Klassenkampf

Gespräch mit Jörg Lau.

In: Der All­tag, Die Sen­sa­tio­nen des Gewöhn­li­chen, Ber­lin 1997, H. 76, S.109–127.

Herr Groschopp, es wird wieder offen vom Kapitalismus geredet, wo man früher peinlich darauf achtete, von Marktwirtschaft zu sprechen. Mit einer gewissen Genugtuung nennen die Verteidiger des Bestehenden nun endlich wieder die Sache beim Namen. Muß, wer vom Kapitalismus redet, aber nicht auch vom Klassenkampf sprechen?

Kapi­ta­lis­mus ist nach der klas­si­schen Marx­schen Leh­re ein Gesell­schafts­sys­tem, das auf dem Gegen­satz von Kapi­tal und Arbeit beruht. Damit hat Marx gesetzt, daß es so etwas gebe wie Klas­sen­kampf. Marx hat sich Zeit sei­nes Lebens bemüht, Klas­sen zu bestim­men, ist damit aber nie zum Ende gekom­men. Im 52. Kapi­tel des drit­ten Ban­des des „Kapi­tal“ geht es um die Klas­sen. Bezeich­nen­der­wei­se ist das ein unvoll­ende­tes Kapi­tel, das auch Engels nicht kom­plet­tie­ren konnte.

Inter­es­sant ist, daß Marx mit gro­ßer Selbst­ver­ständ­lich­keit drei Klas­sen aus­macht, Kapi­ta­lis­ten, Grund­ei­gen­tü­mer und Lohn­ar­bei­ter. Marx meint, daß die­se Klas­sen durch die Revenue­for­men gebil­det wer­den: die einen bekom­men Pro­fit, die ande­ren Ren­te, die letz­ten Lohn. Und wor­auf er ziel­te war, daß die­se Revenue­for­men es offen las­sen und zugleich nahe­le­gen, daß man um ihre jewei­li­ge Höhe strei­ten kann. Damit ist das Pro­blem des Klas­sen­kamp­fes in der Theo­rie gesetzt. Dar­aus aber jetzt zu fol­gern, daß sich da mono­li­thi­sche Blö­cke gegen­über­ste­hen, wäre falsch, wie die his­to­ri­sche Ent­wick­lung des Kapi­ta­lis­mus immer wie­der gezeigt hat.

Weder auf der Sei­te der Kapi­tal­eig­ner noch auf der Sei­te der Lohn­ar­bei­ter hat die­se Struk­tur selbst­tä­tig zu einer Bil­dung geschlos­se­ner Fron­ten geführt. Weder die Besit­zer von Arbeit noch die Nicht­be­sit­zer von Arbeit haben zu einer gül­ti­gen Orga­ni­sa­ti­ons­form ihrer Inter­es­sen gefun­den. (Neben­bei: Die „Arbeit­neh­mer“ sind eigent­lich die Kapitaleigner.)

Wor­auf soll­te sich der Ein­heits­ver­ein bei den Nicht­be­sit­zern auch grün­den? Das Pro­blem war ja alle­zeit, daß das Pro­le­ta­ri­at in sich immer schon so dif­fe­ren­ziert war, daß die Klas­sen­kampf­theo­rie mit ihrem idea­li­schen Klas­sen­be­griff es nie recht zu fas­sen bekam. Die­sem idea­li­schen Klas­sen­be­griff kam es dar­auf an, ein han­deln­des Sub­jekt zu defi­nie­ren. Marx hat betont, daß es der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den betrof­fe­nen Indi­vi­du­en bedarf, um eine Klas­se zu bil­den. Erst in den letz­ten Jahr­zehn­ten hat man sich wis­sen­schaft­lich bemüht, die kul­tu­rel­len Ele­men­te, die zur Grup­pen­bil­dung im Pro­le­ta­ri­at erfor­der­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on, dif­fe­ren­zier­ter zu beschrei­ben, so daß es immer schwie­ri­ger gewor­den ist, von „der“ Arbei­ter­klas­se zu reden.

Viel­leicht ist es noch wich­tig, dar­auf hin­zu­wei­sen, daß der Klas­sen­be­griff, wie er in der DDR gül­tig war, von Lenin stammt. Nach Lenins Begriff ist der Besitz an Pro­duk­ti­ons­mit­teln das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um der Zuge­hö­rig­keit bezie­hungs­wei­se Nicht­zu­ge­hö­rig­keit zur Arbei­ter­klas­se. Die Bol­sche­wi­ki stütz­ten sich auf die­se eng­ge­faß­te Theo­rie der Arbei­ter­klas­se, obwohl es in Ruß­land damals nur ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge sol­che ech­ten Arbei­ter gab. Jeder klei­ne Krä­mer fiel nach die­ser Theo­rie schon in die Klas­se der Bourgeoisie.
Mir fiel das ein­mal auf bei einem Lenin­schen Befehl, der bei Befes­ti­gungs­ar­bei­ten gegen die her­an­stür­men­den Deut­schen „die Bour­geoi­sie Peters­burgs zu Schanz­ar­bei­ten“ abkom­man­dier­te. Damit waren nicht die sprich­wört­li­chen Her­ren mit Zylin­der und Zigar­re gemeint, son­dern alle, die irgend­wel­che Pro­duk­ti­ons­mit­tel besa­ßen. Auch die DDR hat­te mit dem Klas­sen­be­griff als Unter­schei­dungs­be­griff zu kämp­fen. Man woll­te immer genau fest­le­gen, wer zur Arbei­ter­klas­se und wer zur Bau­ern­schaft gehör­te. Das war für die DDR noch dann wich­tig, wenn es um die Zulas­sung zum Stu­di­um ging.

Da gab es klassenmäßige Quoten?

Es gab neun Kate­go­rien, und es war beson­ders wich­tig, daß die Kate­go­rien Eins und Acht über fünf­zig Pro­zent erge­ben muß­ten. In Acht waren wirk­li­che Arbei­ter, ich etwa gehör­te als Arbei­ter­kind in die­se Kate­go­rie. Die Ein­ser wur­den auch zur Arbei­ter­klas­se gerech­net, das waren die Kin­der von Funk­tio­nä­ren. So war der Klas­sen­be­griff eine sozi­al­tech­ni­sche Unter­tei­lungs­ka­te­go­rie, wäh­rend es lan­ge nur ganz weni­ge kul­tur­so­zio­lo­gi­sche Stu­di­en über die All­tags­wirk­lich­keit des Pro­le­ta­ri­ats gab.

Schon Mit­tei­lun­gen wie die von Lothar Küh­ne, Phi­lo­soph in der Sek­ti­on Mar­xis­mus / Leni­nis­mus, führ­ten da an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu erreg­ten Debat­ten. Küh­ne sag­te ers­tens, in der DDR wol­len alle zur Arbei­ter­klas­se gehö­ren, aber kei­ner will die dazu­ge­hö­ri­ge Arbeit machen. Zwei­tens sag­te er, die Arbei­ter­klas­se geht kei­ne sexu­el­len Bezie­hun­gen ein. Das ver­streu­te er so in sei­nen Vorlesungen.

Was meinte er damit?

Na ja, die Klas­se ist doch eine theo­re­ti­sche Kon­struk­ti­on, die als sol­che nicht Bezie­hun­gen ein­ge­hen kann. Sie ist kein Sub­jekt, das liebt. Das waren so Ver­frem­dun­gen des offi­zi­el­len Klas­sen­be­griffs, die ver­blüff­ten. Als wir dann als Kul­tur­wis­sen­schaft­ler anfin­gen, die Kul­tur­ge­schich­te des Pro­le­ta­ri­ats zu erfor­schen, waren wir einer­seits gut dran, denn wir konn­ten uns auf sei­ne füh­ren­de Rol­le beru­fen, ande­rer­seits hat­te man auf uns ein wach­sa­mes Auge, weil wir ja viel­leicht her­aus­be­kom­men konn­ten, wie die Arbei­ter wirk­lich leb­ten und wie dif­fe­ren­ziert das Pro­le­ta­ri­at tat­säch­lich war im Hei­rats­ver­hal­ten, im Orga­ni­sa­ti­ons­ver­hal­ten, in sei­nen reli­giö­sen Ansichten.

Gab es in der DDR Klassenkampf?

Ja, aber die Ant­wort bedarf einer Fuß­no­te. Das Pla­zet setzt vor­aus, daß ich Klas­sen als sozi­al struk­tu­rier­te Inter­es­sen­ge­mein­schaf­ten defi­nie­re. Die sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft war nun aber ange­tre­ten als eine, die die Klas­sen auf­hebt. Ich erin­ne­re mich noch, als Ulb­richt von Hon­ecker abge­löst wur­de, und der dann von der Arbei­ter­klas­se sprach und von der Klas­sen­ge­sell­schaft, von der die DDR noch Rudi­men­te auf­wei­se. Das hat eine lan­ge Debat­te ausgelöst.

Man ging nie so weit zu sagen, daß es Klas­sen­ge­gen­sät­ze in der DDR gebe, aber Ulb­richts har­mo­ni­sches Bild von der Über­ein­stim­mung in der Gesell­schaft war damit erle­digt. Die­se Kon­flik­te sind durch die Struk­tu­ren der DDR in einer selt­sa­men Form zuta­ge getre­ten, viel­leicht auch des­halb, weil durch mehr Geld ja nie­mand dazu zu bewe­gen war, mehr zu arbei­ten. Da konn­te es dann vor­kom­men, daß Werks­di­rek­to­ren, wenn es etwa galt, einen wich­ti­gen Export­auf­trag noch schnell zu erfül­len, sound­so­viel Kilo Ebers­wal­der Wurst for­dern konn­ten. In die­sem Tausch­ge­schäft ver­trat der Fabrik- oder Kom­bi­nats­di­rek­tor also die Inter­es­sen sei­ner Arbei­ter­schaft gegen höhe­re Instanzen.

Der „Klas­sen­kampf“ muß­te dann oft durch vie­le hun­dert Sit­zungs­stun­den durch­ge­foch­ten wer­den, bis die Leu­te zu ihrer Wurst kamen. Die Inter­es­sen ver­steck­ten sich hin­ter Losun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen von Beschlüs­sen und Lenins Werken.

Die­se alten Kon­stel­la­tio­nen „brem­sen“ im Osten die Erkennt­nis neu­er Bezie­hun­gen, von mir aus die Aus­bil­dung eines ele­men­ta­ren „Klas­sen­ge­fühls“. Die Figur vom letzt­lich gut­wil­li­gen Chef als einem Teil der Mann­schaft, fast einem von uns, der an den Gewerk­schafts­ver­samm­lun­gen teil­nimmt, wirkt fort, doch wird man den neu­en Boß wohl kaum wie den frü­he­ren Direk­tor vom Werk­zeug­ma­schi­nen­werk „7. Okto­ber“ als Nach­barn im Klein­gar­ten fin­den und haben wollen.

Ich stelle mir als Außenbeobachter vor, daß der Begriff des Klassenkampfes für die DDR einige Tücken hatte: Er spielt in der Ideologie der DDR-Gesellschaft eine große Rolle. Die Welt außerhalb der DDR wird mittels dieses Begriffs erklärt. Wie kann man dann aber verhindern, daß der nämliche Begriff auf die Konflikte im Innern der eigenen Gesellschaft angewandt wird?

Die­ses Pro­blem wur­de durch ein Bild vom Fort­schritt gelöst. Es gibt eine his­to­ri­sche Mis­si­on der Arbei­ter­klas­se. Durch ärger­li­che his­to­ri­sche Zufäl­le ist kei­ne Welt­re­vo­lu­ti­on dar­aus gewor­den. Wir gehen aber der Welt vor­an. Wir sind ent­spre­chend der his­to­ri­schen Mis­si­on mit der Auf­ga­be kon­fron­tiert, die Klas­sen in unse­rer Gesell­schaft auf­zu­he­ben, gleich­zei­tig jedoch fällt uns die Rol­le zu, man­gels Welt­re­vo­lu­ti­on die Arbei­ter­inter­es­sen welt­weit hoch­zu­hal­ten. So hat man das nach innen dargestellt.

Nach innen gerich­tet hat­te die­se Kon­struk­ti­on eine enor­me kul­tu­rel­le Fol­ge, die Gün­ter Gaus die „Repu­blik der klei­nen Leu­te“ genannt hat. Man muß sehen, daß Arbei­ter sich in der DDR ja auch wirk­lich Rech­te erobert hat­ten, die jetzt erst wie­der durch ihren Weg­fall in einer Wirt­schafts­ord­nung, die Heu­ern und Feu­ern erlaubt, schmerz­lich spür­bar werden.

Man sprach in der DDR auch immer vom Klas­sen­ge­gen­satz von Sozia­lis­mus und Kapi­ta­lis­mus. Das war eine Leer­for­mel, denn eigent­lich geht es ja beim Klas­sen­kampf um den Kon­flikt von Lohn­ar­bei­tern und Bour­geoi­sie oder von Bour­geoi­sie und Adel. Bei die­sem ande­ren Ver­ständ­nis von sys­tem­über­grei­fen­dem Klas­sen­kampf nahm man also an, daß die Arbei­ter, die im Sozia­lis­mus schon an der Macht sind, die Inter­es­sen der unter­drück­ten Arbei­ter im ande­ren Sys­tem gleich mit ver­tre­ten. Im Gegen­zug hat­ten die Arbei­ter im Wes­ten den rea­len Sozia­lis­mus nicht madig zu machen. Das mach­te die DKP zu einem Klub von Cla­queu­ren. Daß man die RAF-Leu­te auf­ge­nom­men hat, hängt direkt damit zusammen.

Die­se Stra­te­gie hat zu eigen­ar­ti­gen Wider­sprü­chen geführt. Man war einer­seits dafür, den Klas­sen­kampf in der Bun­des­re­pu­blik anzu­fa­chen, zugleich gab es aber sehr enge öko­no­mi­sche Bezie­hun­gen mit und gar Abhän­gig­kei­ten von dem befein­de­ten Sys­tem. Man hat dann ver­sucht, sich theo­re­tisch aus der Affä­re zu zie­hen, indem man die soge­nann­te fried­li­che Koexis­tenz als eine beson­de­re Form des Klas­sen­kamp­fes darstellte.

Als dann Gor­bat­schow die­se Theo­rie zer­stör­te, indem er klar­stell­te, daß es sich auch hier­bei nicht um Klas­sen­kampf han­del­te, ent­stand eine gro­ße Begrün­dungs­not: Wer sind wir dann eigent­lich noch? Mit der Abkehr von der Klas­sen­kampf­theo­rie bra­chen die Grund­weis­hei­ten weg. Die alten Kämp­fer hat­ten des­we­gen schon län­ger Schwie­rig­kei­ten mit Hon­ecker, so daß der sein eige­nes altes Kämp­fer­tum her­aus­stel­len muß­te, um sich und sei­ne Poli­tik der Koexis­tenz zu legitimieren.

Die alten Kämpfer wollten eine offen kämpferische Linie?

Ja, wie auch immer die dann aus­ge­se­hen hät­te. Aber Hon­ecker ist ja ande­rer­seits auch nicht viel wei­ter gekom­men als zu den Weis­hei­ten, die er Ende der 20er Jah­re auf der Kom­so­mol-Schu­le gelernt hat­te. „Den Sozia­lis­mus in sei­nem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“ – ich glau­be, er wuß­te viel­leicht nicht ein­mal, daß dies Bekennt­nis zum Fort­schritts­glau­ben aus­ge­rech­net aus der alten Sozi­al­de­mo­kra­tie stammt.

Im Inneren der DDR-Gesellschaft mußte aus der Klassenkampftheorie die Forderung einer möglichst weiten Eingemeindung der Bevölkerung in die Arbeiterklasse folgen.

Ja. Und das nicht nur im Sin­ne einer Defi­ni­ti­on oder Umde­fi­ni­ti­on, son­dern ganz prak­tisch, gera­de unter Hon­ne­cker. Da setz­ten ver­stärk­te Ver­staat­li­chun­gen ehe­mals pri­va­ter Betrie­be ein. Es begann eine neue Etap­pe in der Pro­le­ta­ri­sie­rung der Landarbeiter…

… durch die Industrialisierung der Landwirtschaft?

Ja, aber auch durch eine bewuß­te Berufs­po­li­tik. Auf dem Land ent­stan­den pro­le­ta­ri­sche Beru­fe, die man ler­nen konn­te. Man hat dann etwa den Mel­ker erfun­den. Der arbei­tet schicht­mä­ßig sei­ne Stun­den ab, egal ob die Kuh nun gera­de gemol­ken wer­den muß oder nicht. Sie brau­chen also, wo vor­her ein Bau­er gemol­ken hat, plötz­lich vier Mel­ker: einen für die Früh‑, einen für die Mittag‑, einen für die Nacht­schicht und einen Sprin­ger für den Fall, daß einer krank wird. Und einer von denen wird noch zum Gewerk­schafts­funk­tio­när gewählt und steht dann über dem Bauern.

Es setz­te also tat­säch­lich, nach einem bestimm­ten Kul­tur­bild der Par­tei, die Pro­duk­ti­on von Arbei­ter­aris­to­kra­tie ein. Es gab schließ­lich prak­tisch fast kei­ne Hilfs­ar­bei­ter mehr. Man konn­te jetzt etwa „Fach­ar­bei­ter für nicht­al­ko­ho­li­sche Geträn­ke“ wer­den und muß­te dazu eine Aus­bil­dung absol­vie­ren – und Umschu­lung war, im Gegen­satz zu heu­te, ein Schritt im sozia­len Aufstieg.

Es war also nicht nur so eine The­se, daß alle zu Arbei­tern wer­den und damit die Kate­go­rie der Klas­se auf­he­ben, son­dern das wur­de als sozi­al­po­li­ti­sches Pro­gramm durch­ge­setzt, bis in die Kunst und Lite­ra­tur hin­ein, wo man Schrift­stel­ler als eine Art Fach­ar­bei­ter der See­le betrach­te­te. Dar­aus erklärt sich das gro­ße Erschre­cken, als aus­ge­rech­net der alte Kämp­fer Ste­phan Herm­lin erklär­te, er sei ein „bür­ger­li­cher Schrift­stel­ler“. Man muß­te dann eilig erklä­ren, daß er das nicht ideo­lo­gisch, son­dern sozio­lo­gisch, als Her­kunfts­be­zeich­nung gemeint hat­te. Er hat­te es aller­dings, um die offi­zi­el­le Kunst­ideo­lo­gie zu irri­tie­ren, genau auf die Dop­pel­deu­tig­keit die­ses Begriffs der Bür­ger­lich­keit angelegt.

In der DDR wurde der Klassenkampf auf ein geschichtsphilosophisches Schema von Vorhut und Nachhut hin auslegt: in unserer fortgeschrittenen Gesellschaft haben sich diese Konflikte so gut wie erledigt, während bei den Rückständigen nebenan die Entzweiung zum Prinzip gehört. Im Alltag des DDR-Bürgers muß diese Beschreibung aber doch immer wieder mit den Erfahrungen von Verteilungskämpfen um Ressourcen und Aufstiegschancen kollidiert sein?

Zunächst mal muß man sehen, daß die DDR die in den zwan­zi­ger Jah­ren gewach­se­nen Vor­stel­lun­gen vom Klas­sen­kampf in zahl­rei­che gesell­schaft­li­che Insti­tu­tio­nen, in soge­nann­te Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen umge­setzt hat. Irgend­wo war jeder Mit­glied. Die Par­tei, die sich als Kampf­par­tei ver­stand, hat zudem den Begriff vom Kampf über­all ver­brei­tet: der Plan hieß Kampf­pro­gramm, aller­orts gab es Kampf­grup­pen und so weiter.

Daß nun aber aus den frus­trie­ren­den Erfah­run­gen im All­tag der DDR-Bür­ger das Bewußt­sein hät­te ent­ste­hen kön­nen, daß man sich in einem Klas­sen­kampf befin­det, dafür fehl­te nach der Marx­schen Leh­re die wich­tigs­te Vor­aus­set­zung – eine Kom­mu­ni­ka­ti­on der betrof­fe­nen Indi­vi­du­en über ihre wirk­li­chen Erfah­run­gen und nicht dar­über, was ihre Erfah­run­gen eigent­lich sein sollten.

Das hat­te eine dop­pel­te Wir­kung: Das offi­zi­el­le Lern­pro­gramm stieß zwar auf Skep­sis, gera­de bei Arbei­tern. Es ver­hin­der­te aber die Bil­dung von so etwas wie ent­wi­ckel­tes Klas­sen­be­wußt­sein von Arbei­tern unter sozia­lis­ti­schen Bedin­gun­gen. Wie sonst kann man sich als jemand, der von Chan­cen aus­ge­schlos­sen wird, klar­ma­chen, daß es sich nicht bloß um dum­me Zufäl­le oder eige­nes Ver­schul­den han­delt? So hin­ter­trie­ben die über­all ein­grei­fen­den Insti­tu­tio­nen, die alle per­so­na­le Kom­mu­ni­ka­ti­on sehr erfolg­reich unter Auf­sicht von jeman­den stell­ten, daß gemein­sa­me Inter­es­sen den Leu­ten bewußt wer­den konn­ten. Fata­ler­wei­se blieb nur der Staat als Adres­sat der Kla­gen und Wün­sche übrig – mit dem bekann­ten Ergeb­nis 1989.

Gese­hen wer­den soll­te aller­dings auch, daß die Frus­trier­ten und Unter­drück­ten bis 1961 mas­sen­haft abge­wan­dert sind. Das oppo­si­tio­nel­le Poten­ti­al, das sich spä­ter in den Kir­chen sam­mel­te, blieb in einer säku­la­ri­sier­ten Gesell­schaft mar­gi­na­li­siert. Es war unmög­lich, die oppo­si­tio­nel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on in der DDR auf Dau­er zu stel­len und in Insti­tu­tio­nen zu orga­ni­sie­ren. Wenn man es schaff­te, im Wes­ten zu publi­zie­ren, bekam man zwar Auf­merk­sam­keit, aber man war man im eige­nen Laden iso­liert und wur­de schlimms­ten­falls sogar poli­tisch verfolgt.

Es ist aber auch zu fra­gen, was denn die Leu­te hät­te bewe­gen sol­len, sich zu orga­ni­sie­ren. Es gab ja die sozia­le Sicher­heit des vor­mund­schaft­li­chen Staa­tes. Und daß man die nicht einer­seits kom­plett erhal­ten und dann noch ande­rer­seits um Rei­se­frei­heit und end­lo­se Kon­sum­mög­lich­kei­ten ein­fach ergän­zen kann, hat sich ja unter­des­sen gezeigt.

Im Westen der Republik hat es in der letzten Zeit große Demonstrationen und Protestaktionen von Stahlarbeitern und Bauarbeitern gegeben. Sind das ferne Echos eines vergangenen Klassenkampfes oder neue Klassenkämpfe? Sind das Nachhut- oder Vorhutgefechte? Oder ist diese Metaphorik von Avantgarde und Arrieregarde nur irreführend?

Die Arbei­ter­be­we­gung hat immer das Bild hoch­ge­hal­ten, daß die Arbei­ter­klas­se in den gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen den Fort­schritt ver­tritt. Dabei sind die wirk­li­chen Kämp­fe von den Pro­le­ta­ri­ern aber als Ver­tei­di­gungs­kämp­fe geführt wor­den. Zunächst ging es gegen Lohn­kür­zung, schon im frü­hen neun­zehn­ten Jahrhundert.

Daß man Lohn­for­de­run­gen stell­te, war eine spä­te Ent­wick­lung, und man wird noch unter­su­chen müs­sen, ob die Vor­aus­set­zung dafür nicht die Exis­tenz zwei­er kon­kur­rie­ren­der Sys­te­me war. Das eine die­ser Sys­te­me stell­te sich als Sys­tem der Arbei­ter­herr­schaft dar, und da konn­te die ande­re Sei­te nicht als Appa­rat zur Ver­fol­gung purer Kapi­tal­in­ter­es­sen gel­ten wol­len. Nun ist die­ser über­wöl­ben­de Gegen­satz weg, und es gibt kei­ne poli­ti­sche Kraft, die sich der Arti­ku­la­ti­on der Inter­es­sen der­je­ni­gen ver­schrei­ben könn­te, die von den Struk­tur­ver­än­de­run­gen betrof­fen sind.

Die PDS ist ein schwa­cher Laden, der mit sei­ner Ver­gan­gen­heit beschäf­tigt ist, die SPD ist hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen radi­ka­ler Moder­ni­sie­rung und Ver­tei­di­gung von Arbei­ter­inter­es­sen. Bei den jüngs­ten Demons­tra­tio­nen hat die SPD sich auf die Sei­te der Arbei­ter gestellt. Ich ver­mu­te aber, das hat den tie­fer­lie­gen­den Grund, daß die SPD-Reprä­sen­tan­ten auch die Minis­ter­prä­si­den­ten der betrof­fe­nen Län­der sind. Und die füh­ren da einen Ver­tei­lungs­kampf, auch gegen den Osten. Auch dies ist wie­der ein Ver­tei­di­gungs­kampf. Es spielt dabei kei­ne Vor­stel­lung mit, wie man denn die Struk­tur­ver­än­de­rung, die unwei­ger­lich kom­men wird, bewäl­ti­gen kann.

Man kann ja nicht ewig so viel Geld in die Pro­duk­ti­on von Koh­le inves­tie­ren, die nie­mand braucht. Es käme dar­auf an, Stra­te­gien zu ent­wick­len, um den Leu­ten aus die­ser über­flüs­si­gen Indus­trie hin­aus­zu­hel­fen, so daß sie nicht zur Ver­zweif­lung getrie­ben wer­den. Statt des­sen wird der Kon­flikt hin­aus­ge­scho­ben in eine Zeit, in der dann viel­leicht die Sozi­al­de­mo­kra­tie die Bun­des­re­gie­rung stel­len wird. Dann wird man sich viel­leicht noch gewal­tig ärgern.

Man konnte den Eindruck bekommen, daß sich bei den Sozialdemokraten sogar eine gewisse Erleichterung breitmachte, endlich mal wieder soziale Konflikte vorzufinden, die man scheinbar schon kennt.

Ja, und kämp­fe­ri­sche Reden zu hal­ten, die man immer schon mal hal­ten woll­te. Ich habe den Ein­druck, daß in Momen­ten der sozia­len Ruhe alle die Exis­tenz eines Klas­sen­kamp­fes leug­nen, und dann sind sie erstaunt, wenn er tat­säch­lich zuta­ge tritt, weil er nie­mals die Form annimmt, die man erwartet.

Als „Arbei­ter­be­we­gung“ zum ers­ten Mal als Stich­wort im Grimm­schen Wör­ter­buch defi­niert wur­de, ver­stand man dar­un­ter Arbei­ter­kra­wall. Und das drückt eigent­lich recht gut aus, wor­um es dabei geht. Die Ver­zweif­lung sucht Aus­druck in der Akti­on. Orga­ni­sa­tio­nen bemü­hen sich dann, etwas Ord­nung in die Empö­rung zu brin­gen und die Inter­es­sen zu arti­ku­lie­ren. Wie wer­den wohl die Wider­stands­ak­tio­nen der ost­deut­schen Jugend­li­chen aus­se­hen, wenn ein­mal zehn Jahr­gän­ge in Fol­ge ohne Arbeit geblie­ben sind? Das wis­sen wir nicht. Unwahr­schein­lich, daß die­se Jugend­li­chen dann auf die Idee kom­men, sich einer Gewerk­schaft anzu­schlie­ßen. Sie sind auf ihre Inter­es­sen allein zurück­ge­wor­fen und wer­den sie wohl eher als Hoo­li­gans ausdrücken.

Sind unsere Skinheads kulturelle Klassenkämpfer?

Die Sozi­al­wis­sen­schaft­ler der Bir­ming­ha­m­er Schu­le haben schon in den sieb­zi­ger Jah­ren in ihren Stu­di­en über Sub­kul­tu­ren die Unter­schie­de zwi­schen der sym­bo­li­schen Selbst­in­sze­nie­rung der Punks und der Skins her­aus­ge­ar­bei­tet. Es sind unter den Skins nicht bloß Arbeits­lo­se zu fin­den, son­dern häu­fig jun­ge berufs­tä­ti­ge Män­ner, die in ihrem Beruf Power machen. In ihrer Selbst­dar­stel­lung spielt es jeden­falls eine gro­ße Rol­le, daß man Arbeit als Wert ver­in­ner­licht hat und sich absetzt gegen die­je­ni­gen, die bloß faul her­um­sit­zen mit ihren grü­nen Haaren.

Die Geschich­te der Klas­sen­kämp­fe der zwan­zi­ger Jah­re ist in der Lite­ra­tur immer wie­der beschrie­ben wor­den als poli­ti­scher Kon­flikt zwi­schen den Par­tei­or­ga­ni­sa­tio­nen der Roten und den Brau­nen. Wenn Sie auf die All­tags­ebe­ne hin­un­ter­ge­hen, sind die Ver­wick­lun­gen viel kom­pli­zier­ter als das Sche­ma der Par­tei­en ahnen läßt.

Heinz Knob­loch hat vori­ges Jahr in sei­nem Buch „Der arme Epstein“ nach­ge­zeich­net, wie KPD und NSDAP an der Legen­de von Horst Wes­sel gestrickt haben. Sie fin­den in der Sze­ne, in der Horst Wes­sel auf­kam, ähn­li­che Pro­test­for­men wie heu­te unter Skinheads.

Ich beschrei­be in mei­nem neu­en Buch über die „Dis­si­den­ten“ – damit sind die Kon­fes­si­ons­frei­en und Frei­den­ker gemeint – wie 1906 der deut­sche Fabri­kant, Bud­dhist, Frei­geist und Dich­ter Arthur Pfungst den Begriff des Hoo­li­gans in Deutsch­land ein­führt. Sein Bei­spiel für den Begriff sind Vor­gän­ge wäh­rend der rus­si­schen Revo­lu­ti­on von 1905 – chu­li­gan, chu­li­ganst­wo bedeu­tet Row­dy bezie­hungs­wei­se Row­dy­tum. Pfungst beschreibt, wie die „Schwarz­hun­der­ter“ – nach ihrer Klei­dung so benannt – damals gegen das Juden­tum vor­gin­gen und Pogro­me orga­ni­sier­ten. Lenin mein­te dann übri­gens in sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit den „Schwarz­hun­der­tern“, man kön­ne eine sol­che Orga­ni­sa­ti­on brau­chen, wenn sie nur die Inter­es­sen der Arbei­ter ver­tre­ten würde.

Man kann hier auch an Leu­te wie den jun­gen Miel­ke den­ken, von dem wir nie wis­sen wer­den, ob er den poli­ti­schen Mord, den man ihm zur Last legt, wirk­lich began­gen hat. Die Zeit­um­stän­de legen das aller­dings nahe. Arthur Pfungst glaub­te nun, das Phä­no­men des Hoo­li­gans sei die Fol­ge der „Sün­den der Nicht­bil­dung“, der man­gel­haf­ten kul­tu­rel­len Schu­lung. Er woll­te durch Bil­dungs­ar­beit Ver­hält­nis­se wie in Ruß­land ver­hin­dern. Das ging zusam­men mit der Kul­tur­ar­beit sozi­al ori­en­tier­ter Pro­tes­tan­ten. Der Kul­tur­be­griff der Arbei­ter­be­we­gung ist sehr stark vom Kul­tur­pro­tes­tan­tis­mus des 19. Jahr­hun­derts geprägt wor­den. Wir zeh­ren bei den Kon­zep­ten von Sozio­kul­tur bis heu­te von die­sem Bildungsbegriff.

Klassenkampf und Fortschritt galten der Linken als natürliche Verbündete. Was wird aus dem Klassenkampf, wenn keiner mehr an den Fortschritt glaubt?

Ich weiß nicht, ob die Fort­schritts­skep­sis nicht bloß ein Intel­lek­tu­el­len­pro­blem ist. Ich will das mal für die DDR dar­stel­len. Es gab Zei­ten, da wur­de der Pri­vat­be­sitz von Auto­mo­bi­len als „bür­ger­li­che Rück­stän­dig­keit“ ver­teu­felt. Natür­lich kam die­se Mit­tei­lung damals von den­je­ni­gen, die schon Autos hat­ten und rich­te­te sich an die­je­ni­gen, die noch kei­ne besaßen.

So weit ich sehe, hat noch kei­ner eine Idee, wie man eine Mil­li­ar­de Chi­ne­sen dar­an hin­dern könn­te, auch Autos fah­ren zu wol­len. Ob das unter Anlei­tung einer pathe­ti­schen Fort­schritts­idee statt­fin­den wird, sei dahin­ge­stellt. Aber es ist noch nie­man­dem gelun­gen, die Bedürf­nis­se der Leu­te lan­ge zu beschnei­den. Wenn die Habe­nicht­se das schö­ne Leben ein­mal gese­hen haben, las­sen sie sich auf Dau­er nicht davon abbrin­gen, ihren Platz an der Son­ne zu ver­brei­tern. Außer­dem rea­li­siert sich der Mehr­wert nur, wenn sich das Pro­dukt, das ihn trans­por­tiert, auch ver­kauft. Ein schö­nes mobi­les Leben ohne Autos – bit­te, wem was ein­fällt, das dann die Mil­lio­nen Betrof­fe­nen zur Autoas­ke­se bekehrt, soll es vor­tra­gen und vor­le­ben, nach Dis­ney­land oder Tene­rif­fa wan­dern; der Appell wird sicher nicht genü­gen, schon gar nicht dem, der Pro­fit machen will.

Es gibt eine subkulturelle Szene, gerade hier in Berlin recht zahlreich, die von einer starken Sehnsucht nach dem Klassenkampf und seinen Parolen getrieben ist, die sogenannten Autonomen.

Das Bild vom Klas­sen­kampf, das dort gepflegt wird, hat mit den his­to­ri­schen Kämp­fen ziem­lich wenig zu tun. Dem­entspre­chend gibt es aus die­sen Krei­sen ja auch immer wie­der eine Kri­tik des real exis­tie­ren­den Arbei­ters als „ver­bür­ger­lich­ter“ Exis­tenz. Wir ken­nen die Ver­bür­ger­li­chungs­the­se schon von der 68er Bewe­gung, die ähn­li­che Pro­ble­me mit der Arbei­ter­schaft hat­te, für die sie eintrat.

An der The­se ist ja durch­aus etwas dran. Man muß nur eben­falls sehen, daß auf der ande­ren Sei­te immer mehr Leu­te pro­le­ta­ri­siert wer­den, indem sie Ver­hal­tens­wei­sen anneh­men, die frü­her für Arbei­ter typisch waren. – Aber viel­leicht leben die­se Grup­pen uns das „Recht auf Faul­heit“ vor, wie es einst Paul Lafar­gue, der frei­den­ke­ri­sche Schwie­ger­sohn von Karl Marx, for­der­te, wer weiß das so genau, wo uns doch die bezahl­te Arbeit aus­zu­ge­hen scheint: erträg­li­che Armut plus geleb­te kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz als Lohn für Ver­zicht auf Erwerbs­tä­tig­keit bis zum Tode?

Die heutigen sozialen Konflikte werden mittels des neuen Schlüsselbegriff „Globalisierung“ interpretiert, und zwar von beiden politischen Lagern. Die Linke sagt, die weltweit freien Märkte sind von Übel, weil sie uns bei der nationalen Umverteilung der Reichtümer einen Strich druch die Rechnung machen. Die Rechte führt die Globalisierung immer an, wenn begründet werden muß, daß wieder einmal „der Gürtel enger geschnallt werden“ soll. Ist Globalisierung ein Argument im Klassenkampf von oben? Oder erleben wir unter dem Stichwort die unverhoffte Rückkehr des Internationalismus, und zwar diesmal als kapitalistische Internationale?

Der katho­li­sche Sozi­al­theo­re­ti­ker Hengs­bach bezwei­felt, daß die Glo­ba­li­sie­rung die Ursa­che der öko­no­mi­schen Pro­ble­me im Lan­de ist. Er hält den Glo­ba­li­sie­rungs­dis­kurs für eine beque­me Legi­ti­ma­ti­on des Arbeits­platz­ab­baus und der Lohn­sen­kun­gen. Ich bin kein Öko­nom und kann dazu nichts auf­grund eige­ner Erkennt­nis­se sagen. Was Glo­ba­li­sie­rung und Klas­sen­kampf angeht, sehe ich Pro­ble­me auf uns zukom­men, weil nicht nur das Kapi­tal jetzt über­all hin­ge­hen kann, son­dern auch die Arbeit frei­zü­gig wandert.

Es ist eine offe­ne Fra­ge, wel­chen poli­ti­schen Aus­druck die Kon­flik­te zwi­schen deut­schen Arbei­tern und impor­tier­ten Bil­lig­ar­beits­kräf­ten fin­den wer­den. Man kann nicht wis­sen, ob die Argu­men­te für Gemein­sam­keit attrak­ti­ver sein wer­den als die Rede der­je­ni­gen, die auf der Bau­stel­le sagen: die Schwar­zen sol­len verschwinden.

Zurück zu den deutschen Verhältnissen: Läßt sich der Begriff Klassenkampf auf das Schema Ost / West anwenden?

Nein, ich glau­be nicht, weil die Inter­es­sen der Arbei­ter im Osten und Wes­ten zu sehr dif­fe­rie­ren. Bisch­of­fero­de hat aus dem Ruhr­pott nur zag­haf­te Soli­da­ri­tät emp­fan­gen und neu­lich war es umgekehrt.

Aber das ist doch gerade, worauf ich hinauswollte: der Ost/West-Konflikt ist stärker als die übergreifende Differenzierung von Oben und Unten und er hat Züge eines Klassenkampfes. Ich will mal versuchen, ihr Klassenbewußtsein herauszukitzeln: Sie haben als Arbeiterkind in der DDR studieren und eine akademische Karriere machen können, unter anderem mit Untersuchungen zur Arbeiterkultur. Dann kommt ein anderes System und läßt sie zunächst weitermachen, um sie dann aber unter zweifelhaften Begründungen aus dem Beruf zu drängen. Ich würde das als Rückschlag in meinem persönlichen Klassenkampf sehen.

Na gut, viel­leicht kom­me ich ja noch zu die­ser Ein­sicht. Vor­erst sehe ich da ver­schie­de­ne unver­ein­ba­re Bil­dungs­gän­ge, die nicht ver­gleich­bar sind und dem­entspre­chend unver­ein­ba­re Inhal­te. Das Inter­es­se des Gesamt­ka­pi­tals an mei­ner Ent­fer­nung aus der Uni­ver­si­tät scheint mir denn doch gering. Aller­dings gab es einen poli­ti­schen Wil­len, uns Ost-Kul­tur­wis­sen­schaft­ler abzu­wi­ckeln. Und natür­lich kommt man ins Grü­beln dar­über. Ich kann mei­nen Söh­nen nur raten, den intel­lek­tu­el­len Beruf zu mei­den, denn da sind alle Stel­len jetzt auf Jah­re hin­aus besetzt.

Aber ich ver­ste­he schon, wor­auf Sie hin­aus­wol­len. Wenn man Klas­sen als Kul­tur­ge­mein­schaf­ten ver­steht, als sozia­le Grup­pen, die ihre Inter­es­sen aus­fech­ten und dabei kom­mu­ni­zie­ren und sich orga­ni­sie­ren, wie ich das ein­gangs gemeint habe, dann könn­te man ihn auch auf Ost und West in Deutsch­land anwenden.

Agiert die PDS nicht in diesem Sinne zugleich als Klassen- und Regionalpartei, als Partei, die den Ost/West-Konflikt als Klassenkonflikt kenntlich macht?

Nach der neu­en par­tei­in­ter­nen Stu­die sind 67% der PDS-Mit­glie­der über 60. Die sind also zu einem gro­ßen Teil nach einer Jugend im Natio­nal­so­zia­lis­mus zum Sozia­lis­ten umge­schult wor­den. In den Schu­lun­gen haben sie das Klas­sen­kampf­vo­ka­bu­lar auf­ge­so­gen. Was sie über die Gesell­schaft wis­sen, wis­sen sie in aller Regel durch die Inter­pre­ta­ti­on von Marx und Lenin in der Les­art der Par­tei­schu­len. Schon zu DDR-Zei­ten war das Pro­blem, daß die aktu­el­le For­schung über die Kul­tur­ge­schich­te der Klas­sen gera­de von den laut tönen­den Klas­sen­kämp­fern nicht zur Kennt­nis genom­men wur­de. Dane­ben gibt es in der PDS eine gro­ße Grup­pe aus mei­ner Gene­ra­ti­on, so um die 50, die eher skep­tisch und prag­ma­tisch gestimmt sind.

Ich will noch einmal auf den Kulturbegriff zurückkommen. In den siebziger und achtziger Jahren war die gängige Parole in der Bundesrepublik „Kultur für alle“. Unter dem Eindruck von Etatkürzungen scheint sich das jetzt zu verändern, man kehrt vielerorts zum scheinbar Bewährten und Hergebrachten der kulturellen Hierarchien zurück. Eine Weile war es attraktiv für die kulturellen Eliten, sich darzustellen als Leute ohne Berührungsängste mit der populären Kultur? Beobachten Sie Klassenkämpfe in der Kultur?

Sicher nicht in dem Sin­ne der Paro­le von Fried­rich Wolf, wonach Kul­tur eine Waf­fe im Klas­sen­kampf ist. Die­ser Satz ist übri­gens nie rich­tig ver­stan­den wor­den. Wolf woll­te ja nur sagen: Lie­be Kom­mu­nis­ten, auch die Kul­tur ist wesent­lich. Er woll­te den unge­bil­de­ten Funk­tio­nä­ren sagen, daß sich auch in der Kunst wich­ti­ge Din­ge abspie­len. Aber das ist ein ande­res Thema.

Die Deut­schen kom­men nicht aus ihrer Haut her­aus. Der Kul­tur­ap­pa­rat hat hier mit sei­ner erzie­he­ri­schen und erbau­en­den Funk­ti­on im Fort­gang der Säku­la­ri­sie­rung zu wei­ten Tei­len frü­he­re Auf­ga­ben der Kir­chen über­nom­men. Die Kul­tur hat auch die Auf­ga­be mit über­nom­men, die frü­her die Sitz­ord­nung im Dom hat­te. Heu­te steht die Love Para­de und Inde­pen­dence day gegen Bay­reuth und ande­re „Leucht­tür­me“, wie es die Kul­tur­po­li­tik aus­zu­drü­cken beliebt, mit dem ent­schei­den­den Unter­schied, daß die Mas­sen­ver­gnü­gen von ihren Betrei­bern sel­ber finan­ziert wer­den müssen.

Kultur wird auch wieder als Waffe im Klassenkampf von oben attraktiv, wie man an Botho Strauß beobachten kann. Er ist ja, wie man seinem neuen Buch entnehmen kann, in den Osten, in die Uckermark gezogen. Und seine größte Panik ist die, daß er nun seinen Sohn einschulen muß und damit den dortigen Einheimischen ausliefert …

… die­sen ver­zwerg­ten Ossis …

Genau. Der Dichter profiliert sich in seinem Text durch den Kontrast zu den videobesessenen Schrumpfköpfen dort auf dem Lande.

Ja, so nach dem Motto: der letz­te Bil­dungs­bür­ger als Kul­tur­kri­ti­ker. Wobei ich beson­ders apart fand, daß in der dar­auf fol­gen­den Num­mer, in der wir von dem ver­geb­li­chen Ver­such des Dich­ters lesen konn­ten, sei­nen Sohn vor dem Ein­fluß der durch West­ge­wohn­hei­ten dege­ne­rier­ten Ossis zu schüt­zen, dann ein Text über Sci­en­to­lo­gen und ande­re Sek­ten zu fin­den war. Dar­in wur­de beklagt, daß die­se Sek­ten ihre Kin­der dem segens­rei­chen Ein­fluß unse­res Schul­sys­tems und der Kon­sum­welt ent­zie­hen. Bei­des Ver­su­che, Kin­der vor der Kul­tur­lo­sig­keit des Mas­sen­kul­tur zu ret­ten, aber ganz unter­schied­lich kom­men­tiert. Das alles steht im Kon­text einer Debat­te, in der die sub­ven­tio­nier­te Kul­tur der Eli­ten gerecht­fer­tigt wer­den muß.

Als Kulturwissenschaftler mit Interesse für die Populärkultur, stelle ich mir vor, müssen sie in der DDR doch eine paradoxe Situation vorgefunden haben. Ist die westliche Massenkultur, und zwar in ihren populärsten Ausprägungen wie MacDonalds oder den großen Hollywoodfilmen, nicht viel egalitärer als der Kulturbegriff der DDR es jemals sein konnte? Man blieb doch immer sehr im Schatten des „bürgerlichen Erbes“, das man antreten wollte?

Das ist für mich kei­ne Fra­ge. Das mein­te ich auch mit der Bemer­kung, daß bestimm­te Ver­hal­tens­wei­sen in der Mas­sen­kul­tur so ver­all­ge­mei­nert wor­den sind, das man ihre pro­le­ta­ri­schen Ursprün­ge gar nicht mehr erkennt. Die wich­ti­gen The­men der letz­ten Jah­re sind in popu­lä­ren Fil­men zugleich radi­ka­ler und mas­sen­wirk­sa­mer ange­spro­chen wor­den als in vie­len gut­ge­mein­ten sozio­kul­tu­rel­len Ange­bo­ten. Den­ken Sie nur dar­an, wie in „Phil­adel­phia“ Homo­se­xua­li­tät und Aids oder in „Lar­ry Flint“ Pres­se­frei­heit, Libe­ra­li­tät und Zen­sur behan­delt wurden.

Die momentan populären Rezepte gegen die Massenarbeitslosigkeit kommen ebenfalls aus Amerika: Liberalisierung der Arbeitsmärkte, Abbau des Sozialstaats, individuelle Absicherung statt staatlicher Fürsorge. Müssen wir uns auf heftigere Klassenkämpfe einstellen, wenn das auch bei uns in diese Richtung geht?

Alle Erfah­run­gen zei­gen, daß Deklas­sie­rung in unter­ta­rif­li­cher Arbeit und gro­ßer sozia­ler Unsi­cher­heit nicht zur Soli­da­ri­sie­rung führt. Aber ich glau­be nicht, daß wir es Ame­ri­ka nach­ma­chen kön­nen. Ame­ri­ka ist zwar ohne staat­li­che sozia­le Siche­rungs­sys­te­me gewach­sen. Aber man über­sieht immer die tat­säch­lich funk­tio­nie­ren­den sozia­len Net­ze in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die wir nicht imi­tie­ren können.

Wir haben kei­ne eth­ni­schen Gemein­schaf­ten, wir haben kei­ne neigh­bour­hoods, wir haben kei­ne spen­den­freund­li­che Bour­geoi­sie. Bei uns ist sozia­le Sicher­heit als staat­li­che Auf­ga­be erstrit­ten wor­den. Wenn ich den Staat aus die­ser Auf­ga­be ent­las­se, dann kann ich ihn auch abschaf­fen. Herz­li­chen Glück­wunsch, kann ich da nur sagen, was die Leu­te sich dann wer­den ein­fal­len lassen!

Das Bild ist Zitat, ent­nom­men von: Aus der Zeit – Für die Zeit. In: Der Wah­re Jacob, 1894. – Vgl. Pro­le­ta­ri­at. Kul­tur und Lebens­wei­se im 19. Jahr­hun­dert. Hrsg. von Diet­rich Mühl­berg. Leip­zig 1986. Wien 1987, S. 252. – Leih­ga­be Rijks­mu­se­um-Sticht­ing, Amsterdam.

Der Text rechts unten lautet:

Mam­mon ist der Gott des Tages –

Doch die gold’nen Säu­len beben,

Wie Jupi­ters Säu­len fielen;

And­re Zeit bringt and­res Leben.

Beu­ge, Volk, Dich nicht dem Götzen,

Dem sie heu­te Ruhm erzeigen,

Sor­ge, daß der Frei­heit Göttin,

Möge bald den Thron besteigen.