geb. 18.3.1869 Oettingen/Ries, gest. 12.5.1934 Nürnberg
… spielte als Schriftsteller, Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift „Der Atheist” in der freidenkerischen Bewegung, insbesondere deren proletarische Variante lange Zeit eine wichtige Rolle. Neben Studien zu natürlichen Welterklärungen, in denen er sich als Darwinist bekannte und einer Sammlung von Werken der Arbeiterdichter, hinterließ er auch eine Geschichte der Freidenkerbewegung. Von seinen Schriften fand sein kleiner Pfaffenspiegel, eine Corvin-Adaption, die weiteste Verbreitung.
Der gelernte Buchdrucker stieß nach den obligatorischen Wanderjahren in Nürnberg zur Freireligiösen Gemeinde und zur Sozialdemokratie. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Verhältnis von Religion und Arbeiterschaft und hielt darüber Vorträge. Ab 1904 machte er seine Leidenschaft zu seinem Beruf und gründete einen Verlag indem er freidenkerische Schriften und ab 1905 die Zeitschrift „Der Atheist”, deren Schriftleiter er auch war, herausgab. Schon im Titel Zeitschrift kam Programmatisches zum Ausdruck: Gottlosigkeit, nicht nur freies Denken sollte das Ziel sein.
1908 spaltete sich der Zentralverband proletarischer Freidenker vom Deutschen Freidenkerbund ab, Beißwanger war mit seiner Zeitschrift daran führend beteiligt. Entsprechend avancierte „Der Atheist” zum Organ des neuen Verbandes. Außerdem gründete Beißwanger die „Freidenkervereinigung Nürnberg”. Während des I. Weltkriegs schloss er sich der USPD an.
Weil ihm Kritiker, wohl nicht ganz zu Unrecht, eine Verquickung von freigeistigen und geschäftlichen Interessen vorwarfen, übernahm der Verband proletarischer Freidenker 1920 den „Atheist” in eigene Regie. Danach arbeitete Beißwanger in anarcho-syndikalistischen Gruppen des proletarischen Freidenkertums. Über seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt. Strittig ist, wie er sich zum Nationalsozialismus verhielt.
Aus HG: Dissidenten, 1997:
Auf den Kongressen des Deutschen Freidenkerbundes 1904, 1908 und 1910 wurde die Haltung zur Arbeiterschaft und zu deren Stimmrecht im Verband zu einer Streitfrage. Teile der sozialistischen Mitgliedschaft bestanden auf einer stärkeren Offensive gegen die Kirchen. Zwölf oppositionelle Freidenkervereine, von denen allein neun aus Sachsen und Thüringen kamen, gründeten am 6. September 1908 in Eisenach den Zentralverband proletarischer Freidenker, der sich ab 1911 in Zentralverband proletarischer Freidenker Deutschlands umbenannte.
Von großem Einfluß auf die freidenkerische Kulturbewegung der Dissidenten, besonders auf deren proletarische Variante, war der Dichter und Redakteur Konrad Beißwanger (1869–1934), der neben Studien zu natürlichen Welterklärungen, in denen er sich als Darwinist bekannte und einer Sammlung von Werken der Arbeiterdichter, auch eine Geschichte der Freidenkerbewegung hinterließ.[1] Die weiteste Verbreitung fand sein kleiner Pfaffenspiegel, eine Corvin-Adaption.[2]
Beißwanger war seit 1895 Verwaltungsleiter im Bund freier religiöser Gemeinden, in dieser Funktion viel in Deutschland herumgekommen und mit den Problemen der freigeistigen und freidenkerischen Vereine vertraut. Darauf versuchte er, eine Karriere zu bauen und betrieb ab 1904 einen eigenen Verlag mit dem Namen Literarisches Bureau Nürnberg.[3] In diesem Verlag erschienen die Zeitschrift Der Atheist (mit ihm als Schriftleiter) und zahlreiche antikirchliche Broschüren und Bücher.[4] Schon im Titel der 1905 gegründeten Zeitschrift kam Programmatisches zum Ausdruck: Gottlosigkeit, nicht nur freies Denken sollte das Ziel sein.
Der Atheist avancierte wegen dieser kompromißlosen Haltung zum Organ des Zentralverbandes.[5] Er zählte vor Kriegsausbruch 5–6 000 Mitglieder in 93 Ortsgruppen; an Mitgliedern so stark wie der Deutsche Freidenkerbund, aber in der Zahl der „Gemeinden“ sogar inzwischen größer (Freidenkerbund: 60 Gemeinden).[6]
Für die fundamentalistischen Freidenker rückte seit 1904/05 immer mehr Adolph Hoffmann ins Rampenlicht.[7] Mit der Revolution schien ihm die Zeit angebrochen, seine Vorstellungen in die Wirklichkeit umzusetzen. Für den Kultur‑, Bildungs- und Kirchenbereich bot sich Adolph Hoffmann als USPD-Vertreter an, weil ihm schon vor dem Kriege die Forderungen des als zu bürgerlich geltenden Weimarer Kartells „nicht genügend“ an die Wurzel gingen.[8] Er neigte in seinen Vorstellungen Konrad Beißwanger, aber auch Otto Rühle zu (der zum äußersten Linksaußen bei der KPD-Gründung wurde[9]), die seit 1905 die Losung von der Religion als einer Privatsache energisch kritisierten und von der Sozialdemokratie eine radikalere Position und grundsätzliche Einschnitte in die gesellschaftliche Verfassung forderten.
Die Macht der Kirchen müsse politisch gebrochen und staatlich abgeschafft werden. Das sei ebensowenig ein „privater“ Vorgang wie der, an die Stelle der Religion eine neue sozialistische Weltanschauung zu setzen.
Bei allen Unterschieden in den sonstigen Anschauungen, dieses Ziel vereinte bereits vor dem Kriege die sozialdemokratischen Freidenker in den beiden Organisationen, dem Deutschen Freidenkerbund und dem Zentralverband der proletarischen Freidenker Deutschlands. Krieg und Revolution sprengten auch diese Gemeinschaft und verdrängten, als eine Folge, das liberale „bürgerliche Element“ aus den Organisationen. Besonders Karl Louis Bernhard Menke, Konrad Beißwanger und Max Sievers (1887–1944) vom Zentralverband und Adolph Hoffmann von der Berliner Freireligiösen Gemeinde engagierten sich links und trugen 1917 maßgeblich zum Bruch der USPD mit der SPD bei.
Fußnoten
- Konrad Beißwanger: 50 Jahre Freidenkertum. Der Aufstieg einer Kulturbewegung. Nürnberg 1930. – Ders.: Stimmen der Freiheit. Blütenlese der hervorragendsten Schöpfungen unserer Arbeiter- und Volksdichter. 3. Aufl., Nürnberg 1902. – Ders.: Von der Amöbe zum Menschen. Eine Wanderung durch Jahrmilionen. Nürnberg 1907. ↑
- Konrad Beißwanger: Der kleine Pfaffenspiegel. Bd.1: Heiligengeschichten, Reliquienüberfluß und Kirchennot. Nürnberg 1909. ↑
- Vgl. Kaiser: Arbeiterbewegung, S.99, 102. ↑
- So 1912 die Schrift des freidenkerischen Dichters A. Langer: Haben die Päpste „Hauptsünden“ begangen? ↑
- Vgl. Der Atheist. Illustrierte Wochenschrift für Volksaufklärung. Nürnberg 1(1905) — 23(1927); danach mit anderen Untertiteln Wien (bis 1931), dann Prag (bis 1933). ↑
- Vgl. Kaiser: Arbeiterbewegung, S.106 mit Handbuch, S.62 u. S.146 (4900 proletarische Freidenker, aber 6300 Abonnenten von Der Atheist). ↑
- Vgl. Hoffmann: Gebote 1904. – Ders.: Los von der Kirche! … Landtagsrede … Berlin 1908. ↑
- Protokoll der Ordentlichen Generalversammlung des Deutschen Freidenkerbundes in Düsseldorf vom 20. Mai 1910, S.84. ↑
- Vgl. Der Gründungsparteitag der KPD. Protokoll und Materialien. Hg. u. eingel. v. Hermann Weber. Frankfurt a. M. 1969; Berlin 1993. ↑