Das säkulare Berlin

Anmerkungen aus Anlass des Buches von Manfred Isemeyer “Das säkulare Berlin”

Seit der Erhe­bung der Ber­li­ner Daten zur Ein­woh­ner­zäh­lung von 1885, so schreibt der Pres­se­spre­cher des Ber­li­ner HVD-BB anläss­lich der Buch­vor­stel­lung am 19. April 2021, „ent­stand eine säku­la­re Bewe­gung, deren Ziel eine huma­nis­ti­sche Lebens­welt jen­seits christ­li­cher Kon­fes­sio­nen war und ist.“ Das klingt nach Rudolph Pen­zig und sei­nem Buch von 1907: „Ohne Kir­che. Eine Lebens­füh­rung auf eige­nem Wege“. An ihn wird S. 97 erin­nert. Auf die Ziel­be­stim­mung „säku­la­re Lebens­welt“ wird zurück­zu­kom­men sein. Der Gegen­stand des Buches wird damit klar umris­sen: Orte und Men­schen außer­halb der christ­li­chen Reli­gi­on, genau­er: in sich davon mehr oder weni­ger deut­lich abgren­zen­den Organisationen.

Fern jeder Reli­gi­on – so hat­te noch der Vor­gän­ger-Stadt­füh­rer kla­rer for­mu­liert. Er beschrieb 2005 die „Metro­po­le des Huma­nis­mus“ als „Das athe­is­ti­sche Ber­lin“. Ein Stadt­plan für die „Athe­is­ti­sche Stadt­rund­fahrt“ war bei­gefügt. Anlass war damals der 100. Jah­res­tag der Aus­grün­dung des „Ver­eins für Frei­den­ker zur Aus­füh­rung der Feu­er­be­stat­tung“ 1905 aus der „Frei­re­li­giö­sen Gemein­de Ber­lin“. Der Bei­tritt zum Ver­ein setz­te den Kir­chen­aus­tritt voraus.

1927 erfolg­te die Ver­schmel­zung mit der „Gemein­schaft pro­le­ta­ri­scher Frei­den­ker“ zum „Ver­band für Frei­den­ker­tum und Feu­er­be­stat­tung“, der sich 1930 in „Deut­scher Frei­den­ker-Ver­band“ umbe­nann­te und eine Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft wur­de. Deren Ange­bo­te reich­ten weit über den ursprüng­li­chen Zweck „Bestat­tungs­kul­tur“ hin­aus. Er woll­te sei­ne Mit­glie­der „von der Wie­ge bis zu Bah­re“ jen­seits kirch­li­cher oder kir­chen­na­her Ange­bo­te ver­sor­gen. Jeden­falls wur­de die­se Orga­ni­sa­ti­on zum unmit­tel­ba­ren Vor­gän­ger des heu­ti­gen HVD.

Die alte Bro­schü­re hat­te einen Umfang von knapp neun­zig Sei­ten, also nur etwa ein Drit­tel des jetzt vor­lie­gen­den Buches. Die Tex­te stamm­ten eben­falls von Man­fred Ise­mey­er und Her­aus­ge­ber war eben­falls der Ber­li­ner HVD. Damals boom­ten die­se beson­de­ren Stadt­plä­ne, weil vie­le Tou­ris­ten Bil­dungs­tou­ren unter­nah­men und etwas Beson­de­res such­ten außer­halb der übli­chen Strö­me ins Zen­trum oder zu den Mau­er­res­ten. Zen­tren gab es aber nun min­des­tens zwei, wie auch Auto­bahn­hin­wei­se ange­ben, von den jewei­li­gen Stadt­teil­zen­tren ganz abgesehen.

Zu den bekann­tes­ten Tou­ren die­ser neu­en Mode gehör­ten „Jewish Ber­lin“ von Andrew Roth und „Das Rote Ber­lin“ von Frank Göt­ze und Diet­rich Mühl­berg. Wäh­rend ers­te­rer auch Restau­rants, reli­giö­se Stät­ten und Geschäf­te auf­führ­te, wid­me­te sich das „Rote Ber­lin“ revo­lu­tio­nä­ren Ereig­nis­sen und sozia­lis­ti­schen Bewe­gun­gen seit 1848. Der Ber­li­ner „Tages­spie­gel“ und die „Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten“ erkann­ten den mög­li­chen peku­niä­ren Nut­zen die­ser Tour und ver­brei­te­ten den „Stadt­spa­zier­gang 7“ unter einem nicht so ein­deu­ti­gen Label. Sie unter­ti­tel­ten ihr „Das rote Ber­lin“ spek­ta­ku­lä­rer. Sie wie­sen die inter­es­sier­te Kul­tur­bür­ger­lich­keit auf das hin, was Prols und Ossis eben aus­zeich­net und was Wes­sis so erwar­ten: „Von Gangs­ter­krie­gen und Revol­ten im rau­en Osten – Friedrichshain“.

Ise­mey­ers nun vor­lie­gen­der Band ist wesent­lich anspruchs­vol­ler und gründ­lich recher­chiert. Er ent­hält eine über drei­ßig­sei­ti­ge Ein­füh­rung, 124 Kurz­bio­gra­phien und nicht mehr ledig­lich eine Stadt­rund­fahrt, son­dern zwan­zig Tou­ren. Am Schluss des Buches fin­det sich eine Zeit­ta­fel mit frei­den­ke­risch-huma­nis­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen in Deutsch­land. Dass der Autor frei­den­ke­risch und huma­nis­tisch nicht tren­nen mag, hat wahr­schein­lich die zu bän­di­gen­de Stoff­fül­le zur Ursa­che. Denn wer sich der Geschich­te des Huma­nis­mus und sei­ner Ört­lich­kei­ten wie Öffent­lich­kei­ten extra wid­men möch­te, muss mit einer über­bor­den­den Flut von Sach­an­ga­ben rechnen.

Doch ist dies auch beim Gegen­stand „säku­la­res Ber­lin“ der Fall. Da die­ses aber aus der Per­spek­ti­ve von als „säku­lar“ defi­nier­ten Orga­ni­sa­tio­nen ein­ge­grenzt wird, ist zwar die Ein­schrän­kung von „huma­nis­tisch“ auf „frei­den­ke­risch“ nach­voll­zieh­bar, doch erhebt sich die Fra­ge, was eine „säku­la­re Orga­ni­sa­ti­on“ ist, wenn nicht die Ein­gren­zung auf „frei­den­ke­risch“ erfolgt. Das ist bei der Lek­tü­re zu beach­ten, denn dort, wo gewöhn­lich gebil­de­te, von die­sen Orga­ni­sa­tio­nen nichts wis­sen­de Per­so­nen das Säku­la­re suchen, führt uns der Stadt­füh­rer nicht hin, nicht dort­hin, wo Men­schen im All­tag jeden Gott ver­lo­ren haben, ihn nie kann­ten oder dort nicht fin­den wer­den – das nor­ma­le Berlin.

Dar­auf kom­men wir zurück, nur gleich hier die Poin­te: Wer säku­la­ri­sie­ren­de Ein­rich­tun­gen und Vor­gän­ge beschrei­ben will, kommt wohl nur schwer zu einem Ende, denn es wird eine moder­ne Schul- und Knei­pen­ge­schich­te, eine Rum­mel- und Kino­sto­ry, Radio und Fern­se­hen spie­len eine gro­ße Rol­le, aber auch ein Schwimm­bad­pan­ora­ma, auch ohne Nackt­kul­tur, die His­to­rie der Zivil­ge­setz­ge­bung, beson­ders der Zivil­ehe usw. usf.

Dass aber bei den „säku­la­ren Orga­ni­sa­tio­nen“ aus­ge­rech­net die „Huma­nis­ti­sche Gemein­de Ber­lin“ (HGB, 1887 ff.) und die „Deut­sche Gesell­schaft für ethi­sche Kul­tur“ (1892–1936) nicht extra S. 264 f. genannt wer­den, ver­wun­dert, geht doch die heu­ti­ge Pra­xis des her­aus­ge­ben­den HVD von deren Akti­vi­tä­ten aus, inklu­si­ve „Lebens­kun­de“ und „welt­li­che Seel­sor­ge“, weni­ger von den unmit­tel­ba­ren frei­den­ke­ri­schen Vorfahren.

Dage­gen ist ers­tens der Ein­wand berech­tigt, dass die Leser­schaft mit zwei ver­wand­ten Orga­ni­sa­tio­nen beru­higt wird, der unit­tel­ba­ren Aus­grün­dung „Deut­scher Bund für welt­li­che Schu­le und Moral­un­ter­richt“ (1906 ff.) und des dann nicht nur ört­lich abwan­dern­den, son­dern auch geis­tig ande­re Wege gehen­den „Deut­schen Bun­des für Mut­ter­schutz [das Fol­gen­de fehlt dann im Namen] und Sexu­al­re­form“, der zuerst in Rich­tung „Ras­se­hy­gie­ne“, spä­ter dann in gro­ßen Tei­len in die „Ras­sen­hy­gie­ne“ abdriftet.

Ein zwei­ter (noch gewich­ti­ge­rer) Ein­wand ist, dass eini­ge wich­ti­ge Per­so­nen der ethi­schen Kul­tur­be­we­gung gewür­digt wer­den, neben Pen­zig und Bona Pei­ser: Lily Braun (lei­der fehlt ihr Mann: Georg von Gizy­cki), (der Grün­der) Wil­helm Foers­ter und Georg Sieg­fried Schä­fer (der Grün­der der HGB).

Es bringt aber nichts, an einer „Lis­te der Feh­len­den“ zu arbei­ten, jedoch ist auf zwei Frau­en unbe­dingt zu ver­wei­sen: Zum einen auf Jea­nette Schwe­rin (1852–1899), die Begrün­de­rin einer huma­nis­ti­schen Sozi­al­ar­beit, aus deren „Aus­kunfts­stel­le“ das heu­ti­ge „Deut­sche Zen­tral­in­sti­tut für Sozia­le Fra­gen“ her­vor­ging; zum ande­ren auf Lil­ly Jan­n­asch (1872–1968): Mit­be­grün­de­rin der „Liga für Moral­un­ter­richt“, Gra­pho­lo­gin, Femi­nis­tin, Ver­le­ge­rin, Jour­na­lis­tin, Pazi­fis­tin … – gera­de sie gehört zu den wenig erforsch­ten Freigeistern.

Hof­fent­lich wird es eine Sam­mel­stel­le geben, wo Mann und Frau Namen, Orte und Bege­ben­hei­ten ein­ge­ben kön­nen für eine neue grö­ße­re Lis­te, wobei schon die vor­lie­gen­de erstaunt. Des­halb sol­len hier auch gar nicht in der Art eines stren­gen Rezen­sen­ten Lücken gerügt oder auf etwas, von dem man meint, es kön­ne ent­fal­len, hin­ge­wie­sen wer­den. Dafür ist die von Ise­mey­er vor­ge­leg­te Leis­tung viel zu beein­dru­ckend. Alles Wei­te­re gehört in his­to­ri­sche Fach­de­bat­ten. Es sei aber ange­merkt, dass sich der Rezen­sent sehr gefreut hat, dass Wolf­gang Lüder auf­ge­führt ist.

Ange­sichts des Man­gels an popu­lä­rer wis­sen­schaft­li­cher Lite­ra­tur zur Frei­den­ke­rei zeigt Ise­mey­ers Buch sogar Züge eines Lexi­kons, dazu mit vie­len Bil­dern und Kar­ten. Es wird unver­zicht­bar wer­den und Tei­le wer­den sich ver­selb­stän­di­gen, wahr­schein­lich. Zudem ist das Papier reiß­fest, man kann die Tou­ren­plä­ne mit sich füh­ren. Viel­leicht kommt spä­ter eine App.

Im vor­lie­gen­den Werk fin­det die Leser­schaft durch­aus eine begrün­de­te, aber auch sub­jek­ti­ve Sicht auf das „säku­la­re Ber­lin“, auf das, was Ise­mey­er hier sieht – und nicht sieht, auch, weil es schwer abbild­bar ist, weil es den All­tag von Leu­ten meint, die „Sen­sa­tio­nen des Gewöhn­li­chen“, wie es der ver­stor­be­ne Micha­el Rutsch­ky ein­mal genannt hat. Von ihm stammt auch die For­mel: „Die DDR ent­steht erst jetzt“ – und er mein­te eine per­ma­nen­te Trans­for­ma­ti­on der Sicht­wei­sen auf die­sen Staat und sei­ne Gesell­schaft. Wenn wir nun schon ein­mal dabei sind: Was im Osten war denn nicht säku­lar? Und war­um feh­len die Ver­bän­de? Waren sie nicht alle säku­lar? Lei­der gilt auch hier, bis auf weni­ge Aus­nah­men, die Regel: Die DDR hat es nie gege­ben. Aber war­um ist dort die „säku­la­re Lebens­welt“ wei­ter ent­wi­ckelt als im Westen?

Das wirft die über­grei­fen­de Fra­ge auf: Was ist in den Augen von frei­den­ke­ri­schen Huma­nis­ten „hei­lig“ – das Gegen­wort zu „welt­lich“. Und um es zuzu­spit­zen: Was an der Kir­che ist heu­te nicht säku­lar, wo selbst Theo­lo­gen inzwi­schen die eige­nen Riten sach­lich betrachten.

Beim The­ma „säku­lar“ will ich nun abschlie­ßend anset­zen. Und wenn ich schon ein­mal dar­über sin­nie­re, was das Säku­la­re im Leben der Leu­te ist – zu ihrer Kul­tur gehört, zu ihren Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten –, dann will ich, um zu umrei­ßen, was ich mei­ne, zunächst auf die Ent­de­ckung die­ser nicht­re­li­giö­sen Welt zu spre­chen kom­men. Die­se Ent­de­ckung ist eben­so Freidenker‑, wie Proletariats‑, wie Kir­chen­ge­schich­te. Zum Ende hin will ich dann aber ein Bei­spiel nen­nen, war­um es dann doch berech­tigt sein kann, das „säku­la­re Ber­lin“ enger zu fas­sen, dort auf­zu­su­chen, wo es der Autor tut, in der orga­ni­sier­ten Lebens­welt jen­seits christ­li­cher Konfessionen.

Armut war bis Anfang des 19. Jahr­hun­derts kein „Auf­re­ger“, bis um 1830 die Hilf­lo­sig­keit im Umgang mit dem frü­hen Vor‑, dem sich erst for­mie­ren­den Indus­trie­pro­le­ta­ri­at und eine sess­haf­te, im „Voigt­land“ in Hüt­ten hau­sen­de Stadt­ar­mut zum Umden­ken nötig­te. Die­se Ent­de­ckung ist in der sozi­al­his­to­ri­schen Lite­ra­tur umfäng­lich belegt. Der Blick auf die Unter­schich­ten deck­te näm­lich zugleich Gegen­sät­ze zur gewoll­ten Moral auf. Man sah zuerst vor allem einen Man­gel in der reli­giö­sen Erzie­hung. Das ist der Moment, in dem im Volk Säku­la­ri­tät als Ursa­che von Armut und Elend fest­ge­stellt wird. Noch kom­men in den Ober­schich­ten aber kei­ne Zwei­fel dar­an auf, dass dies eine vor­über­ge­hen­de Erschei­nung darstellt.

In Ber­lin mein­te der Armen­arzt Thüm­mel 1827, man müs­se „durch Anle­gung neu­er Kir­chen und Fun­die­rung … durch Mis­sio­nä­re, wel­che viel­leicht hier eben­so­viel als unter den Süd­see-Insu­la­nern zu bekeh­ren bekä­men“, den Zustän­den der Armut und der sitt­li­chen Ver­ro­hung abhel­fen.[1]

Die­ser Idee fol­gend ent­stan­den nach 1835 in Ber­lin wie in ande­ren deut­schen (pro­tes­tan­ti­schen) Gegen­den auch, zur bes­se­ren Bekeh­rung und Seel­sor­ge der zu Gemein­den gehö­ren­den Arbei­ter­kli­en­tel, die „Inne­re Mis­si­on“ und die ihr zuge­hö­ren­den Anstal­ten. Was die tra­di­tio­nel­le Kir­che nicht schaf­fe, müs­se von Ver­ei­nen und Lai­en erle­digt werden.

Füh­ren­der Kopf war der Pas­tor Johann Hin­rich Wichern (1808–1881). Er ent­warf ein Pro­gramm, den Men­schen im schwie­ri­gen All­tag Lebens­hil­fe zu leis­ten und zugleich sozi­al­kul­tu­rel­le For­de­run­gen an den Staat zu stel­len. Außer den Anstal­ten der „Dia­ko­nie“ (mit frei­wil­li­gen Kran­ken­pfle­gern) und den „Stadt­mis­sio­nen“ grün­de­te und unter­hielt die „Inne­re Mis­si­on“ in der Fol­ge­zeit vie­ler­lei Ein­rich­tun­gen: Kin­der­krip­pen, Klein­kin­der­schu­len, Kin­der­heil­stät­ten, Ret­tungs­häu­ser für Ver­wahr­los­te, Heil­stät­ten und Asyle für Trunk­süch­ti­ge und Pro­sti­tu­ier­te, Ver­ei­ne für ledi­ge Müt­ter, Lehr­lin­ge, Gesel­len und Jüng­lin­ge, Ver­pfle­gungs­sta­tio­nen für arme Wan­de­rer (Natu­ral­ver­pfle­gungs­sta­tio­nen, Her­ber­gen zur Hei­mat usw.), Arbei­ter­ko­lo­nien, Mäßig­keits- und Sittlichkeitsvereine.

Die­se Ein­rich­tun­gen waren zwei­fels­frei „säku­lar“. Es half auch nicht, „Arbei­ter­kir­chen“ wie die Sophien­kir­che in Mit­te und ande­re zu errich­ten: reprä­sen­ta­ti­ve Bau­ten, schon damals nicht prall gefüllt. Die Säku­la­ri­sie­rungs­vor­gän­ge schrit­ten fort. Inter­es­sant ist nun, dass die ers­ten „welt­li­chen“ (huma­nis­ti­schen) Ein­rich­tun­gen der DGEK nach 1892 auf glei­che Wei­se ent­ste­hen, dem tra­dier­ten Mus­ter fol­gen. Stich­wor­te sind hier „Sett­le­ment­be­we­gung“ und „Uni­ver­si­täts-Aus­deh­nung“.

Hed­wig Pen­zig, eine Toch­ter Rudolph Pen­zigs, gehör­te zum engen Mit­ar­bei­ter­kreis von Fried­rich Sieg­mund-Schult­ze und zu den 28 Män­nern und sechs Frau­en, meist Stu­die­ren­de, die im Win­ter­se­mes­ter 1913/1914 tätig wur­den. Ihr Pro­jekt hieß „Frau­en­ko­lo­nie“. Es befand sich in der Frucht­stra­ße 63. Hed­wig Pen­zig ist sogar eine Schlüs­sel­fi­gur, wie ihrem Bericht „Unse­re begin­nen­de Mäd­chen­ar­beit“ ent­nom­men wer­den kann (Nach­rich­ten aus der Sozia­len Arbeits­ge­mein­schaft Ber­lin-Ost, Ber­lin, April 1914, S. 36–38). Ende 1917 gibt es sie­ben „Mäd­chen­klubs“, wahr­schein­lich sehr „säku­lar“.

Es beginnt um 1900 zugleich eine all­ge­mei­ne, bis heu­te andau­ern­de Ten­denz. In dem Namen nach christ­li­chen Ein­rich­tun­gen wer­den ver­stärkt Kon­fes­si­ons­freie tätig, die über­haupt an Zahl zun­neh­men (ande­re fin­det man z.B. in Ost­deutsch­land gar nicht). Es voll­zieht sich eine „unter­ir­di­sche“ Säku­la­ri­sie­rung, die durch Zwän­ge kom­mer­zi­el­len Han­delns ver­stärkt wird. Das „säku­la­re Ber­lin“ – und durch­aus das huma­nis­ti­sche – ist also vor allem dort zu fin­den, wo es nicht auf dem Eti­kett steht. Das ist in kei­nem Stadt­füh­rer abbildbar.

Die christ­li­chen Kla­gen über das „säku­la­re Ber­lin“ flam­men immer mal wie­der auf, beson­ders dann, wenn poli­ti­sche Erfol­ge etwa des HVD, Anlass dazu geben, den eige­nen Leu­ten Mut zu machen. So beru­hig­te Bischof Wolf­gang Huber 1999 sei­ne Kir­chen­mit­glie­der mit einem Arti­kel in den „Evan­ge­li­schen Kom­men­ta­ren“ (Nr. 9, S. 6–10): „Die säku­la­re Metro­po­le. Die Ber­li­ner sind kir­chen­fern, aber nicht unreligiös“.

Die Schul­di­gen wer­den benannt: die Hin­ter­las­sen­schaf­ten der DDR und der athe­is­ti­sche HVD mit sei­nem Fach Lebens­kun­de, zu dem das Land Ber­lin auch noch Geld gibt. Dann kom­men so etwa die glei­chen Rezep­te wie schon 1830 ff. in Vor­schlag, nur ohne die For­de­rung nach neu­en Kir­chen­bau­ten. Beson­ders wich­tig ist jetzt der Reli­gi­ons­un­ter­richt. Am Schluss kam und kommt immer das Prin­zip Hoff­nung: „Neue Model­le des mis­sio­na­ri­schen Gemein­de­auf­baus wer­den erprobt.“ Und: Die „Sehn­sucht nach dem Hei­li­gen [wird] neu arti­ku­liert und nach dem christ­li­chen Glau­ben wie­der gefragt“. – Die Geschich­te des „säku­la­ren Ber­lin“, wie sie Ise­mey­er erzählt, deu­tet auf das Gegen­teil, wor­an die im Buch beschrie­be­nen Per­so­nen und Orga­ni­sa­tio­nen sehr schul­dig sind.

 

Man­fred Ise­mey­er: Das säku­la­re Ber­lin. Auf den Spu­ren von Dis­si­den­ten, Frei­den­kern und Huma­nis­ten. Hrsg. vom HVD Ber­lin-Bran­den­burg KdÖR. Ber­lin 2021, 268 S., ISBN 978–3‑924041–45‑8, 10.- Euro

  1. Zitiert nach Johann Fried­rich Geist/Klaus Kür­vers: Das Ber­li­ner Miets­haus. Bd.1: 1740–1862. Mün­chen 1980, S. 379.
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