Postsäkulare Gesellschaft – Rezension

Postsäkulare Gesellschaft

Nimmt man den Titel die­ses text­rei­chen Sam­mel­ban­des wört­lich, so legt der Her­aus­ge­ber Wal­ter Schweid­ler ein Werk über die nach-welt­li­che Gesell­schaft vor. Er prä­sen­tiert Arti­kel über Befun­de und deren Inter­pre­ta­tio­nen, die er auf eine von ihm beob­ach­te­te reli­giö­se oder auch kirch­li­che Renais­sance bezieht. Sie fokus­sie­ren auf eine ange­nom­me­ne „hei­li­ger“ wer­den­de Welt, die sich als „Dia­lek­tik der Säku­la­ri­sie­rung“ an die Stel­le der „Dia­lek­tik der Auf­klä­rung“ setzt und die über Fehl­schlüs­se der Auf­klä­rung Aus­kunft geben will – an vie­len Stel­len im Buch wird fol­ge­rich­tig Auf­klä­rung über Auf­klä­rung aus reli­giö­ser Per­spek­ti­ve betrie­ben. Es sind die Juris­ten (Kapi­tel 1 und 3) die weit­ge­hend die Ehre des Säku­la­ris­mus ret­ten, in dem sie dem Rechts­staat die kla­re Prio­ri­tät geben vor theo­lo­gisch moti­vier­ten Wert­er­ör­te­run­gen und Sinngebungen.

Heilige Würde

Das „Unan­tast­ba­re, die Wür­de“ sei „im Pro­zess der Säku­la­ri­sie­rung reli­giö­ser Begriff­lich­kei­ten an die Stel­le der Rede vom Hei­li­gen getre­ten“ (Schweid­ler, S. 18). Der Her­aus­ge­ber kon­stru­iert die­se Ablei­tung – die durch­aus der his­to­ri­schen „Ent­de­ckungs­ge­schich­te“ die­ser Wür­de in Form der Men­schen­rech­te durch die orga­ni­sier­te Chris­ten­heit seit der Renais­sance ent­spricht – um die Rol­le von Reli­gi­ons­ge­sell­schaf­ten zu rela­ti­vie­ren und sie dem staat­li­chen Ver­bund unter zu ord­nen, um sie dann sogleich wie­der zu erhe­ben, um den kul­tu­rell beson­de­ren Sta­tus reli­giö­ser Bür­ger in hel­le­res Licht zu rücken.

Der reli­giö­se Bür­ger sei es, der, die Säku­la­ri­sie­rung aner­ken­nend, „im und durch ihn hin­durch bewahr­ten Respekt vor dem Unan­tast­ba­ren am Men­schen, das für ihn … nichts ande­res als das Hei­li­ge ist, vor dem auch die Abstim­mung [z.B. über den Aus­gleich von Inter­es­sen, HG] sich noch zu bewäh­ren hat.“ (Schweid­ler, S.19) Da der Rechts­staat auch ein Bil­dungs­staat sei, müs­se er als Kul­tur­staat ver­su­chen, „das­je­ni­ge am mensch­li­chen Dasein, was unse­rer Will­kür ent­zo­gen ist, zum Leit­prin­zip zu machen“ (Schweid­ler, S.20) – was letzt­lich dar­auf hin­aus­läuft, reli­giö­se Bil­dung zu promoten.

Doch wie steht es um das Unan­tast­ba­re, wenn nichts mehr hei­lig ist? Die einen bemü­hen sich – auch im vor­lie­gen­den Band – um Begrün­dun­gen die­ser Kul­tur und ihres Rechts­sys­tems, die das Hei­li­ge ins Welt­li­ches über­setzt; ande­re sehen es als schon über­setzt; wie­der ande­re sehen kei­ne Not­wen­dig­keit der Über­set­zung bzw. kom­men ohne jede Dol­met­sche­r­ei aus: am Klars­ten hier Robert Spae­mann, für den post­sä­ku­lar eigent­lich bedeu­tet „vor­sä­ku­lar“, also Rück­kehr … von der aller­dings nichts zu erbli­cken sei, was War­nun­gen vor einer Bar­ba­rei nötig mache, in der Wer­te ver­han­del­bar seien.

Dar­auf ant­wor­tet Peter Slo­ter­di­jk mit einer Viel­zahl von Beob­ach­tun­gen der Post­mo­der­ne, die alle dar­auf hin­aus­lau­fen, die The­se der Post­sä­ku­la­ri­tät als nichts ande­res als einen Aus­druck ver­flüs­sig­ter Gläu­big­keit zu sehen, die sich kirch­li­cher Dog­ma­tik ent­zieht und nach Erklä­run­gen sucht, die das Ende euro­päi­scher Reli­gi­ons­klas­sik als Fol­ge neu­er stra­te­gisch-kul­tu­rel­ler Welt­ver­hält­nis­se beschrei­ben, wobei der Feh­ler dar­in bestehe, an Tria­den fest­hal­ten zu wol­len in der ver­geb­li­chen Hoff­nung, das Alte käme doch irgend­wann irgend­wie als Nega­ti­on der Nega­ti­on wieder.

Zugänge

Ein­ge­heg­te Viel­falt zeich­net den Band aus. Er schließt aber auch Bei­trä­ge ein, die rei­ne Reli­gi­ons­päd­ago­gik sind, wie der von Wolf­gang Pala­ver, der fast hym­nisch damit schließt, was sein Cre­do als katho­li­scher Theo­lo­ge sowie­so ist, dass sich die Kir­che dem ers­ten Gebot ver­pflich­tet fühlt, das sich „in unse­rer gegen­wär­ti­gen Welt als Fun­da­ment wah­rer Huma­ni­tät“ erwei­se (S. 241) – eine Got­tes­an­ru­fung in einem wis­sen­schaft­li­chen Band, schwie­ri­ge Dia­lek­tik der Säkularisierung.

Es ist ein mit hoch­ka­rä­ti­gen Autoren besetz­tes, span­nen­den The­men (s. pdf Inhalts­ver­zeich­nis) aus­ge­stat­te­tes und v.a. mit der poli­ti­schen Auto­ri­tät des Bun­des­tags­prä­si­den­ten Nor­bert Lam­mert gerüs­te­tes Sam­mel­werk. Geld für den Druck kam inter­es­san­ter­wei­se aus der umstrit­te­nen, der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung St. Augus­tin zumin­dest geis­tig nahe ste­hen­den, wenn nicht dazu­ge­hö­ri­gen, 2002 gegrün­de­ten „Nor­bert-Lam­mert-Stif­tung“.

Die Tagung war durch die­se Anwe­sen­heit poli­tisch auf­ge­wer­tet, auch durch die Teil­nah­me von Chris­toph Böhr als Refe­rent. All dies hing wohl zusam­men mit der Erwar­tung eini­ger, es sei noch eine offe­ne Fra­ge, ob Gott in der Euro­päi­schen Ver­fas­sung doch noch erwähnt wird. Der Paper­back-Band hat in den dar­auf bezo­ge­nen Auf­sät­zen (her­vor­zu­he­ben Peter Wick) durch­aus einen Hauch von Nostalgie.

Es fin­den sich in der Publi­ka­ti­on zahl­rei­che Anmer­kun­gen und beson­ders wohl ver­pack­te War­nun­gen, die Dia­lek­tik im Phä­no­men der Säku­la­ri­sie­rung nicht zu ver­nach­läs­si­gen in einer Les­art von Dia­lek­tik, die auf die Gefah­ren hin­weist, die eine zu radi­ka­le säku­la­ris­ti­sche Welt­sicht aus­lö­sen könn­te (Spann­brei­te s. pdf Cover Rück­sei­te).

Reli­gi­on hat, so die Bot­schaft in vie­len Stim­men des Sam­mel­ban­des, ihr Sinn­po­ten­ti­al in einer säku­la­ren Gesell­schaft noch kei­nes­wegs aus­ge­schöpft. In die­ser Sicht­wei­se wird der Begriff der „post­sä­ku­la­ren Gesell­schaft“ zur Lupe, die kul­tu­rel­len Hin­ter­grün­de, die phi­lo­so­phi­schen wie juris­ti­schen Impli­ka­tio­nen und die prak­ti­schen, inklu­si­ve poli­ti­schen Kon­se­quen­zen zu ergrün­den, die der Dis­kurs über Reli­gi­on und Gesell­schaft hat.

Eini­gen Prot­ago­nis­ten der The­ma­tik gilt Reli­gi­on sogar als anthro­po­lo­gi­sche Kon­stan­te – eine The­se, die im vier­ten Kapi­tel umfäng­lich vor­ge­stellt wird. Eine vehe­men­te Kri­tik die­ser Hypo­the­se fehlt weit­ge­hend, auch bedingt durch die Abwe­sen­heit ent­spre­chend argu­men­tie­ren­der Sozi­al- und Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler. Das min­dert den Wert des Buches als Dia­log­an­ge­bot hin­sicht­lich sei­nes Unter­ti­tels „Per­spek­ti­ven inter­dis­zi­pli­nä­rer Forschung“.

Dass im Band an vie­len Stel­len Haber­mas’ Posi­ti­on dis­ku­tiert wird, schon weil die­ser den Begriff der post­sä­ku­la­ren Gesell­schaft in sei­ner berühm­ten Frie­dens­preis­re­de 2001 ein­führ­te, liegt in der Natur der Sache. Man kann dies durch­aus ein Unter­the­ma des Ban­des nen­nen, das Klaus Tho­m­al­la gegen Ende sei­nes Bei­tra­ges auf den Punkt bringt: Haber­mas’ „blin­der Fleck“ sei des­sen Wei­ge­rung, die reli­giö­se Innen­sicht phi­lo­so­phisch zu akzep­tie­ren. Haber­mas sehe eine umfas­sen­de Welt­aus­le­gung als Rück­fall in die Meta­phy­sik (S. 131).

Kein Hauch von Humanismus

Eine der The­sen des For­schungs­ver­bun­des – die der „Leit­kul­tur“ – hat­te ein Autor im hpd im Vor­feld der Tagung eher lau­nig per­si­fliert und es gibt einen Tagungs­be­richt des Rezen­sen­ten vom Febru­ar 2007 auf hpd. Die dor­ti­gen Aus­sa­gen kön­nen nun veri­fi­ziert werden.

Es wäre zu schön gewe­sen, nun die­se Rezen­si­on zu nut­zen, um auf Pas­sa­gen in Arti­keln hin­zu­wei­sen, in denen über Huma­nis­mus reflek­tiert wird. Es gibt kei­ne, selbst der Begriff ist tabu, was wie­der­um auf das kul­tur­his­to­ri­sche Bild der meis­ten Autoren ver­weist, von dem aus sie über Reli­gi­on und Dia­lek­tik der Säku­la­ri­sie­rung verhandeln.

Säku­la­ri­sie­rung hat in der meis­ten Refe­ren­ten Sicht eigent­lich kei­ne Sub­jek­te, die sie machen. Es voll­zieht sich etwas geis­ti­ges, wie von selbst. So kommt die vor­ge­stell­te Kul­tur und ihre Geschich­te auch weit­ge­hend ohne Gegen­bil­der aus. Auch Athe­is­mus kommt nicht vor, weder als Geis­tes­strö­mung und schon gar nicht als sozia­les Fak­tum – nicht ein­mal als etwas, was Säku­la­ri­sie­rer (oder die „Dia­lek­tik der Auf­klä­rung“) inner­lich ange­trie­ben oder wenigs­tens berührt haben könn­te. Aller­dings wird Lai­zis­mus etwas ver­han­delt, wenn auch vor­wie­gend als eine über­trei­ben­de Erscheinung.

Doch – ein­mal ver­weist Hei­ner Roetz auf „huma­nis­tisch“ mit Bezug auf die fal­sche Anwen­dung die­ses Adjek­tivs bei Ange­li­ka Krebs’ und ihren anti-ega­li­tä­ren sozi­al­po­li­ti­schen Ideen (S. 193).

Bleibt zu fra­gen, wie­so der Bei­trag von Juli­an Nida-Rüme­lin, den er auf der Tagung gehal­ten hat, nicht im Band zu fin­den ist. Er wird schmerz­lich vermisst.

Islam und Menschenrechte

Als Annä­he­rung an die neu­en stra­te­gisch-kul­tu­rel­len Welt­ver­hält­nis­se (nach Slo­ter­di­jk) sind die (wenn auch stark christ­lich inspi­rier­ten) Tex­te über Ost­eu­ro­pa, beson­ders aber (im Her­an­ge­hen kei­nes­wegs betont christ­lich) die über den Islam zu lesen, v.a. der von Chris­ti­ne Schirr­ma­cher.

Sie durch­bricht end­lich ein­mal die übli­che Ent­ge­gen­set­zung von Islam und Men­schen­rechts­dis­kurs, indem sie umfäng­lich und fun­diert inner­a­ra­bi­sche Dis­kur­se und poli­ti­sche Erklä­run­gen vor­stellt und mit theo­lo­gi­schen Debat­ten inner­halb des Islam – beson­ders über die Scha­ria – in Bezie­hung setzt. Ten­den­zen einer Säku­la­ri­sie­rung die­ses Rau­mes und sei­ner Kul­tur sieht die Autorin durchaus.

Alex­an­der Flo­res spitzt die­se Aus­sa­gen zu, in dem er direk­ter als jeder sons­ti­ge Autor im Buch, poli­tisch argu­men­tiert, den Dia­log ein­for­dert und hofft, dass der gute Wil­le vie­ler Mus­li­me mehr respek­tiert wird. Er schließt (und damit der Sam­mel­band): „Begin­nen soll­te man viel­leicht mit dem Ver­zicht auf pau­schal anti­is­la­mi­sche Anwür­fe und mit der Ein­sicht, dass Seg­nun­gen der Moder­ne, die auf ame­ri­ka­ni­schen Pan­zern ein­her­kom­men, kei­ne sind.“ (S. 422)

Post­sä­ku­la­re Gesell­schaft. Per­spek­ti­ven inter­dis­zi­pli­nä­rer For­schung. Hrsg. von Wal­ter Schweid­ler. Freiburg/München: Ver­lag Karl Alber 2007, 437 S., ISBN 978–3‑495–48287‑2, 39.- €