Anmerkungen zum Thema einer Konferenz
Im Tagungsbericht der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg über die von ihr gemeinsam mit dem August-Bebel-Institut am 28. Mai 2021 veranstaltete Online-Konferenz „100 Jahre weltliche Schule – Demokratiepädagogik damals und heute“ steht völlig richtig geschrieben, dass ich in meinem Referat, das nun auch auf meiner Homepage dokumentiert ist, und in der anschließenden Debatte eingeschätzt habe, dass die demokratiepädagogische Relevanz der weltlichen Schulen sehr gering gewesen sei. „Die Schulen hätten sich abgesehen von einem staatlichen Moralunterricht nicht von anderen Schulen unterschieden, wobei er hier die Lebensgemeinschaftsschulen terminologisch ausschloss.“
Ihren politischen und pädagogischen Akteuren „sei es primär um einen gemeinsamen Ethikunterricht und Religionsersatz gegangen, weniger um Demokratieförderung. Bei der Entfernung des Religionsunterrichtes sei es auch nicht um einen Pluralismus der Anschauungen gegangen, sondern um verbindlich Säkulares. Die Herkunft des heute in Berlin und Brandenburg erteilten fakultativen, weltanschaulichen Unterrichtsfachs ‘Humanistische Lebenskunde’ liege demnach eher im nichtstaatlichen Unterricht der freireligiösen Gemeinden. Zu guter Letzt stellt Groschopp auch noch heraus, dass im Umfeld der weltlichen Schulen so gut wie gar keine Rede von Humanismus war; pointiert erklärend, das damals vorherrschende, eher bürgerlich-konservative Verständnis von Humanismus sei wenig kompatibel gewesen mit einer aus Sicht von KPD und SPD notwendigen Erziehung zum Klassenkampf.“
Ergänzend ist hier zunächst hinzufügen, dass erstens „Lebens- und Religionskunde“ ein „Kann-Fach“ für „Sammelschulen“ und „Sammelklassen“ war, ein Ersatzfach für Religion, dass auf Elternwunsch und wenn örtliche Bedingungen dies gestatteten, in Preußen unterrichtet werden konnte ab 1922. Entscheidender ist aber zweitens, dass laut Weimarer Reichsverfassung „Staatsbürgerkunde“ als ein neues Pflichtfach (neben Arbeitslehre) in allen Schulen einzuführen war, auch in den „weltlichen“. Inwiefern hier „Demokratiepädagogik“ unterrichtet wurde, dazu fehlen (mir) bislang die Studien.
Unabhängig davon ist festzuhalten, dass in den zugänglichen Quellen über die Schulrealität in der Weimarer Republik von „Demokratiepädagogik“ keine Rede ist. Die Ursachen dafür lagen zum einen in der konservativen Sozialisation der deutschen Schulreformer in der Kultur der Kaiserzeit als auch in ihren als negativ interpretierten Erfahrungen in den nachrevolutionären Geschichtsverläufen begründet. Selbst die Idealgestalt der Jugendbewegung, Gustav Wyneken (1875–1964), der Held auf dem „Hohen Meißner“, diskreditierte sich in ihren Augen als Berater von Adolph Hoffmann im Revolutionsherbst 1918, wollte er doch auf Religionsunterricht gänzlich verzichten.
Zwar inspirierte Wyneken die weltliche Schulbewegung durch sein Konzept der Freien Schulgemeinde,[1] mit dem Experiment der Internatsschule in Wickersdorf bei Saalfeld. 1906 gegründet, überstand der Versuch vier politische Systeme, bis sie 1991 geschlossen wurde. Doch wie immer man heute man heute Wynekens Verurteilung 1921 wegen Kindesmissbrauch beurteilen mag – der Makel blieb an ihm und seinem Konzept hängen.[2]
John Dewey (1859–1952) lebte in den USA und sein Konzept der „Demokratiebildung“ entstand in der amerikanischen Gesellschaft. Seine Schrift „Demokratie und Erziehung“ erschien erstmals 1930 in Breslau. In der Weimarer Zeit kann er als hierzulande unbekannt gelten. Erste Berichte über ihn in Deutschland erscheinen 1949, da waren Versuche der amerikanischen Besatzungsmacht, seine Ideen in ihrer Zone zu befördern, schon gescheitert. Eine größere Rezeption seiner „Demokratie als Lebensform“ beginnt erst im 21. Jahrhundert, zweifellos im Zusammenhang mit dem Aufstreben antidemokratischer Kräfte und mit den Aktivitäten der „Deutschen Desellschaft für Demokratiepädagogik“ nach 2005.
Für die „Humanistische Akademie Berlin“ ist das Thema nicht neu. Sie veranstaltete 2009 eine Konferenz und ich habe einen Protokollband unter dem Titel „Humanismus und junge Generation“ herausgegeben. Einer der Referenten, Helmut Richter, ein Vereinspädagoge, fragte: „Wo wird Mensch Demokrat?“ Es sei „heutzutage angesagt, von Partizipation zu sprechen, wenn es recht eigentlich um Demokratie geht.“ Dadurch werde die „Differenz zwischen Partizipation und Demokratie, zwischen Beteiligungs- und Entscheidungsrechten, nivelliert und dadurch der Eindruck erweckt, Beteiligungsrechte seien schon Entscheidungsrechte“.[3]
Weil eine Gleichheit der Handelnden in der Schule schwer bis gar nicht herstellbar ist, folgt für mich aus diesem Urteil: Es sollte beim Thema „Demokratiepädagogik“ mindestens Vorsicht gelten.
Ganz andere Maßstäbe wären an einen Humanismusunterricht anzulegen, der sich der Demokratieproblematik annimmt. Denn wer sich dem Thema Humanismusunterricht ernsthaft hinsichtlich seiner Ziele und Methoden widmet, kann der provokativen Frage nicht ausweichen, inwiefern in dessen Ideen von Humanismus auf Demokratie überhaupt ein Schwerpunkt liegen soll. Zu den Grundbegriffen des Humanismus rechnet sie nicht.[4]
Nimmt man „humanitas“, von wo Humanismus und Humanität letztlich herkommen, wörtlich, führt dies zum Kern einer Vorstellung, die in einer humanistischen Demokratiepädagogik umzusetzen wäre – „barmherzige Demokratie“. Das ginge mindestens in Richtung „soziale Demokratie“. Doch was wiederum heißt „praktischer Humanismus“ im Schulalltag?
- Vgl. Gustav Wyneken: Schule und Jugendkultur. Jena 1913. – Ders.: Der Gedankenkreis der Freien Schulgemeinde. Dem Wandervogel gewidmet. Leipzig 1914 (unveränderter Nachdruck Jena 1919). ↑
- Vgl. Peter Dudek: „Körpermissbrauch und Seelenschändung“. Der Prozess gegen den Reformpädagogen Gustav Wyneken 1921. Bad Heilbrunn 2020. ↑
- Helmut Richter: „Vereinspädagogik“. Über demokratische Beteiligung von Jugendlichen in ihren Verbänden und Einrichtungen. In: Horst Groschopp (Hrsg): Humanismus und junge Generation. Aschaffenburg 2010, S.136–152, hier S. 136 f. ↑
- Vgl. Humanismus: Grundbegriffe. Hrsg. von Hubert Cancik, Horst Groschopp und Frieder Otto Wolf: Berlin/Boston 2016. ↑