Das Buch ist die Druckfassung der 2017 erfolgreich verteidigten Dissertation. Der Autor begründet, warum die Erforschung dezidiert nichtreligiöser Organisationen („kollektive Akteure“, S. 2, 31 u.a.) Gegenstand einer religionswissenschaftlichen Arbeit ist, die sich als „Grounded Theory“ versteht (vgl. S. 83–98). So sehr die Argumentation einleuchtet, dies geschehe wegen „ihrer häufig ausgeprägten Religionsbezogenheit“ (S. 5), woraus sich auch das Adjektiv „freigeistig“ ableitet, ist dennoch gleich eingangs zweierlei zu konstatieren.
Zum einen handelt es sich um eine kulturwissenschaftliche Untersuchung, die auch in einem anderen Fachbereich hätte geschrieben werden können, etwa der Ethnologie, der früheren „Volkskunde“, doch, zum anderen, es gibt woanders am Gegenstand zu wenig Interesse und die „Szene“ selbst hat keine eigenen akademischen Einrichtungen, wie sie etwa die Theologen besitzen. So kann die Unterscheidung von religiösen und nichtreligiösen Feldern (Johannes Quack im Anschluss an Pierre Bourdieu, vgl. S. 23) durchaus Erkenntnisgewinne bringen, wobei der Autor aber selbst warnt, daraus nun mal gleich ein eigenes Forschungsgebiet zu kreieren (vgl. S. 26).
Diesen Schluss provoziert der Autor zunächst selbst. Es gäbe eine „noch recht junge Nichtreligionsforschung“. (S. 21) Diese Aussage mag von der Wissenschaft aus gesehen ein neuer Gegenstand und von „Szene“ her ein erfreuliches Faktum zu sein, weil man sich für für ihre Phänomene interessiert. Dieses Herangehen überhöht aber Konfessionslosigkeit zu einer säkularisationstheoretischen Besonderheit, als müssten die Angehörigen dieser Großgruppe erst noch integriert werden. Dabei sind die „Konfessionsfreien“ doch inzwischen hierzulande die „Normalität“ und die Religiösen bilden eine Besonderheit.
Zugestanden sei aber, dass es ein „Übergangsfeld“ zwischen frei in der Religion und frei von Religion gibt, und dass die „Szene“ weitgehend darin und davon lebt, und dass man durchaus einmal einen Vergleich von islamischen Migranten- mit religiös-weltanschaulichen Minderheitenorganisationen anstellen sollte (vgl. S. 250).
Wie der Untertitel ausdrückt, konstatiert der Bayreuther Autor, nachdem er die Strukturen und Geschichte des „säkularen Spektrums“ aus seiner Sicht dargestellt hat, eine Wende der weltanschaulichen Positionen hin zum Humanismus seit den späten 1980er Jahren (vgl. S. 52–81). Er spricht sogar von einer „humanistischen Wende“ und meint damit, dass „der Begriff ‘Humanismus’ dem Vorbild nordeuropäischer freigeistiger Verbände folgend zunehmend als Selbstbezeichnung“ genommen wurde (S. 7). Auch der Einfluss des „neuen Atheismus“ sei gebrochen worden durch die unterschiedliche Reichweite des Humanismusverständnisses in diesen Kreisen (vgl. S. 26 ff.).
Es ist ein Vorzug des vorliegenden Werkes, dass der Autor in seinen Beschreibungen nicht an der Oberfläche bleibt, sondern in die Verästelungen eindringt. Die Protagonisten kommen meist selbst zu Wort und so sehr ich mich selbst als einen Kenner der „Szene“ sehen würde und auch mehrfach so vorgestellt werde, Schröder verblüfft immer wieder durch treffende Befunde und gefundene Äußerungen, bei denen man sich fragt, wie hat er denn das entdeckt?
Zu diesen Überraschungen gehören auch immer mal wieder vom Autor eingestreute Charakterisierungen führender handelnder Personen, so etwa, wenn er über Michael Bauer, den Bayerischen Vorstand des HVD schreibt, er sei „ein Politstratege mit betriebswirtschaftlichem Know-how“ (S. 67) oder wenn er Helmut Fink, den ehemaligen Präsidenten desselben Verbandes, einen „Grenzgänger zwischen HVD und GBS“ nennt (S. 73, Fn 46). Da mag der Rezensent ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Das Urteil, es habe eine Wende zum Humanismus gegeben, bindet Schröder in eine Analyse der vorfindlichen theoretischen Horizonte und den Forschungsstand zur „Szene“ ein. Diese „Wende“ habe zu diversen Widersprüchen im Denken und Tun der Verbände und Vereine geführt. Die entsprechenden Entwicklungen, Streitfragen und Ansichten werden mit großem Detailreichtum vorgestellt. Die Quellen für Schröders geradezu ethnographische Untersuchungen sind Dokumente in Archiven, Publikationen, teilnehmende Beobachtungen und Interviews. Entsprechende Verzeichnisse am Ende des Buches legen die Quellen offen und der Rezensent bedankt sich hiermit ausdrücklich für die lobende Erwähnung seines Privatarchivs. Jedenfalls ist die Wiedergabe der Äußerungen in den Quellen eine besondere Fundgrube für alle Insider, vor allem, wenn der Autor die Selbstdarstellungen kritisch hinterfragt.
Ein gutes Beipiel dafür ist die Darstellung der HVD-Debatten darüber, ob das eigene Handeln mit dem einer „Konfession“, etwa den christlichen Kirchen, verglichbar ist (vgl. S. 3, Fn 5, S. 146 ff. u.a.). Als Religionswissenschaftler hat er mit dieser Analogie keine solchen „Bauchschmerzen“, wie wohl die meisten Mitglieder und Textproduzenten dieses Verbandes, die im Humanismus eher eine stark den Wissenschaften und der Aufklärung verpflichtete Weltanschauung sehen, weniger die Kulturvorstellungen einer „Bekenntnisgemeinschaft“.
Für Schröder ist das Phänomen „Weltanschauungsgemeinschaft“ eine sozialkulturelle Tatsache und mit Religionsgesellschaften kompatibel. Deshalb spricht er auch konsequent von der „Humanistischen Lebenskunde“, die der HVD in Berlin-Brandenburger Schulen für fast 60.000 Kinder anbietet, als einem „konfessionellen Humanismusunterricht“ (S. 64) bzw. einem „konfessionell-humanistischen Unterricht“ (S. 1).
Der Verfasser widmet sich vorwiegend den konträren Haltungen und Intentionen deutscher Organisationen (zu deren Geschichte vgl. S. 37 ff.), besonders des Humanistischen Verbandes (HVD), im „Albert‘schen Sprachgebrauch“ eine „säkulare Religion“, und der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS), einer „Alternative zu Religion“ (vgl. S. 34).
Beide Organisationen werden als Hauptakteure im Panorama freigeistiger Interessen und darüber hinaus ausführlich vorgestellt. Der HVD ist nicht nur Hauptakteur in der „Wende“, sondern beide sind nach der „Wende“ die gesellschaftlich einflussreichsten über die „Szene“ hinaus, beide argumentieren humanistisch.
Der Verfasser unterscheidet, was GBS und HVD betrifft, ein weltanschaulich-agonales Organisationssystem (GBS) und ein sozial-praktisches (HVD). Dementsprechend sind die Vorstellungen von Humanismus geprägt, aber auch von Politik und sonstiger Praxis. Beide haben ihren jeweiligen „Teilhumanismus“ (mein Begriff), der vom Anspruch her als ganzer vorgetragen wird.
Der wichtigste Beitrag von Schröders Studie für die „Szene“ ist die Schilderung einer „strategisch gespaltenen freigeistigen Organisationslandschaft in Deutschland“ (S. 2O), ein Thema, über das zwischen den Akteuren selbst weitgehende Sprachlosigkeit besteht, was die Folgen betrifft. Jedenfalls sind gemeinsame Unternehmungen, auf die auch der Autor eingeht, wie der Humanistische Pressedienst (hpd) oder die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) als vereinigte Projekte gescheitert bzw. wie der KORSO weitgehend handlungsunfähig. Das besagt aber gerade nicht, dass sie als Projekte der GBS allein nicht gut funktionieren würden. Beide strategische Orientierungen haben ihre eigenen kulturell-medialen Ausdrücke, deren langfristiger Erfolg abzuwarten ist, eingeschlossen die konzeptionelle Weiterentwicklung des jeweiligen Humanismus.
Jedenfalls kommt der Autor zu dem Schluss, dass nicht mehr von einer irgendwie einheitlichen freigeistigen oder humanistischen Bewegung gesprochen werden kann. Es ist nicht sein Metier, daraus Folgerungen zu ziehen. Ob man nun dieser Hauptthese Schröders zustimmt oder nicht, was ja auch davon abhängt, auf welcher Verallgemeinerungsebene mögliche Gemeinsamkeiten bzw. Divergenzen festgemacht werden: Es gilt festzuhalten, dass diejenigen, die sich aktiv, vor allem konzeptionell in dieser „Szene“ bewegen, an diesem Buch nicht vorbeikönnen.
Schröder gibt eine Ist-Studie der Zeit um 2015/2017, darin eine Beschreibung eines weitgehend geschlossenen Systems HVD. Umso klarer werden künftige neue Strukturen kenntlich, die zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts (gerade jetzt) eingeleitet werden: Dezentralisierung und Förderalisierung mit unbekannten Folgen.
Vielleicht ist es so, dass Fortentwicklungen der Praxis und Humanismustheorie weniger von nationalen Einrichtungen der „Szene“ abhängig sind als von internationalen. Schröder stellt auch dazu Bezüge her, die aufzuarbeiten wären: „Insgesamt kann mit aller Vorsicht und dem Verweis auf existierende kulturhistorische Pfadabhängigkeiten die Hypothese aufgestellt werden, dass die am deutschen Kontext entwickelte Typologie freigeistiger Organisationen auch in anderen nationalen Zusammenhängen funktioniert.“ (S. 242)
Was aber folgert daraus für eine Vertiefung der „humanistischen Wende“ im deutschen Innern?