Das Thema ist von mir mehrfach variiert worden, zuletzt im Zusammenhang von „Humanistischer Konfession“. Alle späteren Texte gehen auf den originalen zurück, auf einen Podiumsbeitrag auf der gleichnamigen Debatte in der Marktkirche Halle/Sa. am 31.10.2002 (Reformationstag),
11:00 Uhr, der sich an meine Rezension des Buches von Carlo Maria Martini und Umberto Eco Woran glaubt, wer nicht glaubt? anlehnte, die in „humanismus aktuell, Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung“, Berlin 1999, 3. Jg., H. 4, S. 118f. erschienen war.
Redetext
Ich gehe davon aus, dass ich zu dieser Debatte als sogenannter „Nichtglaubender“ eingeladen wurde, damit jemand in der Runde zu dem Thema Woran glaubt, wer nicht glaubt? eine authentische Auskunft geben kann, denn die anderen hier vorn auf dem Podium können ja höchstens eine Antwort vermuten, denn sie halten sich – das behaupte ich jetzt – nicht nur für christlich Glaubende, sondern glauben sich auch in einer Gemeinschaft zu befinden mit anderen Glaubenden nach dem Motto, auch Juden und Moslems glauben, nur Atheisten nicht.
Zumal etwas unklar ist, was die Frage nach dem Glauben hier meint, eher etwas Geistiges oder eher ein bestimmtes Verhalten. Letzteres hätte seine Tücken. Der Therapeut und Soziologe Wolf Wagner erzählt einleitend in seinem Buch über die deutsche Wiedervereinigung als Kulturschock , wie er sich in Indien – kulturell gesehen – als deutscher Christ entpuppte, obwohl er in seinem eigenem Urteil sich bis dahin eher als einen atheistischen Weltmenschen sah. In Indien sah man ihn als Fleisch essenden, rauchenden, Alkohol trinkenden, beschuhten Menschen, der überdies Trauer zeigte. Das qualifizierte ihn in ihren Augen zum Christen.
So scheint die Frage hier aber nicht gestellt zu sein. Es sind eher Überzeugungen gefragt. In dieser Hinsicht ist die Frage nach dem Woran glaubt, wer nicht glaubt? aber ebenfalls durch ein Vorausurteil belastet in der Art einer Unterscheidung Wir und die anderen. Das will ich gern akzeptieren und teile einerseits die Feststellung einer Differenz zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen.
Doch ich muss Sie andererseits enttäuschen. Ich bin der festen Überzeugung – also des Glaubens – dass es keine nichtglaubenden Menschen gibt. Das Problem Ihrer Thematik – wo ich Ihnen wenig helfen kann – ist, dass Sie eine bestimmte Glaubensweise für Glauben schlechthin halten.
Ihr Bezug auf die 2000jährige Deutungsmacht des Christentums legt Ihnen den Fehlschluss nahe, dass jedes Glauben – also jedes Annehmen von Legenden, Erfahrungen, Geschichten, Treueschwören, Werten und sittlichen Geboten – sich immer auf einen religiösen Kontext bezieht, dass also, wer glaubt, immer an einen Gott oder ein höheres Prinzip oder ähnliches glaubt. Es fällt Ihnen schwer, Glauben einfach als Kultur zu nehmen, die religiös, aber auch nichtreligiös sein kann.
Das macht es uns sogenannten Nichtglaubenden schwer, den Begriff des Glaubens sozusagen wertneutral und positiv zu verwenden. Deshalb sprechen wir von Überzeugungen, Grundwerten, letzten Antworten, Gewissheiten usw., meiden also den Glaubensbegriff, um nicht religiös vereinnahmt zu werden.
An dieser Stelle sind ein paar Worte über den Glaubensbegriff nötig. Als Kulturwissenschaftler verstehe ich unter Glauben erstens eine bewusste Entscheidung für ein bestimmtes Bekenntnis (noch so ein Wort, von dem Sie annehmen, es sei nur religiös möglich; vor allem in seiner Verschärfung, dem Wort „Konfession“).
Man kann sich auch zu einem säkularen Humanismus bekennen, zu rein ethisch begründeten Grundwerten des Lebens, zu einer positiven Moral, ohne auf einen oder gar Ihren Gott Bezug nehmen zu müssen. Atheismus ist für uns kein Negativwort, es sagt nur, ich komme ohne Gott aus – und hier haben Sie, wenn Sie wollen, schon einen Glaubenssatz und zwar einen grundsätzlichen, den Sie akzeptieren müssen wie ich Ihre gegenteilige Anschauung zu akzeptieren habe.
Zweitens – und hier komme ich zum Kern meiner Botschaft – bringt das Wort „Glaube“ zum Ausdruck, dass nicht alles (wahrscheinlich sogar das meiste nicht) in unserem – Ihrem und meinem – Weltverhältnis von wissenschaftlichem Wissen geleitet ist. Der Glaubensbegriff wertet gerade dieses Außer- und Vorwissenschaftliche auf, das Psychologische usw., benennt das, was wir annehmen, was uns leitet, treibt, uns urteilen, lieben und hassen lässt.
In unser aller Leben ist sehr viel durch weltanschauliche Annahmen geprägt, die schlechterdings durch nichts anderes belegt werden als dadurch, dass Menschen daran glauben. Ich will hier nur verdeutlichen, dass, wenn wir sagen, Religion ist das Gegenteil von Wissenschaft, dass dies auch für unseren Humanismus gilt, wenn er Werte formuliert. Wenn wir uns darauf einigen könnten zu sagen, wir leben zwar in der gleichen Kultur, aber doch auch in verschieden Werte-Kulturen, haben wir das Wesentliche unserer heutigen Debatte erfasst: Wir sind unterschiedlicher Konfession, aber wir haben alle eine, wenn auch verschiedene und nicht immer vergleichbare.
Unsere jeweiligen letzten Antworten auf die letzten Fragen führen und verführen uns zu unterschiedlichen Antworten auf ganz konkrete Fragen des Lebens. Das möchte ich an einem Beispiel andeuten. Wenn man glaubt, das Leben sei einem letztlich von Gott gegeben, kann man es sich so leicht auch nicht selbst nehmen. Durch diese Ansicht ist dem menschlichen Tun eine bestimmte Grenze gesetzt, von der wir dann allerdings meinen, sie ist ebenfalls von Menschen gesetzt.
Wie dem auch sei, jedenfalls kommt man wahrscheinlich mit dieser Annahme zu anderen Antworten in Fragen der Individualität und Einmaligkeit jeden Lebens, der Schwangerschaftsunterbrechung, der sexuellen Orientierung, der Ehe und Familie, der Kindererziehung, der Sterbehilfe, des Freitods, von Kirche und Staat, Konfirmation und Jugendweihe usw. usw.
Umgekehrt kann die Annahme, alles geht vom menschlichen Willen aus, dazu verführen, man habe hier eine Art Freibrief. Ich will damit sagen, dass wir sogenannten Nichtglaubenden vor den gleichen Herausforderungen des Lebens stehen wie die Glaubenden, dass wir aber wegen unterschiedlicher Ausgangspunkte zu differenten Antworten kommen, über die wir dann eben reden müssen (und können). Und wir haben zu klären, in welchen Fragen wir zu anderen Antworten kommen und in welchen nicht.
Im Gegensatz zu vielen meiner (besonders westdeutschen) Gesinnungsfreunde möchte ich mit Gläubigen nicht über Gott und die Welt reden, sondern über die Werte und den Sinn des Lebens. Dass Sie an Gott glauben und ich nicht, das setzen wir beide voraus. Warum sollten uns darüber streiten?
Ich habe lange gegrübelt, welche Assoziationen der ökumenische Veranstalter unseres Vormittags glaubt auszulösen mit seiner Frage nach dem Glauben ausgerechnet am Reformationstag. Bin ich sozusagen – dieser Humor liegt mir nicht fern – der Beweis, wohin das ständige Reformieren letztlich führt? Darauf will ich mich hier nicht einlassen. Ich nehme unser Treffen als einen Anfang vom Ende der Auffassung, dass sogenannte „Nichtglaubende“ ein ethisches Manko hätten im Sinne von Woran glauben die eigentlich?
Nehmen Sie es mir ab oder nicht: Bei allen Differenzen zwischen Humanisten und Christen – wir sind gemeinsam doch so ziemlich die einzigen in diesem Land, die noch nach Glauben und Grundsätzen fragen. Das bringt mich zu zwei Schlussbemerkungen:
Erstens – davon bin ich überzeugt – nahm ich das Angebot, hier her zu kommen, als das an, was es ist, eine Einladung mit uns – gestatten sie das einmal in diesem Hause – „Gottlosen“ zu reden, weil Sie sehen, wir gehen mit der gleichen Ernsthaftigkeit, Besonnenheit und Verantwortung an Grundfragen von Leben und Tod heran wie Sie; vielleicht – erlauben sie dann noch diesen Rest an Überheblichkeit – sogar mit mehr Ernsthaftigkeit und Verantwortung, da wir zu wissen glauben, dass es kein überindividuelles Prinzip gibt, es sei denn, es ist von Menschen selbst gemacht: Wir können es immer nur selbst sein, die Fehler machen, die ethisch versagen – sicher auch, weil wir keine Pfarrer haben, die uns leiten, trösten und ermahnen.
Dass Sie mich eingeladen haben ist zweitens ein positives Zeichen und sicher auch der besonderen ostdeutschen Situation geschuldet. Ihre Kirchenfreunde in Bayern und Nordrhein-Westfalen werden sich noch darauf einstellen müssen, was es heißt, es mit einer Mehrheit Konfessionsfreier zu tun zu haben. Und wir alle werden noch lernen müssen, wie man z. B. bei öffentlichen Trauerfeiern, wie im tragischen Fall von Erfurt, die Trauerkultur gestaltet:
Es kann doch nicht sein, dass Christen weiterhin das öffentliche Trauern monopolisieren und wir Konfessionsfreien – inzwischen in großen Teilen in der Mehrheit – in die Kirchen kommen oder außerhalb davon an Ihren Ritualen teilnehmen müssen, um öffentlich Trauer zu zeigen, teilweise sogar zwangsweise, wie es einem Verwandten in Bayern erging in den Gebeten im Betrieb und an der Werkbank in Erinnerung an die Opfer des 11. September in New York. Anschließend kam der Meister und sagte: Die Ossis sind wie die Türken, beide kennen das Vaterunser nicht.
(Einfügung in der Debatte: Mit diesem Vorschlag werden nicht die Leistungen der Kirchen kritisiert, ihr Ritualpotential in öffentliche Trauervorgänge einzubringen und diese dadurch zu strukturieren. Es wird aber gefragt, welche Gemeinschaft auf welcher geistigen Grundlage damit gebildet werden kann und ob es nicht vielmehr nötig ist, bei bestimmten öffentlichen und staatlichen Anlässen das religiöse und weltanschauliche Spektrum, das sich in Deutschland vorfindet, transparent zu machen, z. B. durch einen würdigen, aber neutraleren Ort als es die Kirchen sein können; z. B. durch eine humanistische Ansprache; z.B. durch ein Gedenken, in dem die einen beten und andere anders Andacht halten …).
Stellen sie sich vor, sie werden in ein Kulturhaus zu einer Debatte gebeten zum Thema Woran glauben Christen? – und Sie sind der Einzige unter lauter Atheisten … Sie würden sich wie ich mich heute der Situation stellen, dem jeweils Fremden und sich (wie ich mich) an Martin Luther halten: „… so kann und will ich nichts widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Hier stehe ich! Ich kann nicht anders …“ – den Rest des Zitats hier zu sagen, das verbieten mir Gewissen und Anstand.