenparagraphen in der Weimarer Reichsverfassung, die noch immer per Artikel 140 Grundgesetz gültig sind, erscheinen allerdings in aller Regel als Verirrungen einiger extremistischer Kräfte, die gegen die Kirche gerichtet waren, während es (bis heute) darauf ankomme, mit den Kirchen auf freundliche Weise Reformen zu finden – am Sanktnimmerleinstag.
Bis in die unmittelbare Gegenwart entzündet sich an den Kompromissen von 1919, der seitdem „unvollständigen Trennung von Staat und Kirche“, vehemente Kritik, denn die Kirchen erreichten in der Revolution die Freiheit vom Staat bei gleichzeitiger Fortsetzung ihrer Privilegien.[1] Am 16. November 1918 war für die Revolutionäre noch klar, dass spätestens zum 1. April 1919 auf dem Verordnungswege alle Zahlungen an die Kirchen einzustellen seien. Diese Absicht teilte Adolph Hoffmann (1858–1930) einer von ihm gegründeten Beratergruppe des preußischen Kultusministeriums mit.[2] Noch in der zuständigen Verfassungskommission galt es als ausgemacht, dass abgelöst werden muss, dass, so Friedrich Naumann, „nachdem einmal Inventur gemacht und Ablösung erfolgt ist, der Staat keine Mittel für die Kirche zu geben nötig hat“.[3]
Immer wieder, wenn diese damaligen Vorgänge in den Blick geraten, fällt der Name des Berliner linken Sozialdemokraten Adolph Hoffmann. Er war ein freidenkerischer Freireligiöser und damals Kultusminister Preußens, bis zu seiner Erkankung am 10. Dezember im Amt, von Beginn an gleichberechtigt mit Konrad Haenisch, auch ein sozialdemokratischer Freidenker.
Hoffmann war der Bekanntere von beiden, auch als Politiker. Er war aktiv in diversen Kirchenaustrittsbewegungen, Verleger und Autor vieler populärer kirchenkritischer Schriften. Wen sonst hätten die Umwälzungen der Revolution in so ein heikles Amt spülen sollen, das hundert Jahre zuvor entstanden und außer für die äußeren evangelischen und alle katholischen Kirchen- und Religionsangelegenheiten zuständig war für die Universitäten, Museen, Schulen, also das gesamte Bildungswesen?Es bedurfte einer Person mit Wagemut und Verankerung in der Opposition. Die Gegner schalten Hoffmann sofort einen „Minister der Unkultur“. Die „Kölnische Volkszeitung“ titelte am 15. Dezember „Weg mit ihm!“ und nannte ihn einen großschnäuzigen ungebildeten Gottesleugner, widerwärtigen Zyniker, grinsenden Wasserspeier und eine üble Blüte aus dem Berliner Großstadtsumpf.[4]
Hoffmanns Radikalität im Ministeramt wurde bereits bei seiner Amtseinführung deutlich. Er nannte sich „Ausmister“, als er von den Kultusbeamten als „Herr Minister“ begrüßt wurde. Er ließ Körbe kommen, um alle Akten der Vergangenheit ins Archiv zu entsorgen. Es sollte neu begonnen werden.
Schon lange vor den Wahlen zur Nationalversammlung, die 1919 zur Weimarer Reichsverfassung führten, war Hoffmann wegen seiner kirchenkritischen Maßnahmen verteufelt worden. Die Sozialdemokratie schob ihm nach den Wahlen unisono den Erfolg der Konservativen und besonders des katholischen Zentrums in die Schuhe. Das war nicht fern der Wahrheit, denn seine Anweisungen hatten die unmittelbare Folge, dass ganz im katholischen Westen Deutschlands vor Weihnachten 1918 deswegen sogar mit der Abtrennung vom Reich gedroht wurde.
Anlässe, sich heute an Adolph Hoffmann zu erinnern, gibt es viele und immer wieder. So ist kürzlich erst sein Anwesen in Vogelsdorf bei Berlin, von dem er wünschte, es würde mal ein Kinderhaus werden, verkauft und geteilt worden. Versuche, wenn auch halbherzig, hier eine Gedenkstätte zu errichten, sind damit endgültig gescheitert. Sie wurden auch nur schwach vorgetragen.
Wer gibt schon Sponsorengelder oder staatliche Fördermittel für einen „Emporkömmling“, einen Autodidakten, ein gesellschaftlich aufgestiegenes außerheliches Armeleutekind mit einer abenteuerlichen Biographie, für eine Symbolfigur der Staat-Kirche-Trennung. Diese Geschichte begann mit seiner legendären Schrift „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ (1891), der er seinen Spitznamen „Zehn-Gebote-Hoffmann“ verdankte, und mit seinem noch heute radikalen Pamphlet „Los von der Kirche!“ von 1908.
Seine damaligen Argumente verblüffen in ihrer Aktualität. Jedenfalls mündete die sich anschließende Kirchenaustrittsbewegung 1910 im „Komitee Konfessionslos“, in dem ich eine Vororganisation des IBKA sehe. In fast allen größeren Städten übernahmen prominente Konfessionslose die Führung in einer sensationellen, damals sehr modernen Kampagne.
Die Hemmnisse, Adolph Hoffmanns Leben wissenschaftlich aufzuarbeiten und öffentlich zu ehren, liegen im Roman seines Lebens und dessen Rezeptionsgeschichte. Er war Schiffsjunge, Holzfäller, Korbmachergehilfe, Laufbursche, Kunstmaler und Vergolder, um schließlich mit der sozialistischen Arbeiterbewegung und den freidenkerischen Freireligiösen vom Hausierer über den Kolporteur von Büchern und Zeitschriften zu einem erfolgreichen Schriftsteller und Verleger (seit 1893) zu werden.
Hoffmann war Mitglied des Reichstages (1902/1906, 1920/24; 1908/21), 1926 bis 1930 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses (Landtag) und von 1900–1921 Stadtverordneter von Berlin. Von 1913 bis 1926 leitete Hoffmann die freidenkerische „Freireligiöse Gemeinde Berlin“ und war 1914 konsequenter Kriegsgegner. In den Parlamenten galt Hoffmann als Meister der scharfen Zwischenrufe, die er selbst sammelte und veröffentlichte. So nennt er seine Memoiren bezeichenderweise „Hoffmann’s Erzählungen“ (1928).
Stets blieb das Urteil über ihn strittig. Und selbst, als Walter Ulbricht 1958 Adolph Hoffmann auf einem Parteitag der SED als Kronzeuge aufrief für seine „10 Gebote der sozialistischen Moral und Ethik“ und als Erfinder der Jugendweihe pries, er blieb der Verräter, der die KPD wieder verlassen hatte, als ihm ihr Kurs zu sektiererisch, zu bürgerkriegerisch und auch zu russisch wurde. Sein Grab befindet sich im Ehrenrondell der „Gedenkstätte der Sozialisten“ in Berlin-Friedrichsfelde, der einstigen Helden- und Märtyrerstätte der DDR.
Eine umfängliche Analyse seines Lebens, seiner Schriften und Politik gibt der Sammelband „Los von der Kirche!“.[5] Die Texte in dem Buch belegen Hoffmann’s umfängliches Werk, dokumentieren sein Denken und Handeln als Atheist und vor allem werden seine rigorsen Maßnahmen hinsichtlich der Trennung von Staat und Kirche, Religion und Schule in der Revolution 1918/19 vorgestellt.
Nach der Revolution wandelte sich Hoffmanns Position. Er erkannte als Vorsitzender einer großen Gemeinde die möglichen Vorteile des „Gleichbehandlungsparagraphen“ von Religionen und Weltanschauungen 137, 7 der WRV. Als klar wurde, dass sich der Religionsunterricht wieder etablieren würde mit der Folge, dass dissidentische Kinder zwar weiter davon befreit wären (seit dem Hoffmann‘schen „Erlaß über den Schulunterricht“ vom 15. November 1918), aber unklar blieb, welchen Unterrichtsersatz diese Kinder bekämen, setzte sich Hoffmann für ein quasi konfessionelles Fach ein, dass die „Freireligiöse Gemeinde“ als Alternative zum Religionsunterricht anzubieten bereit war: „Lebenskunde“ – ein Begriff aus dem Umfeld der deutschen „Humanistengemeinden“ vor dem Ersten Weltkrieg.
Im Sommer 1917 hatte die freireligiöse Lehrerin Maria Krische aus Berlin beim Ministerium einen Antrag auf Genehmigung zur Erteilung von Moral- und Religionsgeschichtsunterricht an Stelle des Schulreligionsunterrichts gestellt. Kurz vor Ausbruch der Revolution kam die Genehmigung.[6] Im Januar 1919 begann die „Freireligiöse Gemeinde“ in Berlin „Religionsgeschichtsunterricht und Unterricht in Lebenskunde für die Jugend einzurichten.“[7] Damit war nicht nur erstmals für eine dissidentische Gruppe die pflichtige schulische Unterweisung in Religion gänzlich abgeschafft, sondern ein eigenes, alternatives Fach erlaubt.
Damit stieß Hoffmann 1919 die Tür auf für ein Angebot, dass heute der Berliner HVD „Humanistische Lebenskunde“ nennt, für fast 60.000 Kinder anbietet und das ein „Weltanschauungsunterricht“ ist, kein neutrales Schulfach, eigentlich keine „Kunde“.
Diese „Wende“ in seiner Politik wird oft übersehen.[8] Wenn im Jahr 2020 der erste Unterricht in diesem Fach in Berlin die Hundertjahrfeier begeht,[9] wird nicht nur der Leistung Adolph Hoffmanns zu gedenken sein. Es ist dann erneut der Anlass gegeben, das verschüttete Erbe von Lebenskunde in anderen Bundesländern endlich zu erforschen, denn das gab es mindestens im heutigen NRW, in Niedersachsen, in BaWü, Sachsen, Thüringen …
Fußnoten
[1] Die noch immer profundeste Quellenstudie ist die von Ludwig Richter: Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung. Düsseldorf 1996.
[2] Vgl. Richter: Kirche und Schule, S. 4.
[3] Friedrich Naumann. In: Verhandlung am 1. bis 3. April 1919. In: [Friedrich] Naumann/[Richard] Seyfert/[Conrad Weiß]: Staat, Kirche, Schule. Reden und Berichterstattung in der Nationalversammlung. Berlin 1919, S. 121.
[4] Vgl. Richter: Kirche und Schule, S. 6, FN 32.
[5] Vgl. Horst Groschopp (Hrsg.): „Los von der Kirche!“ Adolph Hoffmann und die Staat-Kirche-Trennung in Deutschland. Texte zu 90 Jahre Weimarer Reichsverfassung. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2009 (Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 2). Der Band enthält einen Aufsatz von Michael Schmidt, der Hoffmanns Einsatz für die Staat-Kirche-Trennung in der Novemberrevolution ausführlich würdigt.
[6] Vgl. Horst Groschopp: Dissidenten. Freidenker und Kultur in Deutschland (1997). Marburg 2011, S. 463.
[7] Adolf Harndt: 75 Jahre Geschichte der Freireligiösen Gemeinde Berlin 1845–1920. Berlin 1920, S. 35.
[8] Vgl. Horst Groschopp: Zum Kulturkampf um die Schule. Historische Anmerkungen zum Berliner Streit um den Religionsunterricht. In: Jahrbuch für Pädagogik 2005: Religion – Staat – Bildung. Frankfurt a.M. 2006, S. 225–234.
[9] Aus Anlass 80 Jahre Lebenskunde gab es im Jahr 2000 in Berlin eine Ausstellung im Heimatmuseum Johannistal. Texte dazu finden sich in Heft 8 von humanismus aktuell, Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung, Berlin 2001. Diese Ausgabe kann als pdf kostenfrei heruntergeladen werden.
Quellen:
Text: Horst Groschopp: Adolph Hoffmann und die Staat-Kirche-Trennung 1918/19. In: MIZ. Materialien und Informationen zur Zeit. Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistINNEN. Aschaffenburg 2018. 47. Jahrgang. Heft 3, 4–8.
Titelbild: Fotomontage auf Basis des Titelbildes der genannten Ausgabe der MIZ und eines Porträtfotos von Hoffmann aus dem Jahre 1911.
Foto im Text: Aufbahrung Adolph Hoffmann Krematorium Wedding 6. Dezember 1930, Nachmittag 16 Uhr. Familienbesitz Lars Hoffmann. Kopie aus: Margarete von Pusirewsky: Kirschen im Kaukasus. Ein Schicksal zwischen Ost und West. Stuttgart 1984, S. 167. – Denkmal und Grabstelle nach Umbettung Adolph Hoffman auf Rondell Gedenkstätte der Sozialisten Friedhof Berlin Friedrichshain.