Passagen über Corvin in Groschopp: Dissidenten
S. 112
Allen Prominenten voran stand Otto von Corvin (1812–1886), dessen Schrift Pfaffenspiegel zwischen 1845 und 1885 in Millionenauflage erschien.[1] Sein Leben spiegelt die Freidenkerei bis zu diesem Zeitpunkt. Corvin war Offizier gewesen und in den Dreißigern mit dem freigeistigen Dichter Friedrich von Sallet in einem Regiment. Aus der Armee ausgeschieden wurde Corvin 1835 mit seiner Anweisung zur Erlernung der Schwimmkunst und als Schwimmkünstler berühmt, aber auch mit seiner Erfindung der Corvinelli, einer galvanischen Metallverzierung. In der Revolution gehörte er zur Badischen Revolutionsarmee und mußte ins Exil. Hier betrieb er kulturhistorische Studien. Sein Pfaffenspiegel erregte in der Ausgabe von 1868 großes Aufsehen, obwohl er schon vorher unter dem Titel Historische Denkmale des christlichen Fanatismus erschienen war.
S. 206
Von großem Einfluß auf die freidenkerische Kulturbewegung der Dissidenten, besonders auf deren proletarische Variante, war der Dichter und Redakteur Konrad Beißwanger (1869–1934), der neben Studien zu natürlichen Welterklärungen, in denen er sich als Darwinist bekannte und einer Sammlung von Werken der Arbeiterdichter, auch eine Geschichte der Freidenkerbewegung hinterließ.[2] Die weiteste Verbreitung fand sein kleiner Pfaffenspiegel, eine Corvin-Adaption.[3] Beißwanger war seit 1895 Verwaltungsleiter im Bund freier religiöser Gemeinden, in dieser Funktion viel in Deutschland herumgekommen und mit den Problemen der freigeistigen und freidenkerischen Vereine vertraut. Darauf versuchte er, eine Karriere zu bauen und betrieb ab 1904 einen eigenen Verlag mit dem Namen Literarisches Bureau Nürnberg.[4] In diesem Verlag erschienen die Zeitschrift Der Atheist (mit ihm als Schriftleiter) und zahlreiche antikirchliche Broschüren und Bücher.[5] Schon im Titel der 1905 gegründeten Zeitschrift kam Programmatisches zum Ausdruck: Gottlosigkeit, nicht nur freies Denken sollte das Ziel sein.
S. 356
Emil Rosenow (1871–1904) hervorzuheben, Autor der Berliner Erfolgskomödie Kater Lampe. Während Gerling intensiv nach einem Ausdruck seiner freigeistigen Befindlichkeit und metaphysischen Bedürfnisse suchte[6], war Rosenow ein politischer Mensch, saß für die Sozialdemokratie im Reichstag und begründete einen eigenen Verlag. Von ihm stammte eine an Corvin angelehnte, ungemein populäre Kulturgeschichte der religiösen Kämpfe nach Luther, deren Erfolg er wegen seines frühen Todes nicht mehr erlebte.[7]
Fußnoten
- Vgl. Otto v. Corvin: Pfaffenspiegel. Historische Denkmale des Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche (Rudolstädter Ausgabe). Berlin-Schöneberg 1885. ↑
- Konrad Beißwanger: 50 Jahre Freidenkertum. Der Aufstieg einer Kulturbewegung. Nürnberg 1930. — Ders.: Stimmen der Freiheit. Blütenlese der hervorragendsten Schöpfungen unserer Arbeiter- und Volksdichter. 3. Aufl., Nürnberg 1902. — Ders.: Von der Amöbe zum Menschen. Eine Wanderung durch Jahrmilionen. Nürnberg 1907. ↑
- Konrad Beißwanger: Der kleine Pfaffenspiegel. Bd.1: Heiligengeschichten, Reliquienüberfluß und Kirchennot. Nürnberg 1909. ↑
- Vgl. Kaiser: Arbeiterbewegung, S.99, 102. ↑
- So 1912 die Schrift des freidenkerischen Dichters A. Langer: Haben die Päpste „Hauptsünden“ begangen? ↑
- Vgl. Friedrich Wilhelm Gerling: Briefe eines Materialisten an eine Idealistin. Berlin 1888. — Ders.: Der Jesuit und der Freidenker. Lustspiel in 3 Akten (1894). Leipzig 1905 (Soziale Bühne, 2). — Ders.: Prinz Siddhârtha, der Buddha. Episch-dramatische Handlung in 5 Akten. Berlin 1899 (erschienen bei Adolph Hoffmann). ↑
- Vgl. Emil Rosenow: Wider die Pfaffenherrschaft. Kulturbilder aus den Relgionskämpfen des 16. Und 17. Jahrhunderts. Fortgef. v. Heinrich Ströbel. 2 Bde, Berlin 1904, 1905. ↑